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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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nichtadcligen Gutsbesitzers, der eine höhere Beamtenstelle in seinem Departe¬
ment bekleidete, zum Hauptquartier des Landesherrn auserwählt. Als der
adelige Chef des durch sein Amt hoffähigen Gutsbesitzers ihm dies eröffnete,
fühlte er sich verpflichtet, schonend zu bemerken, daß die Frau des Aus¬
gewählten doch als Nichtadelige dem Regenten die Honneurs des Hauses nicht
werde machen können. Die Hausfrau nicht in ihrem eigenen Hause!--Es
ist nicht erfreulich, bei solchen Einzelheiten zu verweilen.

Daß zu Wien am Kaiserhofe die Gesetze der Hofetiquette am strengsten
sind, wird man voraussetzen. Unter den mittleren deutschen Höfen sind
einige, an denen besonders scrupulös auf dieselbe romanische Etiquette ge¬
halten wird. Freilich haben zuweilen die geistigen und gemüthlichen Bedürf¬
nisse der Souveräne nach Auskunftsmitteln gesucht: an mehreren Höfen ist
eine besondere Form für den Verkehr mit Gelehrten und Künstlern gefunden;
aber solche Privatabende der höchsten Herrschaften stehen ganz außerhalb des Hof¬
lebens, sie werden betrachtet wie ein kurzes Jncognito, welches sich der Sou¬
verän wohl zuweilen gestattet. Es kann vorkommen, daß ein Fürst Solche,
die ihm an solchen Abenden persönlich nahegetreten sind, niemals vor sich
laden kann, wenn bei einem Hoffeste die Kronleuchter seines Schlosses ange¬
zündet werden. Nur einer von den kleinern Fürstenhöfen Deutschlands hat
die alterthümliche Etiquette fast ganz beseitigt und das feudale Hoflager in
einen Hofhalt verwandelt, der nach dem Muster des französischen Hofes
unter Louis Philipp organisirt ist. Es ist uns nicht bekannt geworden, daß
diese gewalthätige Reform Ansehen, Behagen und Popularität des Fürsten
verringert hätte. Es ist lehrreich, daß in jenem Lande, von welchem die
Deutschenden größten Theil ihres höfischen Brauches angenommen haben, schon
längst das alte Ceremoniell geschwunden ist. Die Hofordnung, wie sie Louis
Philipp eingerichtet hatte, ist mit einer Anzahl Aenderungen, welche vom
Kaiserreich hergenommen sind, auch durch Kaiser Napoleon III. adoptirt worden,
und nur gelegentlich werde hier bemerkt, daß der Kaiser einen nicht geringen
Theil der widerwilligen Achtung, welche er den Franzosen abgerungen bat,
dem Umstände verdankt, daß das Princip seines Hofes wie seiner Negierung
das ist, keinen gesellschaftlich privilegirten Stand zu dulden. Er hat alte
Adelstitel aufgefrischt, aber er sorgt dafür, daß sie bei ihm nur wesenlose
Titel bleiben. Der letzte Grundsatz seiner Regierung, den er auch im persön¬
lichen Verkehr geltend macht, ist, jedes Interesse gleichmäßig unter seinen Wil¬
len zu beugen. Und der Bürger von Paris empfindet darin nach Weise des
Franzosen mit stiller Befriedigung einen demokratischen Zug, der ihn mit vie¬
lem Harten versöhnt.

Der deutsche Bürger aber sieht mit kaltem Lächeln auf die Exclusivität
der deutschen Höfe. Er weiß wohl, daß das Bürgerthum der Hauptträger


nichtadcligen Gutsbesitzers, der eine höhere Beamtenstelle in seinem Departe¬
ment bekleidete, zum Hauptquartier des Landesherrn auserwählt. Als der
adelige Chef des durch sein Amt hoffähigen Gutsbesitzers ihm dies eröffnete,
fühlte er sich verpflichtet, schonend zu bemerken, daß die Frau des Aus¬
gewählten doch als Nichtadelige dem Regenten die Honneurs des Hauses nicht
werde machen können. Die Hausfrau nicht in ihrem eigenen Hause!--Es
ist nicht erfreulich, bei solchen Einzelheiten zu verweilen.

Daß zu Wien am Kaiserhofe die Gesetze der Hofetiquette am strengsten
sind, wird man voraussetzen. Unter den mittleren deutschen Höfen sind
einige, an denen besonders scrupulös auf dieselbe romanische Etiquette ge¬
halten wird. Freilich haben zuweilen die geistigen und gemüthlichen Bedürf¬
nisse der Souveräne nach Auskunftsmitteln gesucht: an mehreren Höfen ist
eine besondere Form für den Verkehr mit Gelehrten und Künstlern gefunden;
aber solche Privatabende der höchsten Herrschaften stehen ganz außerhalb des Hof¬
lebens, sie werden betrachtet wie ein kurzes Jncognito, welches sich der Sou¬
verän wohl zuweilen gestattet. Es kann vorkommen, daß ein Fürst Solche,
die ihm an solchen Abenden persönlich nahegetreten sind, niemals vor sich
laden kann, wenn bei einem Hoffeste die Kronleuchter seines Schlosses ange¬
zündet werden. Nur einer von den kleinern Fürstenhöfen Deutschlands hat
die alterthümliche Etiquette fast ganz beseitigt und das feudale Hoflager in
einen Hofhalt verwandelt, der nach dem Muster des französischen Hofes
unter Louis Philipp organisirt ist. Es ist uns nicht bekannt geworden, daß
diese gewalthätige Reform Ansehen, Behagen und Popularität des Fürsten
verringert hätte. Es ist lehrreich, daß in jenem Lande, von welchem die
Deutschenden größten Theil ihres höfischen Brauches angenommen haben, schon
längst das alte Ceremoniell geschwunden ist. Die Hofordnung, wie sie Louis
Philipp eingerichtet hatte, ist mit einer Anzahl Aenderungen, welche vom
Kaiserreich hergenommen sind, auch durch Kaiser Napoleon III. adoptirt worden,
und nur gelegentlich werde hier bemerkt, daß der Kaiser einen nicht geringen
Theil der widerwilligen Achtung, welche er den Franzosen abgerungen bat,
dem Umstände verdankt, daß das Princip seines Hofes wie seiner Negierung
das ist, keinen gesellschaftlich privilegirten Stand zu dulden. Er hat alte
Adelstitel aufgefrischt, aber er sorgt dafür, daß sie bei ihm nur wesenlose
Titel bleiben. Der letzte Grundsatz seiner Regierung, den er auch im persön¬
lichen Verkehr geltend macht, ist, jedes Interesse gleichmäßig unter seinen Wil¬
len zu beugen. Und der Bürger von Paris empfindet darin nach Weise des
Franzosen mit stiller Befriedigung einen demokratischen Zug, der ihn mit vie¬
lem Harten versöhnt.

Der deutsche Bürger aber sieht mit kaltem Lächeln auf die Exclusivität
der deutschen Höfe. Er weiß wohl, daß das Bürgerthum der Hauptträger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/17>, abgerufen am 15.05.2024.