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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Willenskraft hilft, haben Goethe sehr vielfach beschäftigt. Einige üntergeöro-
nete von ihnen hat er in seinen Fastnachtsspielen, z. B. im Satyros, geschil¬
dert; über Cagliostro' machte er auf der italienischen Reise seht gründliche
Studien; in Wahrheit und Dichtung kommt er auf den Begriff des Dämo¬
nischen fortwährend zurück. Mit einem derselben hat er sogar lange Zeit
ein ganz inniges Freundschaftsbündnis) gehabt, und selbst der Haß, mit dem
er ihn später betrachtete, verräth, wie nahe sie sich gestanden lMten. Lava-
ter's Wirkett scheint so sehr aus allen Grenzen des gesunden Menschenver¬
standes herauszutreten, daß wir dies Verhältniß zu Goethe und anderen gebil¬
deten Menschen nicht begreisen würden, wenn wir über die Natur des Religiösen
Begriffs nicht weiter ausholten.

Jede Religion gründet sich auf Wunder: Wunder haben ihren Urspr'unjj
legitimirt, Wunder sind ihre Verheißungen. Das Christenthum gibt darin
den andern Religionen nichts nach, ja es stellt den Begriff des Wunders auf
die Spitze, indem es das anscheinend Wirkliche als das Richtig'e', das Unbe¬
greifliche als das allein Wahre offenbart. Alle übrigen Religionen gestehen
dem Naturgesetz? eine gewisse Unantastbarkeit zu, das Christenthum, in seinem
tiefsten Sinn gefaßt, leugnet es durchaus. Der große Sinn. Mit welchem es
die Erde und ihre Kräfte als ein bloßes Traumbild betrachtet, dieses univer¬
selle Wunder seiner Erlösung und seines Gottesreiches erleichtert' es seinen
Bekennern, sich der partikulären Wunder zu überheben; aber ganz kann es' das
Bedürfniß, Gott in unmittelbarer Thätigkeit' zu sehen, bei seinen GläUbigert
nicht ersticken. Daher hat denn auch die katholische Kirche für beständige
Fortsetzung der Wunderkraft Sorge getragen. Der Umstand, daß Gott in
frühem Zeit Wunder gethan, ist doch nur durch Erzählungen verstorbener
Männer beglaubigt; ein' unmittelbares Zeugniß der stritte' würde viel schla¬
gender wirken. Aber selbst wenn man davon absehen wollte, so gehört dies
Wunder nicht bloß zu den Beweisgründen drr Religion, sondern auch zu' ihren'
Zwecken. Es liegt im Interesse der Religion, sich Gott nicht bloß als frei
und aÜNiächtig, sondern-auch als eindrucksfähig Und bestimmbar zu' denkend
So finster man' ihn sich in einzelnen' Kirchen ausmalt, als' der Konig Schreck-'
licher Majestät', der nur'durch Gnadenwahl sich bestimmen ließe: irgend etwas
muß der Mensch doch rü Händen haben, um sich ihm fühlbar zU machest , feil
es auch Nur das Mittel' grenzenloser Demüthigung. Die ganze Macht der
Religion koncentrirt sich im Gebet, und wenn man jedes Gebet Mit' den Wor¬
ten schließt: nicht mein, sondern dein Wille geschehe! so kann das freilich das
Uebergewicht des Verstandes oder der Frömmigkeit über den Willen, es kann
aber auch Schwäche bei" Willenskraft verrathen. Denn daß in letzter Instanz
nur Gottes Wille geschieht, versteht sich von selbst, das darf ndem'nicht erst
hinzusetzen; wenn man es aber wirklich während des Gebets fühlt) so ist eine


Willenskraft hilft, haben Goethe sehr vielfach beschäftigt. Einige üntergeöro-
nete von ihnen hat er in seinen Fastnachtsspielen, z. B. im Satyros, geschil¬
dert; über Cagliostro' machte er auf der italienischen Reise seht gründliche
Studien; in Wahrheit und Dichtung kommt er auf den Begriff des Dämo¬
nischen fortwährend zurück. Mit einem derselben hat er sogar lange Zeit
ein ganz inniges Freundschaftsbündnis) gehabt, und selbst der Haß, mit dem
er ihn später betrachtete, verräth, wie nahe sie sich gestanden lMten. Lava-
ter's Wirkett scheint so sehr aus allen Grenzen des gesunden Menschenver¬
standes herauszutreten, daß wir dies Verhältniß zu Goethe und anderen gebil¬
deten Menschen nicht begreisen würden, wenn wir über die Natur des Religiösen
Begriffs nicht weiter ausholten.

Jede Religion gründet sich auf Wunder: Wunder haben ihren Urspr'unjj
legitimirt, Wunder sind ihre Verheißungen. Das Christenthum gibt darin
den andern Religionen nichts nach, ja es stellt den Begriff des Wunders auf
die Spitze, indem es das anscheinend Wirkliche als das Richtig'e', das Unbe¬
greifliche als das allein Wahre offenbart. Alle übrigen Religionen gestehen
dem Naturgesetz? eine gewisse Unantastbarkeit zu, das Christenthum, in seinem
tiefsten Sinn gefaßt, leugnet es durchaus. Der große Sinn. Mit welchem es
die Erde und ihre Kräfte als ein bloßes Traumbild betrachtet, dieses univer¬
selle Wunder seiner Erlösung und seines Gottesreiches erleichtert' es seinen
Bekennern, sich der partikulären Wunder zu überheben; aber ganz kann es' das
Bedürfniß, Gott in unmittelbarer Thätigkeit' zu sehen, bei seinen GläUbigert
nicht ersticken. Daher hat denn auch die katholische Kirche für beständige
Fortsetzung der Wunderkraft Sorge getragen. Der Umstand, daß Gott in
frühem Zeit Wunder gethan, ist doch nur durch Erzählungen verstorbener
Männer beglaubigt; ein' unmittelbares Zeugniß der stritte' würde viel schla¬
gender wirken. Aber selbst wenn man davon absehen wollte, so gehört dies
Wunder nicht bloß zu den Beweisgründen drr Religion, sondern auch zu' ihren'
Zwecken. Es liegt im Interesse der Religion, sich Gott nicht bloß als frei
und aÜNiächtig, sondern-auch als eindrucksfähig Und bestimmbar zu' denkend
So finster man' ihn sich in einzelnen' Kirchen ausmalt, als' der Konig Schreck-'
licher Majestät', der nur'durch Gnadenwahl sich bestimmen ließe: irgend etwas
muß der Mensch doch rü Händen haben, um sich ihm fühlbar zU machest , feil
es auch Nur das Mittel' grenzenloser Demüthigung. Die ganze Macht der
Religion koncentrirt sich im Gebet, und wenn man jedes Gebet Mit' den Wor¬
ten schließt: nicht mein, sondern dein Wille geschehe! so kann das freilich das
Uebergewicht des Verstandes oder der Frömmigkeit über den Willen, es kann
aber auch Schwäche bei" Willenskraft verrathen. Denn daß in letzter Instanz
nur Gottes Wille geschieht, versteht sich von selbst, das darf ndem'nicht erst
hinzusetzen; wenn man es aber wirklich während des Gebets fühlt) so ist eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/28>, abgerufen am 16.05.2024.