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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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rend, daß "der Topf immer noch nach der ersten Suppe schmecke". Die schönen
Pferde konnte der reiche Mann wol halten, weil er nebenbei einen Pferdehandel
trieb, und zu Lakaien wurden die Arbeiter aus dem Geschäft costümirt: Haus¬
knecht, Holzraspler, Handelslehrling, und der Page, welcher hinter der Dame
herging, war ein Kind aus der Armenschnle. In solchen Häusern war auch
der größte Tafelluxus jener Zeit. Der geladene Gast wurde mit der Förmlich¬
keit empfangen, welch damals ein Kennzeichen des Gebildeten war, der Wirth
ging ihm bis an die Treppe, dem vornehmsten bis an die Hausthür entgegen,
weitschweifig waren die Complimente über den Vortritt oder über den höhern
Platz bei Tische, und doch wurde der größte Werth darauf gelegt, dabei nicht
zu niedrig geschätzt zu werden. Sobald man sich zur Tafel setzte, wurde der
Schenktisch geöffnet, auf dem eine Masse des kostbarsten Siberwerks glänzte.
Die Schüsseln mußten groß sein, ebenso umfangreich die Gerichte, außer Ver¬
hältniß zu der Zahl der Geladenen, das theuerste wurde mit einem Raffine¬
ment hcrbeigesucht, das uns noch jetzt befremdet: mächtige Pasteten, mit ver¬
schiedenem Geflügel gefüllt, Haselhühner, Hechtleber, welsche Salat.e. Die
Fasanen und Rebhühner wurden laponirt und gemästet, das Paar davon bis
zu einem Ducaten bezahlt. Man sand greulich, daß diese Verschwender neue
Heringe mit einem Gulden bezahlten, das Hundert Austern mit acht bis zehn
Thalern. Dazu kamen die kostbarsten Weine des 17. Jahrhunderts: Tokayer,
Canariensect, Marzenin, Frontignac, Muscat, zuletzt gar Wein vom Libanon;
zum Dessert war nicht mehr Marcipan, sondern Citronat die modische
Ergötzlichkeit. Die Frauen saßen stumm und geziert. Ihre Haupt¬
sorge war, so klagte "in", schon bei der Wahl des Gatten, ob ihr
künftiger Eheliebster vornehm sei, damit sie bei Begräbnissen desto näher
hinter der Leiche hertreten und bei Hochzeiten obenansitzen könnten. Bei
solchen Gelegenheiten fehlte wenig, daß sie nicht mit Ohrfeigen um den
Vortritt fochten. So weit ging die Adelsucht dieser Kreise, daß sich der für
bedeutend besser hielt, dessen neuer Adelsbrief nur zehn Jahre früher ausgestellt
war. als der eines andern; auch diese Stadtedelleute schätzten den ganz neu
geadelten keineswegs für ihresgleichen. Wer frisch geadelt war. wurde nur
"wohledel" genannt; wer einige Zeit in Besitz seines Briefes war, ließ sich
"hoch- und edelgeborne Gcstrengigkeit" nennen. Alles wurde angewendet, um
noch außerdem eine Stadtwürde oder irgend einen Titel zu erlangen. Mit
den unreifen Söhnen solcher Familien wurden häusig auch die militärischen
Würden der Städte besetzt, dann lief ein Wicht, der niemals ein Schlachtfeld
gesehn hatte, mit einem Stäbe, der dick mit Silber beschlagen war, bewaff¬
nete Leibschützen hinter sich, bei Tage von Thor zu Thor, um sich den Leuten
zu zeigen und den Salut der Wache in Einfang zu nehmen.

Nur eins würde von ihm verlangt, er mußte mit dem Degen umgehen


Grenzboten III. 1S00, 2

rend, daß „der Topf immer noch nach der ersten Suppe schmecke". Die schönen
Pferde konnte der reiche Mann wol halten, weil er nebenbei einen Pferdehandel
trieb, und zu Lakaien wurden die Arbeiter aus dem Geschäft costümirt: Haus¬
knecht, Holzraspler, Handelslehrling, und der Page, welcher hinter der Dame
herging, war ein Kind aus der Armenschnle. In solchen Häusern war auch
der größte Tafelluxus jener Zeit. Der geladene Gast wurde mit der Förmlich¬
keit empfangen, welch damals ein Kennzeichen des Gebildeten war, der Wirth
ging ihm bis an die Treppe, dem vornehmsten bis an die Hausthür entgegen,
weitschweifig waren die Complimente über den Vortritt oder über den höhern
Platz bei Tische, und doch wurde der größte Werth darauf gelegt, dabei nicht
zu niedrig geschätzt zu werden. Sobald man sich zur Tafel setzte, wurde der
Schenktisch geöffnet, auf dem eine Masse des kostbarsten Siberwerks glänzte.
Die Schüsseln mußten groß sein, ebenso umfangreich die Gerichte, außer Ver¬
hältniß zu der Zahl der Geladenen, das theuerste wurde mit einem Raffine¬
ment hcrbeigesucht, das uns noch jetzt befremdet: mächtige Pasteten, mit ver¬
schiedenem Geflügel gefüllt, Haselhühner, Hechtleber, welsche Salat.e. Die
Fasanen und Rebhühner wurden laponirt und gemästet, das Paar davon bis
zu einem Ducaten bezahlt. Man sand greulich, daß diese Verschwender neue
Heringe mit einem Gulden bezahlten, das Hundert Austern mit acht bis zehn
Thalern. Dazu kamen die kostbarsten Weine des 17. Jahrhunderts: Tokayer,
Canariensect, Marzenin, Frontignac, Muscat, zuletzt gar Wein vom Libanon;
zum Dessert war nicht mehr Marcipan, sondern Citronat die modische
Ergötzlichkeit. Die Frauen saßen stumm und geziert. Ihre Haupt¬
sorge war, so klagte »in», schon bei der Wahl des Gatten, ob ihr
künftiger Eheliebster vornehm sei, damit sie bei Begräbnissen desto näher
hinter der Leiche hertreten und bei Hochzeiten obenansitzen könnten. Bei
solchen Gelegenheiten fehlte wenig, daß sie nicht mit Ohrfeigen um den
Vortritt fochten. So weit ging die Adelsucht dieser Kreise, daß sich der für
bedeutend besser hielt, dessen neuer Adelsbrief nur zehn Jahre früher ausgestellt
war. als der eines andern; auch diese Stadtedelleute schätzten den ganz neu
geadelten keineswegs für ihresgleichen. Wer frisch geadelt war. wurde nur
„wohledel" genannt; wer einige Zeit in Besitz seines Briefes war, ließ sich
„hoch- und edelgeborne Gcstrengigkeit" nennen. Alles wurde angewendet, um
noch außerdem eine Stadtwürde oder irgend einen Titel zu erlangen. Mit
den unreifen Söhnen solcher Familien wurden häusig auch die militärischen
Würden der Städte besetzt, dann lief ein Wicht, der niemals ein Schlachtfeld
gesehn hatte, mit einem Stäbe, der dick mit Silber beschlagen war, bewaff¬
nete Leibschützen hinter sich, bei Tage von Thor zu Thor, um sich den Leuten
zu zeigen und den Salut der Wache in Einfang zu nehmen.

Nur eins würde von ihm verlangt, er mußte mit dem Degen umgehen


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[0021] rend, daß „der Topf immer noch nach der ersten Suppe schmecke". Die schönen Pferde konnte der reiche Mann wol halten, weil er nebenbei einen Pferdehandel trieb, und zu Lakaien wurden die Arbeiter aus dem Geschäft costümirt: Haus¬ knecht, Holzraspler, Handelslehrling, und der Page, welcher hinter der Dame herging, war ein Kind aus der Armenschnle. In solchen Häusern war auch der größte Tafelluxus jener Zeit. Der geladene Gast wurde mit der Förmlich¬ keit empfangen, welch damals ein Kennzeichen des Gebildeten war, der Wirth ging ihm bis an die Treppe, dem vornehmsten bis an die Hausthür entgegen, weitschweifig waren die Complimente über den Vortritt oder über den höhern Platz bei Tische, und doch wurde der größte Werth darauf gelegt, dabei nicht zu niedrig geschätzt zu werden. Sobald man sich zur Tafel setzte, wurde der Schenktisch geöffnet, auf dem eine Masse des kostbarsten Siberwerks glänzte. Die Schüsseln mußten groß sein, ebenso umfangreich die Gerichte, außer Ver¬ hältniß zu der Zahl der Geladenen, das theuerste wurde mit einem Raffine¬ ment hcrbeigesucht, das uns noch jetzt befremdet: mächtige Pasteten, mit ver¬ schiedenem Geflügel gefüllt, Haselhühner, Hechtleber, welsche Salat.e. Die Fasanen und Rebhühner wurden laponirt und gemästet, das Paar davon bis zu einem Ducaten bezahlt. Man sand greulich, daß diese Verschwender neue Heringe mit einem Gulden bezahlten, das Hundert Austern mit acht bis zehn Thalern. Dazu kamen die kostbarsten Weine des 17. Jahrhunderts: Tokayer, Canariensect, Marzenin, Frontignac, Muscat, zuletzt gar Wein vom Libanon; zum Dessert war nicht mehr Marcipan, sondern Citronat die modische Ergötzlichkeit. Die Frauen saßen stumm und geziert. Ihre Haupt¬ sorge war, so klagte »in», schon bei der Wahl des Gatten, ob ihr künftiger Eheliebster vornehm sei, damit sie bei Begräbnissen desto näher hinter der Leiche hertreten und bei Hochzeiten obenansitzen könnten. Bei solchen Gelegenheiten fehlte wenig, daß sie nicht mit Ohrfeigen um den Vortritt fochten. So weit ging die Adelsucht dieser Kreise, daß sich der für bedeutend besser hielt, dessen neuer Adelsbrief nur zehn Jahre früher ausgestellt war. als der eines andern; auch diese Stadtedelleute schätzten den ganz neu geadelten keineswegs für ihresgleichen. Wer frisch geadelt war. wurde nur „wohledel" genannt; wer einige Zeit in Besitz seines Briefes war, ließ sich „hoch- und edelgeborne Gcstrengigkeit" nennen. Alles wurde angewendet, um noch außerdem eine Stadtwürde oder irgend einen Titel zu erlangen. Mit den unreifen Söhnen solcher Familien wurden häusig auch die militärischen Würden der Städte besetzt, dann lief ein Wicht, der niemals ein Schlachtfeld gesehn hatte, mit einem Stäbe, der dick mit Silber beschlagen war, bewaff¬ nete Leibschützen hinter sich, bei Tage von Thor zu Thor, um sich den Leuten zu zeigen und den Salut der Wache in Einfang zu nehmen. Nur eins würde von ihm verlangt, er mußte mit dem Degen umgehen Grenzboten III. 1S00, 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/21>, abgerufen am 21.05.2024.