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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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können; denn Duelle gehörten zum Wesen des Edelmanns. Und es war gut
für ihn, wenn er wenigstens einmal durch ein "Kartell" in Anspruch genommen
war. Dann ritt er mit seinem Secundärem auf das nächste Dorf, zog hinter
einem Zaun die Reitstiefeln aus, leichte Fechtschuhe an, steckte die langen ge¬
kräuselten Haare unter die Nachthaube, entblößte den Oberleib bis auf das
Hemde und mußte eine von den Schlagklingcn wählen, welche ihm prcisentirt
wurden. Man focht in Gängen auf Hieb und Stoß, auf das glücklich ab¬
gemachte Duell folgte unfehlbar ein Versöhnungsgelage. Mit vollbrachten
Heldenthaten wurde gern renommirt.

So etwa sahen die Pfeffersäcke aus, welche vom groben Landadel auch
Hcriugsnasen genannt wurden. Ein ganz andrer Schlag Leute war die Masse
des Landadels.

Diese Familien saßen vor zweihundert Jahren noch zahlreicher als jetzt
in den Dörfern. Außer den Rittersitzen waren auch Häuser des Dorfes und
kleine Ackerwirthschaftcn in ihren Händen; zuweilen hatte ein Geschlecht so stark
gewundert, daß in der Nähe eines alten Stammsitzes viele Dörfer mit Geschlechts-
genossen besetzt waren, noch häufiger saßen in einem Dorfe Familien aus ver¬
schiedenen Geschlechtern durcheinander, in jedem Grade von Autorität. Noch
in unserm Jahrhundert hat es mäßige Dörfer gegeben, welche zehn, zwölf und
mehr Rittersitze umschlossen, an solchen Ortschaften hatte jeder der kleinen Des¬
poten die Herrschaft über wenige elende Dorfleute und ritterliche Herrenrechte
an einem Theil der Flur, die ärmsten aber wohnten ohne Grundrecht, zu¬
weilen nur zur Miethe. So war es fast in allen Landschaften Deutschlands,
am meisten jenseit der Elbe auf dem colonisirten Slavengrunde, aber auch in
Franken, Schwaben und Thüringen. Viele von ihnen unterschieden sich von
den andern Lnndleuten nur durch ihre Ansprüche und durch ihre Verachtung
der Feldarbeit. Sie waren schon vor dem Kriege in der Mehrzahl verschuldet
gewesen, der späte Frieden fand sie in noch schlechterem Glück. Das Eisen
und die Seuchen hatten auch unter ihnen'ausgeräumt, die überlebenden waren
nicht besser geworden. Die Stärkern hatten sich als Soldaten und Parteigänger
im Kriege versucht, zuweilen wenig verschieden von Straßenräubern. Die er¬
worbene Beute hatten sie noch im Kriege wieder in einem kleinen Gute angelegt,
aus dem sie friedlos und lauernd saßen. Solche Glückliche erhielten häusigen
Zuspruch von alten Spießgesellen und wagten dann wol vom Gute aus einen
Ritt auf eigne Hand, bei dem es ohne Blut nicht abging. Nach dem Kriege
hörten sie zwar auf Raub zu wagen und zu dulden, aber auch den nächsten
Generationen blieb die Verwilderung, das Bedürfniß nach Aufregung, das
unruhige Umherreiten, die Neigung zu wüstem Trunk und Händeln. Sie
bildeten zusammen eine große Genossenschaft, die trotz endloser Raufereien doch
fest zusammenhielt, wie eine verfitzte Pflanzendecke auf Sumpfgrund, und


können; denn Duelle gehörten zum Wesen des Edelmanns. Und es war gut
für ihn, wenn er wenigstens einmal durch ein „Kartell" in Anspruch genommen
war. Dann ritt er mit seinem Secundärem auf das nächste Dorf, zog hinter
einem Zaun die Reitstiefeln aus, leichte Fechtschuhe an, steckte die langen ge¬
kräuselten Haare unter die Nachthaube, entblößte den Oberleib bis auf das
Hemde und mußte eine von den Schlagklingcn wählen, welche ihm prcisentirt
wurden. Man focht in Gängen auf Hieb und Stoß, auf das glücklich ab¬
gemachte Duell folgte unfehlbar ein Versöhnungsgelage. Mit vollbrachten
Heldenthaten wurde gern renommirt.

So etwa sahen die Pfeffersäcke aus, welche vom groben Landadel auch
Hcriugsnasen genannt wurden. Ein ganz andrer Schlag Leute war die Masse
des Landadels.

Diese Familien saßen vor zweihundert Jahren noch zahlreicher als jetzt
in den Dörfern. Außer den Rittersitzen waren auch Häuser des Dorfes und
kleine Ackerwirthschaftcn in ihren Händen; zuweilen hatte ein Geschlecht so stark
gewundert, daß in der Nähe eines alten Stammsitzes viele Dörfer mit Geschlechts-
genossen besetzt waren, noch häufiger saßen in einem Dorfe Familien aus ver¬
schiedenen Geschlechtern durcheinander, in jedem Grade von Autorität. Noch
in unserm Jahrhundert hat es mäßige Dörfer gegeben, welche zehn, zwölf und
mehr Rittersitze umschlossen, an solchen Ortschaften hatte jeder der kleinen Des¬
poten die Herrschaft über wenige elende Dorfleute und ritterliche Herrenrechte
an einem Theil der Flur, die ärmsten aber wohnten ohne Grundrecht, zu¬
weilen nur zur Miethe. So war es fast in allen Landschaften Deutschlands,
am meisten jenseit der Elbe auf dem colonisirten Slavengrunde, aber auch in
Franken, Schwaben und Thüringen. Viele von ihnen unterschieden sich von
den andern Lnndleuten nur durch ihre Ansprüche und durch ihre Verachtung
der Feldarbeit. Sie waren schon vor dem Kriege in der Mehrzahl verschuldet
gewesen, der späte Frieden fand sie in noch schlechterem Glück. Das Eisen
und die Seuchen hatten auch unter ihnen'ausgeräumt, die überlebenden waren
nicht besser geworden. Die Stärkern hatten sich als Soldaten und Parteigänger
im Kriege versucht, zuweilen wenig verschieden von Straßenräubern. Die er¬
worbene Beute hatten sie noch im Kriege wieder in einem kleinen Gute angelegt,
aus dem sie friedlos und lauernd saßen. Solche Glückliche erhielten häusigen
Zuspruch von alten Spießgesellen und wagten dann wol vom Gute aus einen
Ritt auf eigne Hand, bei dem es ohne Blut nicht abging. Nach dem Kriege
hörten sie zwar auf Raub zu wagen und zu dulden, aber auch den nächsten
Generationen blieb die Verwilderung, das Bedürfniß nach Aufregung, das
unruhige Umherreiten, die Neigung zu wüstem Trunk und Händeln. Sie
bildeten zusammen eine große Genossenschaft, die trotz endloser Raufereien doch
fest zusammenhielt, wie eine verfitzte Pflanzendecke auf Sumpfgrund, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/22>, abgerufen am 21.05.2024.