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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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dieser Familienzusammenhnng wurde für die Besseren unter ihnen eine unend¬
liche Plage, ein Unglück des ganzen Standes, der mehr als ein andrer Uebel-
stand die Bildung und den Wohlstand der ritterlichen Grundbesitzer in dem
nächsten Jahrhundert zurückhielt. Denn auch solchen, welche nicht ganz ohne
Mittel waren, verging das Leben wie in einem Bann, von dem sie sich schwer
lösen konnten.

Reiten, Tanzen und Fechten lernten die Söhne eines solchen Gutsbesitzers
von mäßigem Wohlstand in der Verwandtschaft, vielleicht die ersten Anfänge
des Latein bei einem armen Kandidaten. dann dienten sie wol, wenn der
Vater Verbindungen hatte, bei einem kleinen Hofe oder vornehmen Edelmann
als Pagen, dort lernten sie vielleicht etwas von den guten Manieren, sichrer
die Schwächen und Laster der Vornehmen kennen. Hatten sie einige Jahre
in adligen Dienst ausgehalten, so wurden sie wol nach altem Herkommen
von ihrem Herrn wehrhaft gemacht und mit einem gnädigen Backenstreich als
Junker entlassen. Dann kehrten sie auf das väterliche Gut zurück, oder die
Eltern verkauften, was sie entbehren konnten, um ihnen eine rittermäßige
Ausrüstung zu verschaffen und sie als Aspiranten für eine Subalternstelle
zum kaiserlichen Heer zu senden. Nur wenigen glückte es in den ruhmlosen
Kriegen jener Zeit; die meisten kehrten nach einigen Feldzügen verdorben, arm
an Ehren und Beute in die Heimath zurück, mit den Geschwistern das Vater¬
erbe zu theilen. Bald unterschieden sie sich wenig von den Vettern, die in der
Heimath zurückgeblieben waren.

Der Gutsherr hauste in einem Gebäude von Fachwerk mit Stroh oder Schin¬
deln gedeckt. -- es sind uns gelegentliche Beschreibungen und Abbildungen in
genügender Zahl erhalten -- über das Dach lehnte die große Feuerleiter,
die Vorder- und Hinterthür des Flurs war mit hölzernen Sperrbalkcn zum
nächtlichen Verschluß versehn, im Unterstvck lag die große Stube, in der
Nähe die weite Küche, zugleich ein warmer Aufenthalt für die Dienenden,
neben der Stube ein gemauertes Gewölbe, mit Eisengittern am Fenster und
womöglich mit eisernen Thüren gegen Diebe und Feuersgefahr. dort wurde
aufbewahrt, was der Gutsherr von werthvoller Habe besaß, war einmal eine
Summe Geld darin verschlossen, so wurde gern ein besonderer Wächter vor
das Haus gesetzt. Ueber diesem Gewölbe im Oberstock lag die Schlafstube
des Hausherrn, dort stand das Ehebett, auch dort war in der Wand oder in
den Dielen ein verborgenes Behältniß, worin einiges Silbergeräth und der
Schmuck der Frauen aufbewahrt wurde. Die Kinder, der Hauslehrer und
die Ausgeberin schliefen in Gatterverschlägen. welche nicht heizbar waren.
Zuweilen war an den Oberstock eine hölzerne Gallerie angebaut, "Lustgäng¬
lein," dort wurde wol Wäsche getrocknet, der Hof beobachtet, Frauenarbeit
gethan. Das Haus stand unter besondrer Aussicht'eines alten Reisigen, oder eines


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dieser Familienzusammenhnng wurde für die Besseren unter ihnen eine unend¬
liche Plage, ein Unglück des ganzen Standes, der mehr als ein andrer Uebel-
stand die Bildung und den Wohlstand der ritterlichen Grundbesitzer in dem
nächsten Jahrhundert zurückhielt. Denn auch solchen, welche nicht ganz ohne
Mittel waren, verging das Leben wie in einem Bann, von dem sie sich schwer
lösen konnten.

Reiten, Tanzen und Fechten lernten die Söhne eines solchen Gutsbesitzers
von mäßigem Wohlstand in der Verwandtschaft, vielleicht die ersten Anfänge
des Latein bei einem armen Kandidaten. dann dienten sie wol, wenn der
Vater Verbindungen hatte, bei einem kleinen Hofe oder vornehmen Edelmann
als Pagen, dort lernten sie vielleicht etwas von den guten Manieren, sichrer
die Schwächen und Laster der Vornehmen kennen. Hatten sie einige Jahre
in adligen Dienst ausgehalten, so wurden sie wol nach altem Herkommen
von ihrem Herrn wehrhaft gemacht und mit einem gnädigen Backenstreich als
Junker entlassen. Dann kehrten sie auf das väterliche Gut zurück, oder die
Eltern verkauften, was sie entbehren konnten, um ihnen eine rittermäßige
Ausrüstung zu verschaffen und sie als Aspiranten für eine Subalternstelle
zum kaiserlichen Heer zu senden. Nur wenigen glückte es in den ruhmlosen
Kriegen jener Zeit; die meisten kehrten nach einigen Feldzügen verdorben, arm
an Ehren und Beute in die Heimath zurück, mit den Geschwistern das Vater¬
erbe zu theilen. Bald unterschieden sie sich wenig von den Vettern, die in der
Heimath zurückgeblieben waren.

Der Gutsherr hauste in einem Gebäude von Fachwerk mit Stroh oder Schin¬
deln gedeckt. — es sind uns gelegentliche Beschreibungen und Abbildungen in
genügender Zahl erhalten — über das Dach lehnte die große Feuerleiter,
die Vorder- und Hinterthür des Flurs war mit hölzernen Sperrbalkcn zum
nächtlichen Verschluß versehn, im Unterstvck lag die große Stube, in der
Nähe die weite Küche, zugleich ein warmer Aufenthalt für die Dienenden,
neben der Stube ein gemauertes Gewölbe, mit Eisengittern am Fenster und
womöglich mit eisernen Thüren gegen Diebe und Feuersgefahr. dort wurde
aufbewahrt, was der Gutsherr von werthvoller Habe besaß, war einmal eine
Summe Geld darin verschlossen, so wurde gern ein besonderer Wächter vor
das Haus gesetzt. Ueber diesem Gewölbe im Oberstock lag die Schlafstube
des Hausherrn, dort stand das Ehebett, auch dort war in der Wand oder in
den Dielen ein verborgenes Behältniß, worin einiges Silbergeräth und der
Schmuck der Frauen aufbewahrt wurde. Die Kinder, der Hauslehrer und
die Ausgeberin schliefen in Gatterverschlägen. welche nicht heizbar waren.
Zuweilen war an den Oberstock eine hölzerne Gallerie angebaut, „Lustgäng¬
lein," dort wurde wol Wäsche getrocknet, der Hof beobachtet, Frauenarbeit
gethan. Das Haus stand unter besondrer Aussicht'eines alten Reisigen, oder eines


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[0023] dieser Familienzusammenhnng wurde für die Besseren unter ihnen eine unend¬ liche Plage, ein Unglück des ganzen Standes, der mehr als ein andrer Uebel- stand die Bildung und den Wohlstand der ritterlichen Grundbesitzer in dem nächsten Jahrhundert zurückhielt. Denn auch solchen, welche nicht ganz ohne Mittel waren, verging das Leben wie in einem Bann, von dem sie sich schwer lösen konnten. Reiten, Tanzen und Fechten lernten die Söhne eines solchen Gutsbesitzers von mäßigem Wohlstand in der Verwandtschaft, vielleicht die ersten Anfänge des Latein bei einem armen Kandidaten. dann dienten sie wol, wenn der Vater Verbindungen hatte, bei einem kleinen Hofe oder vornehmen Edelmann als Pagen, dort lernten sie vielleicht etwas von den guten Manieren, sichrer die Schwächen und Laster der Vornehmen kennen. Hatten sie einige Jahre in adligen Dienst ausgehalten, so wurden sie wol nach altem Herkommen von ihrem Herrn wehrhaft gemacht und mit einem gnädigen Backenstreich als Junker entlassen. Dann kehrten sie auf das väterliche Gut zurück, oder die Eltern verkauften, was sie entbehren konnten, um ihnen eine rittermäßige Ausrüstung zu verschaffen und sie als Aspiranten für eine Subalternstelle zum kaiserlichen Heer zu senden. Nur wenigen glückte es in den ruhmlosen Kriegen jener Zeit; die meisten kehrten nach einigen Feldzügen verdorben, arm an Ehren und Beute in die Heimath zurück, mit den Geschwistern das Vater¬ erbe zu theilen. Bald unterschieden sie sich wenig von den Vettern, die in der Heimath zurückgeblieben waren. Der Gutsherr hauste in einem Gebäude von Fachwerk mit Stroh oder Schin¬ deln gedeckt. — es sind uns gelegentliche Beschreibungen und Abbildungen in genügender Zahl erhalten — über das Dach lehnte die große Feuerleiter, die Vorder- und Hinterthür des Flurs war mit hölzernen Sperrbalkcn zum nächtlichen Verschluß versehn, im Unterstvck lag die große Stube, in der Nähe die weite Küche, zugleich ein warmer Aufenthalt für die Dienenden, neben der Stube ein gemauertes Gewölbe, mit Eisengittern am Fenster und womöglich mit eisernen Thüren gegen Diebe und Feuersgefahr. dort wurde aufbewahrt, was der Gutsherr von werthvoller Habe besaß, war einmal eine Summe Geld darin verschlossen, so wurde gern ein besonderer Wächter vor das Haus gesetzt. Ueber diesem Gewölbe im Oberstock lag die Schlafstube des Hausherrn, dort stand das Ehebett, auch dort war in der Wand oder in den Dielen ein verborgenes Behältniß, worin einiges Silbergeräth und der Schmuck der Frauen aufbewahrt wurde. Die Kinder, der Hauslehrer und die Ausgeberin schliefen in Gatterverschlägen. welche nicht heizbar waren. Zuweilen war an den Oberstock eine hölzerne Gallerie angebaut, „Lustgäng¬ lein," dort wurde wol Wäsche getrocknet, der Hof beobachtet, Frauenarbeit gethan. Das Haus stand unter besondrer Aussicht'eines alten Reisigen, oder eines 2»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/23>, abgerufen am 21.05.2024.