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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band.

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armen Vetters, der als Wächter innerhalb schlief; im Hofe und um das Haus
liefen zur Nachtzeit wilde Hunde, welche auf Bettler und fremde Fußläuser
besonders abgerichtet wurden. Alle diese Vorsichtsmaßregeln vermochten aber
die Einbrüche bewaffneter Banden nicht ganz zu verhindern. -- Selbst ein
mäßiges Rittergut war ein freudearmer Besitz. Die Mehrzahl der Gutsherren
war tief verschuldet, unförmliche Processe, oft noch von dem Kriege her, schweb¬
ten um Schornstein und Greuzhügel. Die Wirthschaft bewegte sich kümmer¬
lich unter der Aufsicht eines armen Vetters oder eines unsichern Verwalters,
die Getreidepreise waren nach dem Kriege im Durchschnitt so niedrig, daß kaum
das Verfahren der Frucht lohnte, der Viehstand unvollständig, neue Kapitalien
noch schwer zu erhalten. Denn das Geld war theuer und die Hypotheken
aus adligen Gütern galten für keine vorteilhafte Anlage. Zwar gaben sie
einige Realsicherheit, aber schon die Zinsen wurden zu ost unregelmäßig be¬
richtigt und vollends das gekündigte Kapital konnte nicht leicht zurückgezahlt wer¬
den, die Erwerbung des verpfändeten Gutes durch den Gläubiger aber war
-- bei sehr verschiedner Gesetzgebung -- nur in einzelnen Fällen nach umständ¬
lichen Verfahren möglich, sie wurde zuweilen gefährlich, denn den neuen Er-
werber bedrohten die Freunde und Nachbarn des Schuldners mit ihrem Haß.
So kam auch ein verständiger Grundbesitzer leicht in verzweifelte Lage. Eine
Mißernte, ein Viehheerden, mochten ihn wahrscheinlich ruiniren. Aber was das
Hauptleiter war. eine große Zahl hatte nicht den müßigen Sinn, sich dauernd um
die Wirthschaft zu kümmern und die Ausgabe nach den sicheren Einnahmen des
Guts zu beschränken. So gedieh den Wenigsten ihr Leben. Die Mehrzahl erhielt
sich uuter häufigen Verlegenheiten, Processen und ewigen Schulden, auch von
denen, welche mit besserer Hoffnung ihre Güter übernommen hatten, wurden
manche zuletzt, was eine große Zahl ihrer Standesgenossen war, Mitglieder der
großen Innung, welche das Volk Krippenreiter, Matzmufer, Schlackenläufer,
Misthammel schalt.

Solche Verarmte ritten in "Kuppeln" von Hof zu Hof, als lästige Schma¬
rotzer sielen sie in der Nachbarschaft ein, wo auf einem Gut ein Fest gefeiert
würde, wo sie Vorrüthe in Küche und Keller witterten. Wehe dem neuen Be¬
kannten, den sie am dritten Ort kennen gelernt hatten; sie waren sogleich bei
der Hand, ihn auf einen oder acht Tage zu begleiten. Wo sie eingefallen
waren, kostete es die größte Mühe, sie fortzubringen. In ihrem Umgange
nicht wählerisch, tranken und rauften sie sich wol mit den Bauern in der
Schenke, sie erwiesen in der Trunkenheit auch einem Bürger mit gefülltem
Beutel die Ehre, ihn in ihre Brüderschaft aufzunehmen, dann wurde unter
zerschlagenen Gläsern und Flaschen auf Knieen die Brüderschaft geschlossen,
Leib und Seele zu ewiger Treue verschworen, und gemeinschaftlich der für den
ärgsten Cujou erklärt, der nicht unverbrüchliche Freundschaft halten würde.


armen Vetters, der als Wächter innerhalb schlief; im Hofe und um das Haus
liefen zur Nachtzeit wilde Hunde, welche auf Bettler und fremde Fußläuser
besonders abgerichtet wurden. Alle diese Vorsichtsmaßregeln vermochten aber
die Einbrüche bewaffneter Banden nicht ganz zu verhindern. — Selbst ein
mäßiges Rittergut war ein freudearmer Besitz. Die Mehrzahl der Gutsherren
war tief verschuldet, unförmliche Processe, oft noch von dem Kriege her, schweb¬
ten um Schornstein und Greuzhügel. Die Wirthschaft bewegte sich kümmer¬
lich unter der Aufsicht eines armen Vetters oder eines unsichern Verwalters,
die Getreidepreise waren nach dem Kriege im Durchschnitt so niedrig, daß kaum
das Verfahren der Frucht lohnte, der Viehstand unvollständig, neue Kapitalien
noch schwer zu erhalten. Denn das Geld war theuer und die Hypotheken
aus adligen Gütern galten für keine vorteilhafte Anlage. Zwar gaben sie
einige Realsicherheit, aber schon die Zinsen wurden zu ost unregelmäßig be¬
richtigt und vollends das gekündigte Kapital konnte nicht leicht zurückgezahlt wer¬
den, die Erwerbung des verpfändeten Gutes durch den Gläubiger aber war
— bei sehr verschiedner Gesetzgebung — nur in einzelnen Fällen nach umständ¬
lichen Verfahren möglich, sie wurde zuweilen gefährlich, denn den neuen Er-
werber bedrohten die Freunde und Nachbarn des Schuldners mit ihrem Haß.
So kam auch ein verständiger Grundbesitzer leicht in verzweifelte Lage. Eine
Mißernte, ein Viehheerden, mochten ihn wahrscheinlich ruiniren. Aber was das
Hauptleiter war. eine große Zahl hatte nicht den müßigen Sinn, sich dauernd um
die Wirthschaft zu kümmern und die Ausgabe nach den sicheren Einnahmen des
Guts zu beschränken. So gedieh den Wenigsten ihr Leben. Die Mehrzahl erhielt
sich uuter häufigen Verlegenheiten, Processen und ewigen Schulden, auch von
denen, welche mit besserer Hoffnung ihre Güter übernommen hatten, wurden
manche zuletzt, was eine große Zahl ihrer Standesgenossen war, Mitglieder der
großen Innung, welche das Volk Krippenreiter, Matzmufer, Schlackenläufer,
Misthammel schalt.

Solche Verarmte ritten in „Kuppeln" von Hof zu Hof, als lästige Schma¬
rotzer sielen sie in der Nachbarschaft ein, wo auf einem Gut ein Fest gefeiert
würde, wo sie Vorrüthe in Küche und Keller witterten. Wehe dem neuen Be¬
kannten, den sie am dritten Ort kennen gelernt hatten; sie waren sogleich bei
der Hand, ihn auf einen oder acht Tage zu begleiten. Wo sie eingefallen
waren, kostete es die größte Mühe, sie fortzubringen. In ihrem Umgange
nicht wählerisch, tranken und rauften sie sich wol mit den Bauern in der
Schenke, sie erwiesen in der Trunkenheit auch einem Bürger mit gefülltem
Beutel die Ehre, ihn in ihre Brüderschaft aufzunehmen, dann wurde unter
zerschlagenen Gläsern und Flaschen auf Knieen die Brüderschaft geschlossen,
Leib und Seele zu ewiger Treue verschworen, und gemeinschaftlich der für den
ärgsten Cujou erklärt, der nicht unverbrüchliche Freundschaft halten würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_109805/24>, abgerufen am 21.05.2024.