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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Haus aber gewiß nicht. Der Entwurf beweist recht deutlich den inneren
Zwiespalt in unserem Ministerium. Wenn der liberale Theil desselben es
durchgesetzt hat, daß überhaupt ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz einge¬
bracht ist, so hat dagegen der antiliberale Theil des Ministeriums es ver¬
standen, den Inhalt des Entwurfs so weit zu verunstalten und abzuschwä¬
chen, daß Man lieber gar kein Gesetz haben wird als dieses.

Man streitet häufig über den wahren Werth eines Gesetzes in Betreff
der Verantwortlichkeit der Minister. Manche halten ein solches Gesetz für
ein ziemlich überflüssiges constitutionelles Spielzeug. Ändere erklären die Mi-
Nisterverantwortlichkeit sür den eigentlichen Schlußstein der Verfassung und für
diejenige Garantie, welche allen übrigen erst Haltbarkeit und wirkliche Be¬
deutung gewährt. Diese Streitfrage mag dahingestellt bleiben. Aber auf
jeden Fall wird man Folgendes zugeben. Die Oeffentlichkeit zieht die Mi¬
nister jeden Tag zur Verantwortung; sie discutirt unausgesetzt über jeden
Act der Regierung. Wenn die Stimme der Presse überhört wird, kann die
Landesvertretung ihr se'N nöthigen Nachdruck verleihen. Diese Art der Ver¬
antwortlichkeit genügt vollkommen, so lange das Ministerium aufrichtig an
der Verfassung festhält. In diesem Falle braucht man kein besonderes Ge¬
setz über die Verantwortlichkeit; denn es wird zwar sehr häusig über die
Zweckmäßigkeit, aber nie über die Rechtmäßigkeit der Regierungshandlungen
gestritten werden. Statt dieser politischen wird die strafrechtliche Verantwort¬
lichkeit der Minister erst dann nothwendig, wenn die Absicht einer Ver-
fassungsoerletzung vorausgesetzt werden darf. Gerade für solche Fälle aber,
in denen es allein wirksam werden kann, muß das Gesetz die stärksten Ga-
rantieen enthalten, wenn es nicht eine leere Täuschung sein soll.

Unser Ministerium ist der entgegengesetzten Ansicht. Mit diesem Gesetz¬
entwurf betritt es eine Bahn, aus welcher das Ministerium Manteuffel sich
eine große Uebung erworben hatte; das Ministerium Hohenzollern hatte sich
bis jetzt noch vor dem ersten Schritt in dieser Richtung gehütet. Jetzt soll,
damit die Ministerverantwortlichkeit nicht eine Wahrheit werde, die Verfassung
in wenigstens drei wesentlichen Punkten rückwärts revidirt werden. Dahl-
mann in seiner Politik hält es für unbedingt nothwendig, daß bei einer
Ministeranklage der König auf das Recht der Begnadigung und, wo
Abolition stattfindet, auch auf das Recht der Abolition verzichte. Bei Wei¬
tem milder bestimmt unsere Verfassung im Artikel 49, daß einem verurtheil-
ten Minister gegenüber das Begnadigungsrecht nicht aufgehoben, sondern
nur beschränkt sein soll. Es soll bedingt sein durch den Antrag derjenigen
Kammer, von welcher die Anklage ausgegangen ist. Auch diese Beschrän¬
kung des Begnadigungsrechts will die jetzige Vorlage beseitigen. Während
der letzten Ministerkrisis behauptete die Kreuzzeitung. ein Theil der Mimi-


Haus aber gewiß nicht. Der Entwurf beweist recht deutlich den inneren
Zwiespalt in unserem Ministerium. Wenn der liberale Theil desselben es
durchgesetzt hat, daß überhaupt ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz einge¬
bracht ist, so hat dagegen der antiliberale Theil des Ministeriums es ver¬
standen, den Inhalt des Entwurfs so weit zu verunstalten und abzuschwä¬
chen, daß Man lieber gar kein Gesetz haben wird als dieses.

Man streitet häufig über den wahren Werth eines Gesetzes in Betreff
der Verantwortlichkeit der Minister. Manche halten ein solches Gesetz für
ein ziemlich überflüssiges constitutionelles Spielzeug. Ändere erklären die Mi-
Nisterverantwortlichkeit sür den eigentlichen Schlußstein der Verfassung und für
diejenige Garantie, welche allen übrigen erst Haltbarkeit und wirkliche Be¬
deutung gewährt. Diese Streitfrage mag dahingestellt bleiben. Aber auf
jeden Fall wird man Folgendes zugeben. Die Oeffentlichkeit zieht die Mi¬
nister jeden Tag zur Verantwortung; sie discutirt unausgesetzt über jeden
Act der Regierung. Wenn die Stimme der Presse überhört wird, kann die
Landesvertretung ihr se'N nöthigen Nachdruck verleihen. Diese Art der Ver¬
antwortlichkeit genügt vollkommen, so lange das Ministerium aufrichtig an
der Verfassung festhält. In diesem Falle braucht man kein besonderes Ge¬
setz über die Verantwortlichkeit; denn es wird zwar sehr häusig über die
Zweckmäßigkeit, aber nie über die Rechtmäßigkeit der Regierungshandlungen
gestritten werden. Statt dieser politischen wird die strafrechtliche Verantwort¬
lichkeit der Minister erst dann nothwendig, wenn die Absicht einer Ver-
fassungsoerletzung vorausgesetzt werden darf. Gerade für solche Fälle aber,
in denen es allein wirksam werden kann, muß das Gesetz die stärksten Ga-
rantieen enthalten, wenn es nicht eine leere Täuschung sein soll.

Unser Ministerium ist der entgegengesetzten Ansicht. Mit diesem Gesetz¬
entwurf betritt es eine Bahn, aus welcher das Ministerium Manteuffel sich
eine große Uebung erworben hatte; das Ministerium Hohenzollern hatte sich
bis jetzt noch vor dem ersten Schritt in dieser Richtung gehütet. Jetzt soll,
damit die Ministerverantwortlichkeit nicht eine Wahrheit werde, die Verfassung
in wenigstens drei wesentlichen Punkten rückwärts revidirt werden. Dahl-
mann in seiner Politik hält es für unbedingt nothwendig, daß bei einer
Ministeranklage der König auf das Recht der Begnadigung und, wo
Abolition stattfindet, auch auf das Recht der Abolition verzichte. Bei Wei¬
tem milder bestimmt unsere Verfassung im Artikel 49, daß einem verurtheil-
ten Minister gegenüber das Begnadigungsrecht nicht aufgehoben, sondern
nur beschränkt sein soll. Es soll bedingt sein durch den Antrag derjenigen
Kammer, von welcher die Anklage ausgegangen ist. Auch diese Beschrän¬
kung des Begnadigungsrechts will die jetzige Vorlage beseitigen. Während
der letzten Ministerkrisis behauptete die Kreuzzeitung. ein Theil der Mimi-


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[0245] Haus aber gewiß nicht. Der Entwurf beweist recht deutlich den inneren Zwiespalt in unserem Ministerium. Wenn der liberale Theil desselben es durchgesetzt hat, daß überhaupt ein Ministerverantwortlichkeitsgesetz einge¬ bracht ist, so hat dagegen der antiliberale Theil des Ministeriums es ver¬ standen, den Inhalt des Entwurfs so weit zu verunstalten und abzuschwä¬ chen, daß Man lieber gar kein Gesetz haben wird als dieses. Man streitet häufig über den wahren Werth eines Gesetzes in Betreff der Verantwortlichkeit der Minister. Manche halten ein solches Gesetz für ein ziemlich überflüssiges constitutionelles Spielzeug. Ändere erklären die Mi- Nisterverantwortlichkeit sür den eigentlichen Schlußstein der Verfassung und für diejenige Garantie, welche allen übrigen erst Haltbarkeit und wirkliche Be¬ deutung gewährt. Diese Streitfrage mag dahingestellt bleiben. Aber auf jeden Fall wird man Folgendes zugeben. Die Oeffentlichkeit zieht die Mi¬ nister jeden Tag zur Verantwortung; sie discutirt unausgesetzt über jeden Act der Regierung. Wenn die Stimme der Presse überhört wird, kann die Landesvertretung ihr se'N nöthigen Nachdruck verleihen. Diese Art der Ver¬ antwortlichkeit genügt vollkommen, so lange das Ministerium aufrichtig an der Verfassung festhält. In diesem Falle braucht man kein besonderes Ge¬ setz über die Verantwortlichkeit; denn es wird zwar sehr häusig über die Zweckmäßigkeit, aber nie über die Rechtmäßigkeit der Regierungshandlungen gestritten werden. Statt dieser politischen wird die strafrechtliche Verantwort¬ lichkeit der Minister erst dann nothwendig, wenn die Absicht einer Ver- fassungsoerletzung vorausgesetzt werden darf. Gerade für solche Fälle aber, in denen es allein wirksam werden kann, muß das Gesetz die stärksten Ga- rantieen enthalten, wenn es nicht eine leere Täuschung sein soll. Unser Ministerium ist der entgegengesetzten Ansicht. Mit diesem Gesetz¬ entwurf betritt es eine Bahn, aus welcher das Ministerium Manteuffel sich eine große Uebung erworben hatte; das Ministerium Hohenzollern hatte sich bis jetzt noch vor dem ersten Schritt in dieser Richtung gehütet. Jetzt soll, damit die Ministerverantwortlichkeit nicht eine Wahrheit werde, die Verfassung in wenigstens drei wesentlichen Punkten rückwärts revidirt werden. Dahl- mann in seiner Politik hält es für unbedingt nothwendig, daß bei einer Ministeranklage der König auf das Recht der Begnadigung und, wo Abolition stattfindet, auch auf das Recht der Abolition verzichte. Bei Wei¬ tem milder bestimmt unsere Verfassung im Artikel 49, daß einem verurtheil- ten Minister gegenüber das Begnadigungsrecht nicht aufgehoben, sondern nur beschränkt sein soll. Es soll bedingt sein durch den Antrag derjenigen Kammer, von welcher die Anklage ausgegangen ist. Auch diese Beschrän¬ kung des Begnadigungsrechts will die jetzige Vorlage beseitigen. Während der letzten Ministerkrisis behauptete die Kreuzzeitung. ein Theil der Mimi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/245>, abgerufen am 06.06.2024.