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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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ster wolle den Schwerpunkt der Verfassung von der Krone in die Kammer
verlegen. Mit dieser Insinuation waren diejenigen Minister gemeint, welche
die von der Verfassung vorgeschriebene Beschränkung des Begnadigungsrechts
für den vorliegenden Fall wollten bestehen lassen.

Ferner: unsere Verfassung bestimmt im Artikel 61, daß jedes Haus für
sich das Recht der Ministernntlage haben soll. Die jetzige Vorlage will dies
Recht nur beiden Häusern gemeinschaftlich zugestehen. Wenn aber die Mi¬
nister nicht eher angeklagt werden können, als bis das jetzige Herren¬
haus sich mit dem Abgeordnetenhaus über eiuen gemeinsamen Beschluß ver¬
ständigt hat. dann mögen sie ungestört die ganze Verfassung auf den Kopf steilen.

Endlich drittens', die Verfassung bestimmt das Obertribunal ein für alle¬
mal zum Gerichtshof in Fällen der Mimsteranklage. Der jetzige Entwurf
will, daß für jeden einzelnen Fall ein besonderer Gerichtshof gebildet werde.
Es kann noch hinzugefügt werden, daß nach der Verfassung die Minister
außer wegen Verfassungsverletzung auch wegen Bestechung und Verrath ange¬
klagt werden können. Die Vorlage läßt nur die "Verfassungs-Verletzung"
stehen, weil wegen "Bestechung" und "Verrath" bereits im Strafgesetz die
nöthigen Vorschriften enthalten sind.

So ist diese Vorlage beschaffen. Bisher beklagte man sich immer darüber,
daß alle Gesetzentwürfe des Ministeriums an dem Widerstande des Herren¬
hauses scheiterten. Wenn aber die Regierung viele Entwürfe einbringt wie
diesen, dann dürfte sich das Verhältniß umkehren. Denn das Schicksal dieses
Entwurfs ist leicht vorherzusehen. Das Herrenhaus hat keinen Grund ihn zu
verwerfen; es wird kaum im Stande sein, ihn zu verschlechtern. Das Abge¬
ordnetenhaus aber wird sich die Anwartschaft, welche die Verfassung gibt,
nicht durch dieses Gesetz abkaufen lassen.

Auch die nächste Vorlage, welche dem Herrenhaus gemacht ist, wirt hier
besser aufgenommen werden, als im Abgeordnetenhaus. Es ist die bereits
vor acht Tagen erwähnte Novelle zum Gesetz vom 3. Sptbr. 13t4, betreffend
die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Damals hatte ich noch vorausgesetzt,
daß dieser Entwurf wegen seines nahen Zusammenhangs mit dem Budget
zuerst im Abgeordnetenhaus werde eingebracht werden. Der Kriegsminister
hat es anders beschlossen. Er rühmt die "angenehme Temperatur", die im
Herrenhause für die Armeereform herrscht, und verdächtigt das Abgeordnetenhaus,
daß es den angeblichen Zusammenhang zwischen dieser Vorlage und dem
Budget als Vorwand benutzen wolle, um die Erledigung des Budgets zu
verzögern. Herr von Roon hat leider eine Methode, die sehr wenig parlamen¬
tarisch ist; so wie er spricht, reizt er, und so wie man ihm antwortet, wird
er gereizt. Die wenigen Worte, mit denen er seine Vorlage im Herrenhaus
ingebracht hat, haben unter den Abgeordneten sehr viel böses Blut gemacht.


ster wolle den Schwerpunkt der Verfassung von der Krone in die Kammer
verlegen. Mit dieser Insinuation waren diejenigen Minister gemeint, welche
die von der Verfassung vorgeschriebene Beschränkung des Begnadigungsrechts
für den vorliegenden Fall wollten bestehen lassen.

Ferner: unsere Verfassung bestimmt im Artikel 61, daß jedes Haus für
sich das Recht der Ministernntlage haben soll. Die jetzige Vorlage will dies
Recht nur beiden Häusern gemeinschaftlich zugestehen. Wenn aber die Mi¬
nister nicht eher angeklagt werden können, als bis das jetzige Herren¬
haus sich mit dem Abgeordnetenhaus über eiuen gemeinsamen Beschluß ver¬
ständigt hat. dann mögen sie ungestört die ganze Verfassung auf den Kopf steilen.

Endlich drittens', die Verfassung bestimmt das Obertribunal ein für alle¬
mal zum Gerichtshof in Fällen der Mimsteranklage. Der jetzige Entwurf
will, daß für jeden einzelnen Fall ein besonderer Gerichtshof gebildet werde.
Es kann noch hinzugefügt werden, daß nach der Verfassung die Minister
außer wegen Verfassungsverletzung auch wegen Bestechung und Verrath ange¬
klagt werden können. Die Vorlage läßt nur die „Verfassungs-Verletzung"
stehen, weil wegen „Bestechung" und „Verrath" bereits im Strafgesetz die
nöthigen Vorschriften enthalten sind.

So ist diese Vorlage beschaffen. Bisher beklagte man sich immer darüber,
daß alle Gesetzentwürfe des Ministeriums an dem Widerstande des Herren¬
hauses scheiterten. Wenn aber die Regierung viele Entwürfe einbringt wie
diesen, dann dürfte sich das Verhältniß umkehren. Denn das Schicksal dieses
Entwurfs ist leicht vorherzusehen. Das Herrenhaus hat keinen Grund ihn zu
verwerfen; es wird kaum im Stande sein, ihn zu verschlechtern. Das Abge¬
ordnetenhaus aber wird sich die Anwartschaft, welche die Verfassung gibt,
nicht durch dieses Gesetz abkaufen lassen.

Auch die nächste Vorlage, welche dem Herrenhaus gemacht ist, wirt hier
besser aufgenommen werden, als im Abgeordnetenhaus. Es ist die bereits
vor acht Tagen erwähnte Novelle zum Gesetz vom 3. Sptbr. 13t4, betreffend
die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Damals hatte ich noch vorausgesetzt,
daß dieser Entwurf wegen seines nahen Zusammenhangs mit dem Budget
zuerst im Abgeordnetenhaus werde eingebracht werden. Der Kriegsminister
hat es anders beschlossen. Er rühmt die „angenehme Temperatur", die im
Herrenhause für die Armeereform herrscht, und verdächtigt das Abgeordnetenhaus,
daß es den angeblichen Zusammenhang zwischen dieser Vorlage und dem
Budget als Vorwand benutzen wolle, um die Erledigung des Budgets zu
verzögern. Herr von Roon hat leider eine Methode, die sehr wenig parlamen¬
tarisch ist; so wie er spricht, reizt er, und so wie man ihm antwortet, wird
er gereizt. Die wenigen Worte, mit denen er seine Vorlage im Herrenhaus
ingebracht hat, haben unter den Abgeordneten sehr viel böses Blut gemacht.


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[0246] ster wolle den Schwerpunkt der Verfassung von der Krone in die Kammer verlegen. Mit dieser Insinuation waren diejenigen Minister gemeint, welche die von der Verfassung vorgeschriebene Beschränkung des Begnadigungsrechts für den vorliegenden Fall wollten bestehen lassen. Ferner: unsere Verfassung bestimmt im Artikel 61, daß jedes Haus für sich das Recht der Ministernntlage haben soll. Die jetzige Vorlage will dies Recht nur beiden Häusern gemeinschaftlich zugestehen. Wenn aber die Mi¬ nister nicht eher angeklagt werden können, als bis das jetzige Herren¬ haus sich mit dem Abgeordnetenhaus über eiuen gemeinsamen Beschluß ver¬ ständigt hat. dann mögen sie ungestört die ganze Verfassung auf den Kopf steilen. Endlich drittens', die Verfassung bestimmt das Obertribunal ein für alle¬ mal zum Gerichtshof in Fällen der Mimsteranklage. Der jetzige Entwurf will, daß für jeden einzelnen Fall ein besonderer Gerichtshof gebildet werde. Es kann noch hinzugefügt werden, daß nach der Verfassung die Minister außer wegen Verfassungsverletzung auch wegen Bestechung und Verrath ange¬ klagt werden können. Die Vorlage läßt nur die „Verfassungs-Verletzung" stehen, weil wegen „Bestechung" und „Verrath" bereits im Strafgesetz die nöthigen Vorschriften enthalten sind. So ist diese Vorlage beschaffen. Bisher beklagte man sich immer darüber, daß alle Gesetzentwürfe des Ministeriums an dem Widerstande des Herren¬ hauses scheiterten. Wenn aber die Regierung viele Entwürfe einbringt wie diesen, dann dürfte sich das Verhältniß umkehren. Denn das Schicksal dieses Entwurfs ist leicht vorherzusehen. Das Herrenhaus hat keinen Grund ihn zu verwerfen; es wird kaum im Stande sein, ihn zu verschlechtern. Das Abge¬ ordnetenhaus aber wird sich die Anwartschaft, welche die Verfassung gibt, nicht durch dieses Gesetz abkaufen lassen. Auch die nächste Vorlage, welche dem Herrenhaus gemacht ist, wirt hier besser aufgenommen werden, als im Abgeordnetenhaus. Es ist die bereits vor acht Tagen erwähnte Novelle zum Gesetz vom 3. Sptbr. 13t4, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienst. Damals hatte ich noch vorausgesetzt, daß dieser Entwurf wegen seines nahen Zusammenhangs mit dem Budget zuerst im Abgeordnetenhaus werde eingebracht werden. Der Kriegsminister hat es anders beschlossen. Er rühmt die „angenehme Temperatur", die im Herrenhause für die Armeereform herrscht, und verdächtigt das Abgeordnetenhaus, daß es den angeblichen Zusammenhang zwischen dieser Vorlage und dem Budget als Vorwand benutzen wolle, um die Erledigung des Budgets zu verzögern. Herr von Roon hat leider eine Methode, die sehr wenig parlamen¬ tarisch ist; so wie er spricht, reizt er, und so wie man ihm antwortet, wird er gereizt. Die wenigen Worte, mit denen er seine Vorlage im Herrenhaus ingebracht hat, haben unter den Abgeordneten sehr viel böses Blut gemacht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/246>, abgerufen am 28.05.2024.