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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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sagte: "Nachher reiten Sie weg. wenn es los geht, und ich verliere mein'
Gewehr." Er versicherte, es nur wieder geben zu wollen, stieg ab, ließ mich reiten
und ging zu Fuß und trug mein Gewehr. Nachdem ich mich ausgeruht, gab
ich ihm das Pferd zurück, er bestieg es, bestand aber darauf, mein Gewehr
noch weiter zu tragen. Auf das Zureden eines unserer Offiziere, die, da sie
ihre Pferde beim Beginn des Gefechts zurückgeschickt hatten, ebenfalls zu Fuß
gehen mußten, ließ ich dem Lieutenant die Muskete. Ich habe aber weder
ihn noch mein Gewehr je wieder gesehn.

Der Rückzug wurde nach Stadt Ilm fortgesetzt, welches wir gegen 2 Uhr
des Morgens erreichten. Das für mich Merkwürdige war. daß meine Kiel,
der ganz trocken geworden waren. Wir bivouakirten in den Stadtgraben von
Ilm. blieben diesen Tag und den folgenden dort liegen und ruhten ordentlich
aus. Wir hörten von dem unglücklichen Gefecht von Saalfeld und dem Tode
des Prinzen Louis Ferdinand, der die Avantgarde befehligt hatte, und diese
Nachrichten hoben unsern Muth keinesweges. Am 13. October des Morgens
brach das Bataillon wieder auf. Als wir den Marsch angetreten hatten,
sah ich den Chef unserer Füsillerbngade, den General Pelee. wieder an unse¬
rer Spitze, der sich seit dem 10. nicht Halle blicken lassen, wo die letzten Worte,
welche ick von ihm gehört halte, die gewesen waren, "was zu halten war, haben
wir gehalten." Ich marschiru als Flügelunterofsizier ebenfalls an der Tete
und konnte Alles hören, was er zu unserem würdigen Cotnmandeur. dem
alten Obersten Schuler von Senden sagte. Wir hatten die Bestimmung er"
halten nach Jserstädt und Bierzehn heiligen uns zu dirigiren. um da aufgestellt
zu werden. Merkwürdig ist mir die immerwährende Wiederholung dieser bei¬
den Namen geblieben. Wir hatten keine hundert Schritte zurückgelegt, als
der General sagte: "Jserstädt und VierzehnheUigcn". nach ein paar Minuten
wieder: "Jserstädt und Bierzehnheiligcn," und so ging es fast zwei Stunden
fort, bis wir angekommen waren. Ich fand das so komisch, daß ich es nie
vergessen habe.

Wir standen auf dem äußersten Vorposten dem Feinde gegenüber, den ich
hier zum ersten Male sah. Der ganze Tag ging mit Herumschießen auf die
einzelnen Posten der Franzosen hin, indem einige Offiziere, die Jäger und
gute Schützen waren, sich bemühten, die etwa 5--600 Schritt uns gegenüber¬
stehenden einzelnen Posten zu treffen. Des Abends verließen wir unsere
Stellung, und die Compagnie besetzte ein Gebüsch, in welchem wir bivoua-
klltcn.

Beim Anbruch des verhängnißvollen 14. Octobers standen mehrere Offi¬
ziere. unter denen mein Capitän und auch ich mich befand, am Wachfeuer,
um sich zu wärmen. Die Offiziere unterhielten sich von den Begebenheiten
des vergangenen Tages und stellten die Frage: ob es heute etwas Ernstliches


Grenzboten I. 1862. 4

sagte: „Nachher reiten Sie weg. wenn es los geht, und ich verliere mein'
Gewehr." Er versicherte, es nur wieder geben zu wollen, stieg ab, ließ mich reiten
und ging zu Fuß und trug mein Gewehr. Nachdem ich mich ausgeruht, gab
ich ihm das Pferd zurück, er bestieg es, bestand aber darauf, mein Gewehr
noch weiter zu tragen. Auf das Zureden eines unserer Offiziere, die, da sie
ihre Pferde beim Beginn des Gefechts zurückgeschickt hatten, ebenfalls zu Fuß
gehen mußten, ließ ich dem Lieutenant die Muskete. Ich habe aber weder
ihn noch mein Gewehr je wieder gesehn.

Der Rückzug wurde nach Stadt Ilm fortgesetzt, welches wir gegen 2 Uhr
des Morgens erreichten. Das für mich Merkwürdige war. daß meine Kiel,
der ganz trocken geworden waren. Wir bivouakirten in den Stadtgraben von
Ilm. blieben diesen Tag und den folgenden dort liegen und ruhten ordentlich
aus. Wir hörten von dem unglücklichen Gefecht von Saalfeld und dem Tode
des Prinzen Louis Ferdinand, der die Avantgarde befehligt hatte, und diese
Nachrichten hoben unsern Muth keinesweges. Am 13. October des Morgens
brach das Bataillon wieder auf. Als wir den Marsch angetreten hatten,
sah ich den Chef unserer Füsillerbngade, den General Pelee. wieder an unse¬
rer Spitze, der sich seit dem 10. nicht Halle blicken lassen, wo die letzten Worte,
welche ick von ihm gehört halte, die gewesen waren, „was zu halten war, haben
wir gehalten." Ich marschiru als Flügelunterofsizier ebenfalls an der Tete
und konnte Alles hören, was er zu unserem würdigen Cotnmandeur. dem
alten Obersten Schuler von Senden sagte. Wir hatten die Bestimmung er«
halten nach Jserstädt und Bierzehn heiligen uns zu dirigiren. um da aufgestellt
zu werden. Merkwürdig ist mir die immerwährende Wiederholung dieser bei¬
den Namen geblieben. Wir hatten keine hundert Schritte zurückgelegt, als
der General sagte: „Jserstädt und VierzehnheUigcn". nach ein paar Minuten
wieder: „Jserstädt und Bierzehnheiligcn," und so ging es fast zwei Stunden
fort, bis wir angekommen waren. Ich fand das so komisch, daß ich es nie
vergessen habe.

Wir standen auf dem äußersten Vorposten dem Feinde gegenüber, den ich
hier zum ersten Male sah. Der ganze Tag ging mit Herumschießen auf die
einzelnen Posten der Franzosen hin, indem einige Offiziere, die Jäger und
gute Schützen waren, sich bemühten, die etwa 5—600 Schritt uns gegenüber¬
stehenden einzelnen Posten zu treffen. Des Abends verließen wir unsere
Stellung, und die Compagnie besetzte ein Gebüsch, in welchem wir bivoua-
klltcn.

Beim Anbruch des verhängnißvollen 14. Octobers standen mehrere Offi¬
ziere. unter denen mein Capitän und auch ich mich befand, am Wachfeuer,
um sich zu wärmen. Die Offiziere unterhielten sich von den Begebenheiten
des vergangenen Tages und stellten die Frage: ob es heute etwas Ernstliches


Grenzboten I. 1862. 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/33>, abgerufen am 13.05.2024.