Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.Nun wachten die alten Scrupel wieder auf. Der Beichtvater des Königs Dazu kam, daß das persönliche Verhältniß zu Katharina täglich unleid¬ Zu diesen Beweggründen der inneren Politik, zu den religiösen Bedenken, Merkwürdig ist nun, wie der erste Anstoß zur Lösung der englisch¬ Nun wachten die alten Scrupel wieder auf. Der Beichtvater des Königs Dazu kam, daß das persönliche Verhältniß zu Katharina täglich unleid¬ Zu diesen Beweggründen der inneren Politik, zu den religiösen Bedenken, Merkwürdig ist nun, wie der erste Anstoß zur Lösung der englisch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/113697"/> <p xml:id="ID_1448" prev="#ID_1447"> Nun wachten die alten Scrupel wieder auf. Der Beichtvater des Königs<lb/> selbst regte in ihm solche Bedenken an. Die in den Büchern Mose gegen<lb/> eine solche Ehe angedrohte Strafe hatte sich fast wörtlich erfüllt. „Wenn<lb/> jemand seines Bruders Weib nimmt, das ist eine schändliche That; die sollen<lb/> ohne Kinder sein, darum, daß er hat seines Bruders Schaalen geblößet." Dem<lb/> gläubig-abergläubischen Sinn des Königs entspricht es ganz, daß er in seiner<lb/> Kinderlosigkeit eine göttliche Strafe sah. Gewiß ist. daß diese Scrupel nicht<lb/> ein bloßer Vorwand waren, um eine andere Verbindung möglich zu machen.<lb/> Denn sie waren entstanden und laut geworden, bevor der König Anna Boleyn<lb/> je gesehen hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1449"> Dazu kam, daß das persönliche Verhältniß zu Katharina täglich unleid¬<lb/> licher wurde. Sie sowohl wie der König waren stolz, herrschsüchtig, eigensinnig.<lb/> Aber Heinrich war zugleich heißblütig, leidenschaftlich, er liebte heitere Ge¬<lb/> sellschaft und hatte eine Hinneigung zu derber Sinnlichkeit; Katharina dage¬<lb/> gen war kalt, zurückhaltend, ceremoniell. sie ergab sich mehr und mehr den<lb/> spanischen Formen einer strengen Frömmigkeit und entfremdete sich dadurch<lb/> den König, der ohnehin in mancherlei romantische Verhältnisse verwickelt war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1450"> Zu diesen Beweggründen der inneren Politik, zu den religiösen Bedenken,<lb/> zu den persönlichen Verstimmungen trat jetzt ein Umschwung in der gesamm-<lb/> ten Lage der auswärtigen Politik. Es ist der allgemeine Charakter dieser<lb/> Zeit, daß Familienverbindungen in der Regel als der Ausdruck politischer<lb/> Allianzen betrachtet werden. Als die spanische Infantin mit dem englischen<lb/> Thronfolger vermählt wurde, war dies der Ausdruck einer gegen Frankreich<lb/> gerichteten Allianz von England und Spanien-Burgund gewesen. Jetzt löste<lb/> sich dieses Bündniß. und an die Stelle desselben trat eine Annäherung zwischen<lb/> Frankreich und England mit der ausgesprochenen Absicht, ein Gegengewicht<lb/> gegen die die Unabhängigkeit aller Staaten bedrohende Weltmacht Karl's des<lb/> Fünften' zu bilden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1451" next="#ID_1452"> Merkwürdig ist nun, wie der erste Anstoß zur Lösung der englisch¬<lb/> spanischen Allianz vom päpstlichen Stuhle ausging. Nach der Schlacht von<lb/> Pavia (1525), nach der Einnahme Roms durch die kaiserlichen Truppen (1527)<lb/> galt Karl der Fünfte als der Führer der nntipäpstlichen Partei in Europa.<lb/> Unter den Truppen des Connetable von Bourbon, welche Rom erstürmten,<lb/> waren zahlreiche Lutheraner; und während der Papst Clemens der Siebente<lb/> in der Engelsburg eingeschlossen war. ließen die Landsknechte des alten Georg<lb/> von Frundsberg den Martin Luther leben und führten vor den Augen des<lb/> heiligen Vaters die ärgerlichsten Processionen auf. in denen dieser selbst und<lb/> die Cardinäle in lächerlichen Verkleidungen die Hauptrolle spielten. Während<lb/> so das Kriegsvolk des Kaisers den Papst verspottete, war Heinrich der Achte<lb/> in einer literarischen Fehde mit Luther begriffen. Kein Wunder also, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0455]
Nun wachten die alten Scrupel wieder auf. Der Beichtvater des Königs
selbst regte in ihm solche Bedenken an. Die in den Büchern Mose gegen
eine solche Ehe angedrohte Strafe hatte sich fast wörtlich erfüllt. „Wenn
jemand seines Bruders Weib nimmt, das ist eine schändliche That; die sollen
ohne Kinder sein, darum, daß er hat seines Bruders Schaalen geblößet." Dem
gläubig-abergläubischen Sinn des Königs entspricht es ganz, daß er in seiner
Kinderlosigkeit eine göttliche Strafe sah. Gewiß ist. daß diese Scrupel nicht
ein bloßer Vorwand waren, um eine andere Verbindung möglich zu machen.
Denn sie waren entstanden und laut geworden, bevor der König Anna Boleyn
je gesehen hatte.
Dazu kam, daß das persönliche Verhältniß zu Katharina täglich unleid¬
licher wurde. Sie sowohl wie der König waren stolz, herrschsüchtig, eigensinnig.
Aber Heinrich war zugleich heißblütig, leidenschaftlich, er liebte heitere Ge¬
sellschaft und hatte eine Hinneigung zu derber Sinnlichkeit; Katharina dage¬
gen war kalt, zurückhaltend, ceremoniell. sie ergab sich mehr und mehr den
spanischen Formen einer strengen Frömmigkeit und entfremdete sich dadurch
den König, der ohnehin in mancherlei romantische Verhältnisse verwickelt war.
Zu diesen Beweggründen der inneren Politik, zu den religiösen Bedenken,
zu den persönlichen Verstimmungen trat jetzt ein Umschwung in der gesamm-
ten Lage der auswärtigen Politik. Es ist der allgemeine Charakter dieser
Zeit, daß Familienverbindungen in der Regel als der Ausdruck politischer
Allianzen betrachtet werden. Als die spanische Infantin mit dem englischen
Thronfolger vermählt wurde, war dies der Ausdruck einer gegen Frankreich
gerichteten Allianz von England und Spanien-Burgund gewesen. Jetzt löste
sich dieses Bündniß. und an die Stelle desselben trat eine Annäherung zwischen
Frankreich und England mit der ausgesprochenen Absicht, ein Gegengewicht
gegen die die Unabhängigkeit aller Staaten bedrohende Weltmacht Karl's des
Fünften' zu bilden.
Merkwürdig ist nun, wie der erste Anstoß zur Lösung der englisch¬
spanischen Allianz vom päpstlichen Stuhle ausging. Nach der Schlacht von
Pavia (1525), nach der Einnahme Roms durch die kaiserlichen Truppen (1527)
galt Karl der Fünfte als der Führer der nntipäpstlichen Partei in Europa.
Unter den Truppen des Connetable von Bourbon, welche Rom erstürmten,
waren zahlreiche Lutheraner; und während der Papst Clemens der Siebente
in der Engelsburg eingeschlossen war. ließen die Landsknechte des alten Georg
von Frundsberg den Martin Luther leben und führten vor den Augen des
heiligen Vaters die ärgerlichsten Processionen auf. in denen dieser selbst und
die Cardinäle in lächerlichen Verkleidungen die Hauptrolle spielten. Während
so das Kriegsvolk des Kaisers den Papst verspottete, war Heinrich der Achte
in einer literarischen Fehde mit Luther begriffen. Kein Wunder also, daß
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |