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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Nun wachten die alten Scrupel wieder auf. Der Beichtvater des Königs
selbst regte in ihm solche Bedenken an. Die in den Büchern Mose gegen
eine solche Ehe angedrohte Strafe hatte sich fast wörtlich erfüllt. "Wenn
jemand seines Bruders Weib nimmt, das ist eine schändliche That; die sollen
ohne Kinder sein, darum, daß er hat seines Bruders Schaalen geblößet." Dem
gläubig-abergläubischen Sinn des Königs entspricht es ganz, daß er in seiner
Kinderlosigkeit eine göttliche Strafe sah. Gewiß ist. daß diese Scrupel nicht
ein bloßer Vorwand waren, um eine andere Verbindung möglich zu machen.
Denn sie waren entstanden und laut geworden, bevor der König Anna Boleyn
je gesehen hatte.

Dazu kam, daß das persönliche Verhältniß zu Katharina täglich unleid¬
licher wurde. Sie sowohl wie der König waren stolz, herrschsüchtig, eigensinnig.
Aber Heinrich war zugleich heißblütig, leidenschaftlich, er liebte heitere Ge¬
sellschaft und hatte eine Hinneigung zu derber Sinnlichkeit; Katharina dage¬
gen war kalt, zurückhaltend, ceremoniell. sie ergab sich mehr und mehr den
spanischen Formen einer strengen Frömmigkeit und entfremdete sich dadurch
den König, der ohnehin in mancherlei romantische Verhältnisse verwickelt war.

Zu diesen Beweggründen der inneren Politik, zu den religiösen Bedenken,
zu den persönlichen Verstimmungen trat jetzt ein Umschwung in der gesamm-
ten Lage der auswärtigen Politik. Es ist der allgemeine Charakter dieser
Zeit, daß Familienverbindungen in der Regel als der Ausdruck politischer
Allianzen betrachtet werden. Als die spanische Infantin mit dem englischen
Thronfolger vermählt wurde, war dies der Ausdruck einer gegen Frankreich
gerichteten Allianz von England und Spanien-Burgund gewesen. Jetzt löste
sich dieses Bündniß. und an die Stelle desselben trat eine Annäherung zwischen
Frankreich und England mit der ausgesprochenen Absicht, ein Gegengewicht
gegen die die Unabhängigkeit aller Staaten bedrohende Weltmacht Karl's des
Fünften' zu bilden.

Merkwürdig ist nun, wie der erste Anstoß zur Lösung der englisch¬
spanischen Allianz vom päpstlichen Stuhle ausging. Nach der Schlacht von
Pavia (1525), nach der Einnahme Roms durch die kaiserlichen Truppen (1527)
galt Karl der Fünfte als der Führer der nntipäpstlichen Partei in Europa.
Unter den Truppen des Connetable von Bourbon, welche Rom erstürmten,
waren zahlreiche Lutheraner; und während der Papst Clemens der Siebente
in der Engelsburg eingeschlossen war. ließen die Landsknechte des alten Georg
von Frundsberg den Martin Luther leben und führten vor den Augen des
heiligen Vaters die ärgerlichsten Processionen auf. in denen dieser selbst und
die Cardinäle in lächerlichen Verkleidungen die Hauptrolle spielten. Während
so das Kriegsvolk des Kaisers den Papst verspottete, war Heinrich der Achte
in einer literarischen Fehde mit Luther begriffen. Kein Wunder also, daß


Nun wachten die alten Scrupel wieder auf. Der Beichtvater des Königs
selbst regte in ihm solche Bedenken an. Die in den Büchern Mose gegen
eine solche Ehe angedrohte Strafe hatte sich fast wörtlich erfüllt. „Wenn
jemand seines Bruders Weib nimmt, das ist eine schändliche That; die sollen
ohne Kinder sein, darum, daß er hat seines Bruders Schaalen geblößet." Dem
gläubig-abergläubischen Sinn des Königs entspricht es ganz, daß er in seiner
Kinderlosigkeit eine göttliche Strafe sah. Gewiß ist. daß diese Scrupel nicht
ein bloßer Vorwand waren, um eine andere Verbindung möglich zu machen.
Denn sie waren entstanden und laut geworden, bevor der König Anna Boleyn
je gesehen hatte.

Dazu kam, daß das persönliche Verhältniß zu Katharina täglich unleid¬
licher wurde. Sie sowohl wie der König waren stolz, herrschsüchtig, eigensinnig.
Aber Heinrich war zugleich heißblütig, leidenschaftlich, er liebte heitere Ge¬
sellschaft und hatte eine Hinneigung zu derber Sinnlichkeit; Katharina dage¬
gen war kalt, zurückhaltend, ceremoniell. sie ergab sich mehr und mehr den
spanischen Formen einer strengen Frömmigkeit und entfremdete sich dadurch
den König, der ohnehin in mancherlei romantische Verhältnisse verwickelt war.

Zu diesen Beweggründen der inneren Politik, zu den religiösen Bedenken,
zu den persönlichen Verstimmungen trat jetzt ein Umschwung in der gesamm-
ten Lage der auswärtigen Politik. Es ist der allgemeine Charakter dieser
Zeit, daß Familienverbindungen in der Regel als der Ausdruck politischer
Allianzen betrachtet werden. Als die spanische Infantin mit dem englischen
Thronfolger vermählt wurde, war dies der Ausdruck einer gegen Frankreich
gerichteten Allianz von England und Spanien-Burgund gewesen. Jetzt löste
sich dieses Bündniß. und an die Stelle desselben trat eine Annäherung zwischen
Frankreich und England mit der ausgesprochenen Absicht, ein Gegengewicht
gegen die die Unabhängigkeit aller Staaten bedrohende Weltmacht Karl's des
Fünften' zu bilden.

Merkwürdig ist nun, wie der erste Anstoß zur Lösung der englisch¬
spanischen Allianz vom päpstlichen Stuhle ausging. Nach der Schlacht von
Pavia (1525), nach der Einnahme Roms durch die kaiserlichen Truppen (1527)
galt Karl der Fünfte als der Führer der nntipäpstlichen Partei in Europa.
Unter den Truppen des Connetable von Bourbon, welche Rom erstürmten,
waren zahlreiche Lutheraner; und während der Papst Clemens der Siebente
in der Engelsburg eingeschlossen war. ließen die Landsknechte des alten Georg
von Frundsberg den Martin Luther leben und führten vor den Augen des
heiligen Vaters die ärgerlichsten Processionen auf. in denen dieser selbst und
die Cardinäle in lächerlichen Verkleidungen die Hauptrolle spielten. Während
so das Kriegsvolk des Kaisers den Papst verspottete, war Heinrich der Achte
in einer literarischen Fehde mit Luther begriffen. Kein Wunder also, daß


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[0455] Nun wachten die alten Scrupel wieder auf. Der Beichtvater des Königs selbst regte in ihm solche Bedenken an. Die in den Büchern Mose gegen eine solche Ehe angedrohte Strafe hatte sich fast wörtlich erfüllt. „Wenn jemand seines Bruders Weib nimmt, das ist eine schändliche That; die sollen ohne Kinder sein, darum, daß er hat seines Bruders Schaalen geblößet." Dem gläubig-abergläubischen Sinn des Königs entspricht es ganz, daß er in seiner Kinderlosigkeit eine göttliche Strafe sah. Gewiß ist. daß diese Scrupel nicht ein bloßer Vorwand waren, um eine andere Verbindung möglich zu machen. Denn sie waren entstanden und laut geworden, bevor der König Anna Boleyn je gesehen hatte. Dazu kam, daß das persönliche Verhältniß zu Katharina täglich unleid¬ licher wurde. Sie sowohl wie der König waren stolz, herrschsüchtig, eigensinnig. Aber Heinrich war zugleich heißblütig, leidenschaftlich, er liebte heitere Ge¬ sellschaft und hatte eine Hinneigung zu derber Sinnlichkeit; Katharina dage¬ gen war kalt, zurückhaltend, ceremoniell. sie ergab sich mehr und mehr den spanischen Formen einer strengen Frömmigkeit und entfremdete sich dadurch den König, der ohnehin in mancherlei romantische Verhältnisse verwickelt war. Zu diesen Beweggründen der inneren Politik, zu den religiösen Bedenken, zu den persönlichen Verstimmungen trat jetzt ein Umschwung in der gesamm- ten Lage der auswärtigen Politik. Es ist der allgemeine Charakter dieser Zeit, daß Familienverbindungen in der Regel als der Ausdruck politischer Allianzen betrachtet werden. Als die spanische Infantin mit dem englischen Thronfolger vermählt wurde, war dies der Ausdruck einer gegen Frankreich gerichteten Allianz von England und Spanien-Burgund gewesen. Jetzt löste sich dieses Bündniß. und an die Stelle desselben trat eine Annäherung zwischen Frankreich und England mit der ausgesprochenen Absicht, ein Gegengewicht gegen die die Unabhängigkeit aller Staaten bedrohende Weltmacht Karl's des Fünften' zu bilden. Merkwürdig ist nun, wie der erste Anstoß zur Lösung der englisch¬ spanischen Allianz vom päpstlichen Stuhle ausging. Nach der Schlacht von Pavia (1525), nach der Einnahme Roms durch die kaiserlichen Truppen (1527) galt Karl der Fünfte als der Führer der nntipäpstlichen Partei in Europa. Unter den Truppen des Connetable von Bourbon, welche Rom erstürmten, waren zahlreiche Lutheraner; und während der Papst Clemens der Siebente in der Engelsburg eingeschlossen war. ließen die Landsknechte des alten Georg von Frundsberg den Martin Luther leben und führten vor den Augen des heiligen Vaters die ärgerlichsten Processionen auf. in denen dieser selbst und die Cardinäle in lächerlichen Verkleidungen die Hauptrolle spielten. Während so das Kriegsvolk des Kaisers den Papst verspottete, war Heinrich der Achte in einer literarischen Fehde mit Luther begriffen. Kein Wunder also, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/455>, abgerufen am 16.06.2024.