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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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man in der Umgebung des Papstes den Gedanken faßte, gegen Karl den
Fünften sich auf den englischen König zu stützen und zwischen diesem und
Franz dem Ersten von Frankreich eine Allianz zu Stande zu bringen.

In England fanden diese Gedanken günstigere Aufnahme, als man selbst
in Rom gehofft hatte. Der allmächtige Minister Heinrich's des Achten war
damals der Cardinal Wolsey, welcher dem König die Last der Geschäfte ab¬
nahm und sich bei ihm dadurch in Gunst zu setzen wußte, daß er mit gleichem
Talent über Liebesgeschichten wie über den heiligen Thomas von Aquino
sprach. Der sittsam-ernsten Königin war dieser anmaßende und leichtfertige
Günstling in tiefster Seele verhaßt. Mit Kaiser Karl dem Fünften war Wol¬
sey seit der letzten Papstwnhl gespannt. Wolsey hatte gehofft den päpstlichen
Stuhl zu besteigen, und der Kaiser hatte ihm versprochen, ihn zu dieser Würde
zu beföldern. Als darauf Papst Hadrian starb, hatte der Kaiser seinen Ein¬
fluß im Conclave nicht so nachdrücklich für Wolsey geltend gemacht, wie die¬
ser erwartet haben mochte. Wolsey hat es ihm nie verziehen. Die Königin
Katharina aber, welche an ihrem Neffen den lebhaftesten Antheil nahm, stand
dem Cardinal im Wege, wenn dieser den König Heinrich den Achten mit
Karl dem Fünften zu verfeinden gedachte.

Wolsey's Gedanke war damals, daß der Papst die von seinem Vorfahr
Julius dem Zweiten ertheilte Dispensation zurücknehmen und die Ehe mit
Katharina für nichtig erklären solle. Gegenüber der Uebermacht des Kaisers,
die den Papst bedrängte, war die Unterstützung Englands von großer Bedeu¬
tung, und Wolsey war fest überzeugt, daß die päpstliche Curie den Preis,
welchen er für die Hülfe Englands verlangte, nämlich die Widerrufung der
Dispensation, ohne Bedenken bewilligen werde. In diesem Sinne sprach er
sich gegen Heinrich selbst mit der größten Zuversicht aus. War die Ehe für
nichtig erklärt, so sollte der König nach Wolsey's Plan sich mit einer Schwe¬
ster oder Tochter bis französischen Königs vermählen.

Ueberhaupt beschäftigte Wolsey sich damals mit weitaussehenden Plänen und
Combinationen. Im Geiste sah er sich schon als den Wiederhersteller des
katholischen Glaubens, als den Befreier von Europa. Sobald der König
wieder verheirathet und die Erbfolge gesichert war, wollte er die Kirche von
England reinigen und die Kloster, welche sehr corrumpirt waren, in Pflanz¬
stätten orthodoxer Frömmigkeit und Gelehrsamkeit umwandeln. Die Fehden
mit Frankreich sollten für immer aufhören. Und für eine heilige Sache geeinigt
sollten die beiden Länder das Papstthum wiederherstellen, die deutschen Ketze¬
reien niederwerfen, den Kaiser absetzen und statt seiner einen treuen Diener
der Kirche auf den kaiserlichen Thron erheben. Wenn so Europa wieder zum
Frieden gebracht wär, sollte es zu einem großen Kreuzzug gegen die Scharren
des Halbmondes geeinigt werden.


man in der Umgebung des Papstes den Gedanken faßte, gegen Karl den
Fünften sich auf den englischen König zu stützen und zwischen diesem und
Franz dem Ersten von Frankreich eine Allianz zu Stande zu bringen.

In England fanden diese Gedanken günstigere Aufnahme, als man selbst
in Rom gehofft hatte. Der allmächtige Minister Heinrich's des Achten war
damals der Cardinal Wolsey, welcher dem König die Last der Geschäfte ab¬
nahm und sich bei ihm dadurch in Gunst zu setzen wußte, daß er mit gleichem
Talent über Liebesgeschichten wie über den heiligen Thomas von Aquino
sprach. Der sittsam-ernsten Königin war dieser anmaßende und leichtfertige
Günstling in tiefster Seele verhaßt. Mit Kaiser Karl dem Fünften war Wol¬
sey seit der letzten Papstwnhl gespannt. Wolsey hatte gehofft den päpstlichen
Stuhl zu besteigen, und der Kaiser hatte ihm versprochen, ihn zu dieser Würde
zu beföldern. Als darauf Papst Hadrian starb, hatte der Kaiser seinen Ein¬
fluß im Conclave nicht so nachdrücklich für Wolsey geltend gemacht, wie die¬
ser erwartet haben mochte. Wolsey hat es ihm nie verziehen. Die Königin
Katharina aber, welche an ihrem Neffen den lebhaftesten Antheil nahm, stand
dem Cardinal im Wege, wenn dieser den König Heinrich den Achten mit
Karl dem Fünften zu verfeinden gedachte.

Wolsey's Gedanke war damals, daß der Papst die von seinem Vorfahr
Julius dem Zweiten ertheilte Dispensation zurücknehmen und die Ehe mit
Katharina für nichtig erklären solle. Gegenüber der Uebermacht des Kaisers,
die den Papst bedrängte, war die Unterstützung Englands von großer Bedeu¬
tung, und Wolsey war fest überzeugt, daß die päpstliche Curie den Preis,
welchen er für die Hülfe Englands verlangte, nämlich die Widerrufung der
Dispensation, ohne Bedenken bewilligen werde. In diesem Sinne sprach er
sich gegen Heinrich selbst mit der größten Zuversicht aus. War die Ehe für
nichtig erklärt, so sollte der König nach Wolsey's Plan sich mit einer Schwe¬
ster oder Tochter bis französischen Königs vermählen.

Ueberhaupt beschäftigte Wolsey sich damals mit weitaussehenden Plänen und
Combinationen. Im Geiste sah er sich schon als den Wiederhersteller des
katholischen Glaubens, als den Befreier von Europa. Sobald der König
wieder verheirathet und die Erbfolge gesichert war, wollte er die Kirche von
England reinigen und die Kloster, welche sehr corrumpirt waren, in Pflanz¬
stätten orthodoxer Frömmigkeit und Gelehrsamkeit umwandeln. Die Fehden
mit Frankreich sollten für immer aufhören. Und für eine heilige Sache geeinigt
sollten die beiden Länder das Papstthum wiederherstellen, die deutschen Ketze¬
reien niederwerfen, den Kaiser absetzen und statt seiner einen treuen Diener
der Kirche auf den kaiserlichen Thron erheben. Wenn so Europa wieder zum
Frieden gebracht wär, sollte es zu einem großen Kreuzzug gegen die Scharren
des Halbmondes geeinigt werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/456>, abgerufen am 16.06.2024.