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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Solche großartige Visionen äußerte Wolsey gelegentlich in vertrauten Ge¬
sprächen und deutete sie hie und da in seinen Korrespondenzen an. Zunächst
kam Alles darauf an, wie der päpstliche Stuhl sich zur Ehescheidungsfrage
stellen werde. Die langwierigen und verwickelten Verhandlungen, welche hier¬
über mit Clemens dem Siebenten geführt sind, hat Fronde mit großer Sorg¬
falt nach den zuverlässigsten Quellen verfolgt. Wir müßten den hier gestatte¬
ten Raum weit überschreiten, wenn wir den Einzelheiten dieser diplomatischen
Jrrgänge folgen wollten, welche sich durch sieben Jahre, von 1527 bis 1534,
hinziehen. Der Charakter dieser Verhandlungen bleibt von Anfang bis zu
Ende derselbe. Sie sind eine ganz besonders sür unsere Zeit lehrreiche Illu¬
stration zu dem Satze, daß die weltliche Herrschaft des Papstes seiner geifl>
liehen Würde und den kirchlichen Interessen des Katholicismus zum Schaden
gereicht. Die Frage, welche dem Papst Clemens dem Siebenten zur Ent¬
scheidung vorgelegt wurde, war die, ob sein Vorfahr Julius der Zweite be
rechtigt gewesen war, von einem biblischen Ehehinderniß zu dispenstren.
Wurde diese Frage bejaht, so war die Ehe Heinrichs mit Katharina giltig;
wurde sie verneint, so war die Ehe nichtig. Offenbar ist dies eine Frage des
kanonischen Rechts. Für Clemens den Siebenten aber war es eine Frage
der Politik. So wie die politischen Machtverhältnisse sich änderten, erschien
dem Papst die Ehescheidungssrage in einem anderen Licht. So lange er für
seine weltlichen Interessen die Unterstützung der englisch-französischen Allianz
gegen den Kaiser bedürfte, war er geneigt, in der Ehcscheidungssache die
Wünsche Heinrich's des Achten zu erfüllen. Sobald aber dem Souverän des
Kirchenstaats die Verbindung mit Karl dem Fünften Wünschenswerther erschien,
erinnerte sich sogleich der Papst, daß Katharina die Tante des Kaisers war
und daß sie in England die spanisch-burgundischen Interessen vertrat. Dies
ist der einfache Schlüssel zu der zweideutigen und schwankenden Haltung des
Papstes in dieser ganzen Angelegenheit. Um seiner weltlichen Interessen wil¬
len compromittirte Clemens der Siebente die Würde des Papstthums, und
trieb den König, welcher bis dahin der ergebenste Anhänger der Curie ge¬
wesen war. zum offenen Bruch mit dem päpstlichen Stuhl. Die Reformation
würde in England eingetreten sein, auch wenn die Ehescheidungssache einen
anderen Verlauf genommen hätte; aber Heinrich der Achte wäre unter den
entschiedensten Gegnern der Reformation gewesen, wenn ihn nicht der Papst
selbst durch seinen Wankelmuth und seine Unzuverlässigkeit von sich entfernt
hätte.

Beim Beginn der Unterhandlungen zeigte Clemens sich den Wünschen des
Königs wohl geneigt, aber er wollte keinen positiven Schritt wagen. Noch
fürchtete er den Kaiser zu sehr, aus dessen Gefangenschaft er eben erst nach
Orvieto entkommen war. Noch wußte er nicht, ob die englisch-französische


Grenzboten I. 1LS2. 57

Solche großartige Visionen äußerte Wolsey gelegentlich in vertrauten Ge¬
sprächen und deutete sie hie und da in seinen Korrespondenzen an. Zunächst
kam Alles darauf an, wie der päpstliche Stuhl sich zur Ehescheidungsfrage
stellen werde. Die langwierigen und verwickelten Verhandlungen, welche hier¬
über mit Clemens dem Siebenten geführt sind, hat Fronde mit großer Sorg¬
falt nach den zuverlässigsten Quellen verfolgt. Wir müßten den hier gestatte¬
ten Raum weit überschreiten, wenn wir den Einzelheiten dieser diplomatischen
Jrrgänge folgen wollten, welche sich durch sieben Jahre, von 1527 bis 1534,
hinziehen. Der Charakter dieser Verhandlungen bleibt von Anfang bis zu
Ende derselbe. Sie sind eine ganz besonders sür unsere Zeit lehrreiche Illu¬
stration zu dem Satze, daß die weltliche Herrschaft des Papstes seiner geifl>
liehen Würde und den kirchlichen Interessen des Katholicismus zum Schaden
gereicht. Die Frage, welche dem Papst Clemens dem Siebenten zur Ent¬
scheidung vorgelegt wurde, war die, ob sein Vorfahr Julius der Zweite be
rechtigt gewesen war, von einem biblischen Ehehinderniß zu dispenstren.
Wurde diese Frage bejaht, so war die Ehe Heinrichs mit Katharina giltig;
wurde sie verneint, so war die Ehe nichtig. Offenbar ist dies eine Frage des
kanonischen Rechts. Für Clemens den Siebenten aber war es eine Frage
der Politik. So wie die politischen Machtverhältnisse sich änderten, erschien
dem Papst die Ehescheidungssrage in einem anderen Licht. So lange er für
seine weltlichen Interessen die Unterstützung der englisch-französischen Allianz
gegen den Kaiser bedürfte, war er geneigt, in der Ehcscheidungssache die
Wünsche Heinrich's des Achten zu erfüllen. Sobald aber dem Souverän des
Kirchenstaats die Verbindung mit Karl dem Fünften Wünschenswerther erschien,
erinnerte sich sogleich der Papst, daß Katharina die Tante des Kaisers war
und daß sie in England die spanisch-burgundischen Interessen vertrat. Dies
ist der einfache Schlüssel zu der zweideutigen und schwankenden Haltung des
Papstes in dieser ganzen Angelegenheit. Um seiner weltlichen Interessen wil¬
len compromittirte Clemens der Siebente die Würde des Papstthums, und
trieb den König, welcher bis dahin der ergebenste Anhänger der Curie ge¬
wesen war. zum offenen Bruch mit dem päpstlichen Stuhl. Die Reformation
würde in England eingetreten sein, auch wenn die Ehescheidungssache einen
anderen Verlauf genommen hätte; aber Heinrich der Achte wäre unter den
entschiedensten Gegnern der Reformation gewesen, wenn ihn nicht der Papst
selbst durch seinen Wankelmuth und seine Unzuverlässigkeit von sich entfernt
hätte.

Beim Beginn der Unterhandlungen zeigte Clemens sich den Wünschen des
Königs wohl geneigt, aber er wollte keinen positiven Schritt wagen. Noch
fürchtete er den Kaiser zu sehr, aus dessen Gefangenschaft er eben erst nach
Orvieto entkommen war. Noch wußte er nicht, ob die englisch-französische


Grenzboten I. 1LS2. 57
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[0457] Solche großartige Visionen äußerte Wolsey gelegentlich in vertrauten Ge¬ sprächen und deutete sie hie und da in seinen Korrespondenzen an. Zunächst kam Alles darauf an, wie der päpstliche Stuhl sich zur Ehescheidungsfrage stellen werde. Die langwierigen und verwickelten Verhandlungen, welche hier¬ über mit Clemens dem Siebenten geführt sind, hat Fronde mit großer Sorg¬ falt nach den zuverlässigsten Quellen verfolgt. Wir müßten den hier gestatte¬ ten Raum weit überschreiten, wenn wir den Einzelheiten dieser diplomatischen Jrrgänge folgen wollten, welche sich durch sieben Jahre, von 1527 bis 1534, hinziehen. Der Charakter dieser Verhandlungen bleibt von Anfang bis zu Ende derselbe. Sie sind eine ganz besonders sür unsere Zeit lehrreiche Illu¬ stration zu dem Satze, daß die weltliche Herrschaft des Papstes seiner geifl> liehen Würde und den kirchlichen Interessen des Katholicismus zum Schaden gereicht. Die Frage, welche dem Papst Clemens dem Siebenten zur Ent¬ scheidung vorgelegt wurde, war die, ob sein Vorfahr Julius der Zweite be rechtigt gewesen war, von einem biblischen Ehehinderniß zu dispenstren. Wurde diese Frage bejaht, so war die Ehe Heinrichs mit Katharina giltig; wurde sie verneint, so war die Ehe nichtig. Offenbar ist dies eine Frage des kanonischen Rechts. Für Clemens den Siebenten aber war es eine Frage der Politik. So wie die politischen Machtverhältnisse sich änderten, erschien dem Papst die Ehescheidungssrage in einem anderen Licht. So lange er für seine weltlichen Interessen die Unterstützung der englisch-französischen Allianz gegen den Kaiser bedürfte, war er geneigt, in der Ehcscheidungssache die Wünsche Heinrich's des Achten zu erfüllen. Sobald aber dem Souverän des Kirchenstaats die Verbindung mit Karl dem Fünften Wünschenswerther erschien, erinnerte sich sogleich der Papst, daß Katharina die Tante des Kaisers war und daß sie in England die spanisch-burgundischen Interessen vertrat. Dies ist der einfache Schlüssel zu der zweideutigen und schwankenden Haltung des Papstes in dieser ganzen Angelegenheit. Um seiner weltlichen Interessen wil¬ len compromittirte Clemens der Siebente die Würde des Papstthums, und trieb den König, welcher bis dahin der ergebenste Anhänger der Curie ge¬ wesen war. zum offenen Bruch mit dem päpstlichen Stuhl. Die Reformation würde in England eingetreten sein, auch wenn die Ehescheidungssache einen anderen Verlauf genommen hätte; aber Heinrich der Achte wäre unter den entschiedensten Gegnern der Reformation gewesen, wenn ihn nicht der Papst selbst durch seinen Wankelmuth und seine Unzuverlässigkeit von sich entfernt hätte. Beim Beginn der Unterhandlungen zeigte Clemens sich den Wünschen des Königs wohl geneigt, aber er wollte keinen positiven Schritt wagen. Noch fürchtete er den Kaiser zu sehr, aus dessen Gefangenschaft er eben erst nach Orvieto entkommen war. Noch wußte er nicht, ob die englisch-französische Grenzboten I. 1LS2. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/457>, abgerufen am 16.06.2024.