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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Macht ihn vor den Folgen eines offenen Bruches mit Karl dem Fünften werde
schützen können. Sein einziges Bemühen war, weder Ja noch Nein zu sa¬
gen, nichts zu thun, Niemanden zu beleidigen, und vor allen Dingen Zeit zu
gewinnen. Schon damals sagte Gardiner, der spätere Bischof von Winchester,
dem Papste vorher, daß, wenn der Konig keine Gerechtigkeit bei ihm finde,
er solche sich selbst verschaffen werde. Im Frühjahr 1528 drang eine fran¬
zösische Armee unter Lautrcc aus dem nördlichen Italien, wo sie sich den
Winter über gehalten hatte, nach Süden vor, besiegte in mehreren kleinen Ge¬
fechten die Kaiserlichen und zwang diese, Rom zu verlassen und sich nach
Neapel zurückzuziehen. Nun faßte Clemens Muth. Er schickte den Cardinal
Campeggio nach England, um gemeinschaftlich mit Wolscy die Sache zu
untersuchen und zu entscheiden. Aber ehe noch Campeggio in England an¬
kam, hatte das Glück der Waffen sich für den Kaiser entschieden. Die Ar¬
mee, welche Lautrec nach Italien geführt hatte, ward im Sommer 1528 durch
die kaiserlichen Truppen, noch mehr durch eine bösartige Seuche vernichtet.
Der Kaiser, welcher bald auch in der Lombardei die Oberhand behielt, war
wieder allmächtig in Italien. Jetzt hielt Clemens es an der Zeit, seinen
Frieden zu schließen; Karl der Fünfte verzieh ihm unter der Bedingung, daß
er keinen Anstoß mehr geben wolle. Nun erhielt Campeggio die Weisung,
auf alle Weise zu zögern, jedenfalls nichts zu entscheiden. Endlich als Hein¬
rich der Achte in jedem Augenblick ein Urtheil erwartete, ward Campeggio
zurückgerufen unter dem Vorwand, daß die Ferien der römischen Nota eine
Unterbrechung des Verfahrens erforderlich machten.

Hier war der Punkt, wo für Heinrich in seinem Verhältniß zum Papst
die Krisis eintrat. Er schickte Sir Francis Bryan nach Rom und ließ dem
Papste ankündigen, nicht mehr in versteckten Winken, sondern offen und dro¬
hend, daß, wenn von Rom keine Hilfe komme, er die. Sache dem Parlament
vorlegen werde, um sie nach den Gesetzen seines eigenen Landes erledigen zu
lassen. Nichts desto weniger widerrief. Clemens im Juli 1529 die Vollmacht,
welche er Campeggio und Wolsey ertheilt hatte, und avocirte die Eheschci-
dungssache nach Rom. So war der Plan gescheitert, auf welchen Wolsey
alle seine Hoffnung gesetzt hatte. Mit seinem Plane siel er selbst. Wolsey
war zugleich päpstlicher Legat und englischer Minister. Der König wollte
sich jetzt der päpstlichen Gewalt widersetzen, der Legat wollte sich ihr unter¬
werfen. Also wurde Wolscy entlassen. Die bedeutendsten Mitglieder des neuen
Cabinets gehörten der alten Aristokratie an, welche Wolscy als einen Empor¬
kömmling von jeher haßte. An die Spitze der Geschäfte traten die Herzöge
von Norfolk und von Suffolk, beide durch Geburt und durch ihre Feldzüge
in Frankreich und Schottland glänzende und populäre Namen und Beide er>
klärte Feinde der geistlichen Herrschaft.


Macht ihn vor den Folgen eines offenen Bruches mit Karl dem Fünften werde
schützen können. Sein einziges Bemühen war, weder Ja noch Nein zu sa¬
gen, nichts zu thun, Niemanden zu beleidigen, und vor allen Dingen Zeit zu
gewinnen. Schon damals sagte Gardiner, der spätere Bischof von Winchester,
dem Papste vorher, daß, wenn der Konig keine Gerechtigkeit bei ihm finde,
er solche sich selbst verschaffen werde. Im Frühjahr 1528 drang eine fran¬
zösische Armee unter Lautrcc aus dem nördlichen Italien, wo sie sich den
Winter über gehalten hatte, nach Süden vor, besiegte in mehreren kleinen Ge¬
fechten die Kaiserlichen und zwang diese, Rom zu verlassen und sich nach
Neapel zurückzuziehen. Nun faßte Clemens Muth. Er schickte den Cardinal
Campeggio nach England, um gemeinschaftlich mit Wolscy die Sache zu
untersuchen und zu entscheiden. Aber ehe noch Campeggio in England an¬
kam, hatte das Glück der Waffen sich für den Kaiser entschieden. Die Ar¬
mee, welche Lautrec nach Italien geführt hatte, ward im Sommer 1528 durch
die kaiserlichen Truppen, noch mehr durch eine bösartige Seuche vernichtet.
Der Kaiser, welcher bald auch in der Lombardei die Oberhand behielt, war
wieder allmächtig in Italien. Jetzt hielt Clemens es an der Zeit, seinen
Frieden zu schließen; Karl der Fünfte verzieh ihm unter der Bedingung, daß
er keinen Anstoß mehr geben wolle. Nun erhielt Campeggio die Weisung,
auf alle Weise zu zögern, jedenfalls nichts zu entscheiden. Endlich als Hein¬
rich der Achte in jedem Augenblick ein Urtheil erwartete, ward Campeggio
zurückgerufen unter dem Vorwand, daß die Ferien der römischen Nota eine
Unterbrechung des Verfahrens erforderlich machten.

Hier war der Punkt, wo für Heinrich in seinem Verhältniß zum Papst
die Krisis eintrat. Er schickte Sir Francis Bryan nach Rom und ließ dem
Papste ankündigen, nicht mehr in versteckten Winken, sondern offen und dro¬
hend, daß, wenn von Rom keine Hilfe komme, er die. Sache dem Parlament
vorlegen werde, um sie nach den Gesetzen seines eigenen Landes erledigen zu
lassen. Nichts desto weniger widerrief. Clemens im Juli 1529 die Vollmacht,
welche er Campeggio und Wolsey ertheilt hatte, und avocirte die Eheschci-
dungssache nach Rom. So war der Plan gescheitert, auf welchen Wolsey
alle seine Hoffnung gesetzt hatte. Mit seinem Plane siel er selbst. Wolsey
war zugleich päpstlicher Legat und englischer Minister. Der König wollte
sich jetzt der päpstlichen Gewalt widersetzen, der Legat wollte sich ihr unter¬
werfen. Also wurde Wolscy entlassen. Die bedeutendsten Mitglieder des neuen
Cabinets gehörten der alten Aristokratie an, welche Wolscy als einen Empor¬
kömmling von jeher haßte. An die Spitze der Geschäfte traten die Herzöge
von Norfolk und von Suffolk, beide durch Geburt und durch ihre Feldzüge
in Frankreich und Schottland glänzende und populäre Namen und Beide er>
klärte Feinde der geistlichen Herrschaft.


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[0458] Macht ihn vor den Folgen eines offenen Bruches mit Karl dem Fünften werde schützen können. Sein einziges Bemühen war, weder Ja noch Nein zu sa¬ gen, nichts zu thun, Niemanden zu beleidigen, und vor allen Dingen Zeit zu gewinnen. Schon damals sagte Gardiner, der spätere Bischof von Winchester, dem Papste vorher, daß, wenn der Konig keine Gerechtigkeit bei ihm finde, er solche sich selbst verschaffen werde. Im Frühjahr 1528 drang eine fran¬ zösische Armee unter Lautrcc aus dem nördlichen Italien, wo sie sich den Winter über gehalten hatte, nach Süden vor, besiegte in mehreren kleinen Ge¬ fechten die Kaiserlichen und zwang diese, Rom zu verlassen und sich nach Neapel zurückzuziehen. Nun faßte Clemens Muth. Er schickte den Cardinal Campeggio nach England, um gemeinschaftlich mit Wolscy die Sache zu untersuchen und zu entscheiden. Aber ehe noch Campeggio in England an¬ kam, hatte das Glück der Waffen sich für den Kaiser entschieden. Die Ar¬ mee, welche Lautrec nach Italien geführt hatte, ward im Sommer 1528 durch die kaiserlichen Truppen, noch mehr durch eine bösartige Seuche vernichtet. Der Kaiser, welcher bald auch in der Lombardei die Oberhand behielt, war wieder allmächtig in Italien. Jetzt hielt Clemens es an der Zeit, seinen Frieden zu schließen; Karl der Fünfte verzieh ihm unter der Bedingung, daß er keinen Anstoß mehr geben wolle. Nun erhielt Campeggio die Weisung, auf alle Weise zu zögern, jedenfalls nichts zu entscheiden. Endlich als Hein¬ rich der Achte in jedem Augenblick ein Urtheil erwartete, ward Campeggio zurückgerufen unter dem Vorwand, daß die Ferien der römischen Nota eine Unterbrechung des Verfahrens erforderlich machten. Hier war der Punkt, wo für Heinrich in seinem Verhältniß zum Papst die Krisis eintrat. Er schickte Sir Francis Bryan nach Rom und ließ dem Papste ankündigen, nicht mehr in versteckten Winken, sondern offen und dro¬ hend, daß, wenn von Rom keine Hilfe komme, er die. Sache dem Parlament vorlegen werde, um sie nach den Gesetzen seines eigenen Landes erledigen zu lassen. Nichts desto weniger widerrief. Clemens im Juli 1529 die Vollmacht, welche er Campeggio und Wolsey ertheilt hatte, und avocirte die Eheschci- dungssache nach Rom. So war der Plan gescheitert, auf welchen Wolsey alle seine Hoffnung gesetzt hatte. Mit seinem Plane siel er selbst. Wolsey war zugleich päpstlicher Legat und englischer Minister. Der König wollte sich jetzt der päpstlichen Gewalt widersetzen, der Legat wollte sich ihr unter¬ werfen. Also wurde Wolscy entlassen. Die bedeutendsten Mitglieder des neuen Cabinets gehörten der alten Aristokratie an, welche Wolscy als einen Empor¬ kömmling von jeher haßte. An die Spitze der Geschäfte traten die Herzöge von Norfolk und von Suffolk, beide durch Geburt und durch ihre Feldzüge in Frankreich und Schottland glänzende und populäre Namen und Beide er> klärte Feinde der geistlichen Herrschaft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/458>, abgerufen am 16.06.2024.