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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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mehr für ein Bildwerk gelten konnte. Von solcher Herrlichkeit sind zahlreiche
Trümmer auis uns gekommen, und es war ein verständiger Gedanke, was
innerhalb des Bezirks der Burg gefunden worden ist, hier zu lassen. Aber
freilich hätte man es sammeln müssen, nicht hierhin und dorthin verstreuen,
wie es geschehe" ist. Kaum hat man den Vorhof des Burgraums betreten,
so sieht man sich gegenüber einen schmalen Raum zwischen dem Wege und
der hochaufragenden Mauer des Kimon mit Fragmenten von Marmorreliefs
besteckt, die an einen mit weißen Leichensteinen übersäeten Todtenacker erin¬
nern. Wenige Schritte weiter, ehe man das letzte der drei Thore, welche den
Zugang zur Burg verschließen, durchschreitet, füllt der Blick links hin, wo in
einem Winkel hinter dem Wächterhause der burghütenden Invaliden ein neues
hypäthrales Museum in hohem Grade unsre Aufmerksamkeit fesselt. Ein gro¬
ßes Relief von glänzendem pentelischen Marmor zeigt uns eine Mutter, Phra-
sitleia genannt, mit ihrem Kinde; eine Dienerin steht ihr gegenüber. Dieses
außerordentlich schöne Grabdenkmal ward noch zur Türkcnzeit gefunden und
um es vor der Zerstörungswut!) der Türken zu retten, von den Griechen für
ein Bild der Mutter Gottes ausgegeben. Mit 1000 Piastern lösten sie es
aus und stellten es in der Kirche "der großen Panagia" auf. Aber während
des Befreiungskrieges zertrümmerten die Muselmänner das Relief und vergru¬
ben ein Stück desselben mit dem Kopfe Phrasikleias in der Nähe des Par¬
thenons, wo es bei einer spätern Ausgrabung wieder zum Vorschein kam, so
daß das Relief bis auf ein unbedeutendes Stück jetzt wieder zusammengesetzt
ist. Daneben befindet sich ein alterthümliches Titzbild der Stadt- und Burg¬
göttin Athene, ein merkwürdiges Denkmal der Kunst vor Phidias, und ein
nicht minder interessantes Relief aus derselben Übergangszeit, da die Knospe
der hellenischen Kunst eben aufzubrechen begann, ihre Werke neben Ueberbleib-
seln einer noch nicht überwundenen Hcrbigt'eit doch schon von Anmuth leise
umflossen waren. Und solche Kunstwerke stehen in einem kümmerlichen Win¬
kel, unter freiem Himmel!

Wir steigen die Ticppe hinauf zu dem genialen Bau der Propyläen.
Rechts ragte auf dem hohen Mauervmsprung der kleine Tempel der ungeflü.
gelten Siegesgöttin hervor, durch deutsche Landsleute Stück für Stück aus
einer türkischen Bastion wieder herausgeschält und nach mehr als zwei Jahr¬
tausenden zum zweitenmal errichtet. Er beherrscht einen Blick auf die weite
bergumkränztc Ebene und das blaue Meer mi! der fernen Küste des Pelopon-
nesos, so schön, daß selbst der trockne alte Pnusauias in seinem vor siebzehn
Jahrhunderten geschriebenen Reisehandbuch für Griechenland sich nicht der
Bemerkung enthalten kann, von hier könne man auch das Meer sehen! Die
Cella des Tempelchens beherbergt die Fragmente eines schönen Frieses, der
einst den Rand des Mauervorsprmigs krönte; so lobenswert!) es ist. dieselben


mehr für ein Bildwerk gelten konnte. Von solcher Herrlichkeit sind zahlreiche
Trümmer auis uns gekommen, und es war ein verständiger Gedanke, was
innerhalb des Bezirks der Burg gefunden worden ist, hier zu lassen. Aber
freilich hätte man es sammeln müssen, nicht hierhin und dorthin verstreuen,
wie es geschehe» ist. Kaum hat man den Vorhof des Burgraums betreten,
so sieht man sich gegenüber einen schmalen Raum zwischen dem Wege und
der hochaufragenden Mauer des Kimon mit Fragmenten von Marmorreliefs
besteckt, die an einen mit weißen Leichensteinen übersäeten Todtenacker erin¬
nern. Wenige Schritte weiter, ehe man das letzte der drei Thore, welche den
Zugang zur Burg verschließen, durchschreitet, füllt der Blick links hin, wo in
einem Winkel hinter dem Wächterhause der burghütenden Invaliden ein neues
hypäthrales Museum in hohem Grade unsre Aufmerksamkeit fesselt. Ein gro¬
ßes Relief von glänzendem pentelischen Marmor zeigt uns eine Mutter, Phra-
sitleia genannt, mit ihrem Kinde; eine Dienerin steht ihr gegenüber. Dieses
außerordentlich schöne Grabdenkmal ward noch zur Türkcnzeit gefunden und
um es vor der Zerstörungswut!) der Türken zu retten, von den Griechen für
ein Bild der Mutter Gottes ausgegeben. Mit 1000 Piastern lösten sie es
aus und stellten es in der Kirche „der großen Panagia" auf. Aber während
des Befreiungskrieges zertrümmerten die Muselmänner das Relief und vergru¬
ben ein Stück desselben mit dem Kopfe Phrasikleias in der Nähe des Par¬
thenons, wo es bei einer spätern Ausgrabung wieder zum Vorschein kam, so
daß das Relief bis auf ein unbedeutendes Stück jetzt wieder zusammengesetzt
ist. Daneben befindet sich ein alterthümliches Titzbild der Stadt- und Burg¬
göttin Athene, ein merkwürdiges Denkmal der Kunst vor Phidias, und ein
nicht minder interessantes Relief aus derselben Übergangszeit, da die Knospe
der hellenischen Kunst eben aufzubrechen begann, ihre Werke neben Ueberbleib-
seln einer noch nicht überwundenen Hcrbigt'eit doch schon von Anmuth leise
umflossen waren. Und solche Kunstwerke stehen in einem kümmerlichen Win¬
kel, unter freiem Himmel!

Wir steigen die Ticppe hinauf zu dem genialen Bau der Propyläen.
Rechts ragte auf dem hohen Mauervmsprung der kleine Tempel der ungeflü.
gelten Siegesgöttin hervor, durch deutsche Landsleute Stück für Stück aus
einer türkischen Bastion wieder herausgeschält und nach mehr als zwei Jahr¬
tausenden zum zweitenmal errichtet. Er beherrscht einen Blick auf die weite
bergumkränztc Ebene und das blaue Meer mi! der fernen Küste des Pelopon-
nesos, so schön, daß selbst der trockne alte Pnusauias in seinem vor siebzehn
Jahrhunderten geschriebenen Reisehandbuch für Griechenland sich nicht der
Bemerkung enthalten kann, von hier könne man auch das Meer sehen! Die
Cella des Tempelchens beherbergt die Fragmente eines schönen Frieses, der
einst den Rand des Mauervorsprmigs krönte; so lobenswert!) es ist. dieselben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/468>, abgerufen am 16.06.2024.