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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Nase abschlug, um diese Beute mit heinizuführen, und diese Barbarei erst zu
spät von den Wächtern entdeckt ward. Wie soll man sich aber hierüber wun¬
dern, wenn man unten in der Stadt mit ansehen muß, wie die Straszenbuben
den reizenden Reliefstreifen, welcher das Denkmal des Lysikrates, die sogenannte
Laterne des Demosthenes, umgibt, zum Ziel sich ausersehen haben, um daran
ihre Geschicklichkeit im Steinwerfen zu erproben? Und der Wächter? Er wird
sich wohl der gleichen Beschäftigung hingeben, wie der Invalide vom Thurm
der Winde.

Vor solcher Unbill sind denn freilich diejenigen Monumente geschützt,
welche die Fürsorge des Obcrnnfsehers der Antiquitäten in einer Cisterne
unweit des Erechtheions verschlossen hält. Auf den Stufen des Erechtheions
bildea noch jetzt eine Reihe von Kunstwerken ein kleines Hypäthralmuseum,
vor einigen Jahren aber waren hier, in oder um Tempel, noch mehr derglei¬
chen Schätze aufgestellt, vermittelst eiserner Zapfen wohl eingelassen und befe¬
stigt, und unter ihnen befanden sich auch die für die Kunstgeschichte höchst
merkwürdigen Relieffiguren von weißem Marmor, welche von dem Fries des
Erechtheions aus schwarzem eleusinischen Marmor sich absehend dem zierlich¬
sten aller Tempel einst zu hohem Schmucke gereichten. Da aber, erzählt eine
trübe Sage, kamen Engländer -- bekanntlich sind die Engländer in Griechen¬
land und Italien die beständigen Sündcnböcke für jeden Kunstdiebstahl, jede
Verletzung eines Kunstwerks -- und rüttelten an jenen Figuren. Ihre Sicher¬
heit war also gefährdet und sie wurden in jene Cisterne gesteckt. Diese ist
schwer zugänglich, indessen durch beharrliches Lieder gelang es mir endlich den
Eintritt zu erhalten. Freilich ward mir schon im Boraus gesagt, jene Reliefs
würde ich nicht zu sehen bekommen, obgleich sie dort aufbewahrt würden;
da aber keine Gründe für diese Behauptung angeführt wurden, gab ich die
Hoffnung so leicht nicht auf. Allerdings war ich ans den Anblick nickt vor¬
bereitet, der sich dem erstaunten Blick dort darbot. In dem schmalen Zugang
bedeckten umgewendete Marmorplatten wie ein Pflaster den Boden, welche
durch die lakonischer Worte ,/dies sind die Inschriften" bezeichnet wurden.
Aber wie sah es erst in dem Hauptraume aus! Dieser ist ein Gewölbe von
bedeutender Länge und nicht unbeträchtlicher Breite, dessen Boden bis zu einer
Höhe von 3--4 Fuß mit wild über einander geschuldeten Fragmenten von
Statuen und Reliefs bedeckt ist! die schönsten und anmuthigsten Werke atti¬
scher Kunst, die wichtigsten Documente des attischen Staates werden von den
Nachkommen der alten Hellenen wie alte Lumpen und unbrauchbare Topfscher¬
ben über einander geworfen, ohne Pietät für deren Kunstwerth oder historische
Bedeutung! Unter diesem Trümmerhaufen liegen die zarten Reliefs vom Erech-
theion begraben, wo allerdings kein räuberischer Fremder sie fortnehmen
wird, aber in welchem Zustande werden sie von dort wieder hervorgezogen


Nase abschlug, um diese Beute mit heinizuführen, und diese Barbarei erst zu
spät von den Wächtern entdeckt ward. Wie soll man sich aber hierüber wun¬
dern, wenn man unten in der Stadt mit ansehen muß, wie die Straszenbuben
den reizenden Reliefstreifen, welcher das Denkmal des Lysikrates, die sogenannte
Laterne des Demosthenes, umgibt, zum Ziel sich ausersehen haben, um daran
ihre Geschicklichkeit im Steinwerfen zu erproben? Und der Wächter? Er wird
sich wohl der gleichen Beschäftigung hingeben, wie der Invalide vom Thurm
der Winde.

Vor solcher Unbill sind denn freilich diejenigen Monumente geschützt,
welche die Fürsorge des Obcrnnfsehers der Antiquitäten in einer Cisterne
unweit des Erechtheions verschlossen hält. Auf den Stufen des Erechtheions
bildea noch jetzt eine Reihe von Kunstwerken ein kleines Hypäthralmuseum,
vor einigen Jahren aber waren hier, in oder um Tempel, noch mehr derglei¬
chen Schätze aufgestellt, vermittelst eiserner Zapfen wohl eingelassen und befe¬
stigt, und unter ihnen befanden sich auch die für die Kunstgeschichte höchst
merkwürdigen Relieffiguren von weißem Marmor, welche von dem Fries des
Erechtheions aus schwarzem eleusinischen Marmor sich absehend dem zierlich¬
sten aller Tempel einst zu hohem Schmucke gereichten. Da aber, erzählt eine
trübe Sage, kamen Engländer — bekanntlich sind die Engländer in Griechen¬
land und Italien die beständigen Sündcnböcke für jeden Kunstdiebstahl, jede
Verletzung eines Kunstwerks — und rüttelten an jenen Figuren. Ihre Sicher¬
heit war also gefährdet und sie wurden in jene Cisterne gesteckt. Diese ist
schwer zugänglich, indessen durch beharrliches Lieder gelang es mir endlich den
Eintritt zu erhalten. Freilich ward mir schon im Boraus gesagt, jene Reliefs
würde ich nicht zu sehen bekommen, obgleich sie dort aufbewahrt würden;
da aber keine Gründe für diese Behauptung angeführt wurden, gab ich die
Hoffnung so leicht nicht auf. Allerdings war ich ans den Anblick nickt vor¬
bereitet, der sich dem erstaunten Blick dort darbot. In dem schmalen Zugang
bedeckten umgewendete Marmorplatten wie ein Pflaster den Boden, welche
durch die lakonischer Worte ,/dies sind die Inschriften" bezeichnet wurden.
Aber wie sah es erst in dem Hauptraume aus! Dieser ist ein Gewölbe von
bedeutender Länge und nicht unbeträchtlicher Breite, dessen Boden bis zu einer
Höhe von 3—4 Fuß mit wild über einander geschuldeten Fragmenten von
Statuen und Reliefs bedeckt ist! die schönsten und anmuthigsten Werke atti¬
scher Kunst, die wichtigsten Documente des attischen Staates werden von den
Nachkommen der alten Hellenen wie alte Lumpen und unbrauchbare Topfscher¬
ben über einander geworfen, ohne Pietät für deren Kunstwerth oder historische
Bedeutung! Unter diesem Trümmerhaufen liegen die zarten Reliefs vom Erech-
theion begraben, wo allerdings kein räuberischer Fremder sie fortnehmen
wird, aber in welchem Zustande werden sie von dort wieder hervorgezogen


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[0470] Nase abschlug, um diese Beute mit heinizuführen, und diese Barbarei erst zu spät von den Wächtern entdeckt ward. Wie soll man sich aber hierüber wun¬ dern, wenn man unten in der Stadt mit ansehen muß, wie die Straszenbuben den reizenden Reliefstreifen, welcher das Denkmal des Lysikrates, die sogenannte Laterne des Demosthenes, umgibt, zum Ziel sich ausersehen haben, um daran ihre Geschicklichkeit im Steinwerfen zu erproben? Und der Wächter? Er wird sich wohl der gleichen Beschäftigung hingeben, wie der Invalide vom Thurm der Winde. Vor solcher Unbill sind denn freilich diejenigen Monumente geschützt, welche die Fürsorge des Obcrnnfsehers der Antiquitäten in einer Cisterne unweit des Erechtheions verschlossen hält. Auf den Stufen des Erechtheions bildea noch jetzt eine Reihe von Kunstwerken ein kleines Hypäthralmuseum, vor einigen Jahren aber waren hier, in oder um Tempel, noch mehr derglei¬ chen Schätze aufgestellt, vermittelst eiserner Zapfen wohl eingelassen und befe¬ stigt, und unter ihnen befanden sich auch die für die Kunstgeschichte höchst merkwürdigen Relieffiguren von weißem Marmor, welche von dem Fries des Erechtheions aus schwarzem eleusinischen Marmor sich absehend dem zierlich¬ sten aller Tempel einst zu hohem Schmucke gereichten. Da aber, erzählt eine trübe Sage, kamen Engländer — bekanntlich sind die Engländer in Griechen¬ land und Italien die beständigen Sündcnböcke für jeden Kunstdiebstahl, jede Verletzung eines Kunstwerks — und rüttelten an jenen Figuren. Ihre Sicher¬ heit war also gefährdet und sie wurden in jene Cisterne gesteckt. Diese ist schwer zugänglich, indessen durch beharrliches Lieder gelang es mir endlich den Eintritt zu erhalten. Freilich ward mir schon im Boraus gesagt, jene Reliefs würde ich nicht zu sehen bekommen, obgleich sie dort aufbewahrt würden; da aber keine Gründe für diese Behauptung angeführt wurden, gab ich die Hoffnung so leicht nicht auf. Allerdings war ich ans den Anblick nickt vor¬ bereitet, der sich dem erstaunten Blick dort darbot. In dem schmalen Zugang bedeckten umgewendete Marmorplatten wie ein Pflaster den Boden, welche durch die lakonischer Worte ,/dies sind die Inschriften" bezeichnet wurden. Aber wie sah es erst in dem Hauptraume aus! Dieser ist ein Gewölbe von bedeutender Länge und nicht unbeträchtlicher Breite, dessen Boden bis zu einer Höhe von 3—4 Fuß mit wild über einander geschuldeten Fragmenten von Statuen und Reliefs bedeckt ist! die schönsten und anmuthigsten Werke atti¬ scher Kunst, die wichtigsten Documente des attischen Staates werden von den Nachkommen der alten Hellenen wie alte Lumpen und unbrauchbare Topfscher¬ ben über einander geworfen, ohne Pietät für deren Kunstwerth oder historische Bedeutung! Unter diesem Trümmerhaufen liegen die zarten Reliefs vom Erech- theion begraben, wo allerdings kein räuberischer Fremder sie fortnehmen wird, aber in welchem Zustande werden sie von dort wieder hervorgezogen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/470>, abgerufen am 16.06.2024.