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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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wirkten, gegen die Bestrebungen Ricasoli's Gegenströmungen zu leiten und
das Gemüth des Königs gegen den Minister zu verbittern. Die festen Grund¬
sähe, die ernste, trockne Geradheit, das strenge Ehrgefühl des Barons und seine
Achtung vor öffentlicher und privater Tugend zogen ihm den bittersten Haß
aller jener Intriguanten zu, deren der Turiner Hof unter seinem vornehmen Ge¬
sinde -- beiläufig wie alle Höfe -- in Menge hat. Mehre von diesen Ränke¬
spinnern hatten einen höchst beklagenswerthen Einfluß auf dem König, und sie
benutzten diese Lage der Dinge, ihn gegen den verhaßten Minister noch mehr
einzunehmen, als er von selbst war. Seit Monaten schon arbeiteten sie uner¬
müdlich an der Verabschiedung des Mannes am Staatsruder, der sich nicht
herbeilassen wollte, sie zu benutzen, zu decorircn oder auch nur gnädig zu
beachten.

Ricasoli war nichts weniger als blind gegen die Art und Weise, auf die
man ihm das Wasser abgrub; aber obwohl er die Hemmnisse, die ihm damit
in den Weg gelegt wurden, sehr wohl empfand und sich persönlich gern zum
Rücktritt von seinem Posten bequemt hätte, war er doch ein zu guter Patriot
und in seinen ministeriellen Functionen ein zu genauer Beobachter constitutionel-
ler Formen, als daß er sich hätte entschließen können, freiwillig diesen Cabalen
und dem Widerwillen des Königs zu weichen. Er war von einer starken Ma¬
jorität im Abgeordnetenhause gestützt. Von allen Seiten, mit Ausnahme der
Mazzinistcn, kam man ihm mit Vertrauen entgegen, allenthalben ehrte man in
ihm den schien, redlichen Charakter, den wohlverdienten Patrioten. Im Par¬
lament war er i" Wahrheit fast unbedingter Herr der Situation, und so beschloß
er, und gab dies wiederholt mit deutlichen Worten zu erkennen, daß er niemals
zurücktreten werde, es sei denn in Folge eines Mißtrauensvotums des Hauses
oder einer directen und schriftlichen Entlassung von Seiten des Königs.

Das Parlament hat nie gegen eine seiner Maßregeln votirt, im Gegentheil
es unterstützte ihn eifrig und mit zahlreichen Stimmen bis auf den letzten
Augenblick. Wenn daher jetzt sein "Rücktritt" gemeldet wurde, so dürfen wir
mit Bestimmtheit den Schluß ziehen, daß es kein freiwilliger Rücktritt, sondern
eine thatsächliche und wahrscheinlich sogar eine förmliche Entlassung gewe¬
sen ist.

Ricasoli's Nachfolger, der Comthur Urban Rattazzi, ist ein talentvoller
Politiker, aber sowohl von Cavour. als von Ricasoli grundverschieden. Cavour
gehörte allen Parteien, oder stand vielmehr über den Parteien, Ricasoli ist ein
Tory im guten Sinne des Wortes, Rattazzi hält sich zum linken Centrum
und verschmäht auch die äußerste Linke nicht. Cavour benutzte die Franzosen,
Ricasoli verschmähte und brüskirte sie, Rattazzi läuft Gefahr, von ihnen benutzt
zu werden.

Rattazzi, der in seiner äußeren Haltung und seinem Gesichtsausdruck


wirkten, gegen die Bestrebungen Ricasoli's Gegenströmungen zu leiten und
das Gemüth des Königs gegen den Minister zu verbittern. Die festen Grund¬
sähe, die ernste, trockne Geradheit, das strenge Ehrgefühl des Barons und seine
Achtung vor öffentlicher und privater Tugend zogen ihm den bittersten Haß
aller jener Intriguanten zu, deren der Turiner Hof unter seinem vornehmen Ge¬
sinde — beiläufig wie alle Höfe — in Menge hat. Mehre von diesen Ränke¬
spinnern hatten einen höchst beklagenswerthen Einfluß auf dem König, und sie
benutzten diese Lage der Dinge, ihn gegen den verhaßten Minister noch mehr
einzunehmen, als er von selbst war. Seit Monaten schon arbeiteten sie uner¬
müdlich an der Verabschiedung des Mannes am Staatsruder, der sich nicht
herbeilassen wollte, sie zu benutzen, zu decorircn oder auch nur gnädig zu
beachten.

Ricasoli war nichts weniger als blind gegen die Art und Weise, auf die
man ihm das Wasser abgrub; aber obwohl er die Hemmnisse, die ihm damit
in den Weg gelegt wurden, sehr wohl empfand und sich persönlich gern zum
Rücktritt von seinem Posten bequemt hätte, war er doch ein zu guter Patriot
und in seinen ministeriellen Functionen ein zu genauer Beobachter constitutionel-
ler Formen, als daß er sich hätte entschließen können, freiwillig diesen Cabalen
und dem Widerwillen des Königs zu weichen. Er war von einer starken Ma¬
jorität im Abgeordnetenhause gestützt. Von allen Seiten, mit Ausnahme der
Mazzinistcn, kam man ihm mit Vertrauen entgegen, allenthalben ehrte man in
ihm den schien, redlichen Charakter, den wohlverdienten Patrioten. Im Par¬
lament war er i» Wahrheit fast unbedingter Herr der Situation, und so beschloß
er, und gab dies wiederholt mit deutlichen Worten zu erkennen, daß er niemals
zurücktreten werde, es sei denn in Folge eines Mißtrauensvotums des Hauses
oder einer directen und schriftlichen Entlassung von Seiten des Königs.

Das Parlament hat nie gegen eine seiner Maßregeln votirt, im Gegentheil
es unterstützte ihn eifrig und mit zahlreichen Stimmen bis auf den letzten
Augenblick. Wenn daher jetzt sein „Rücktritt" gemeldet wurde, so dürfen wir
mit Bestimmtheit den Schluß ziehen, daß es kein freiwilliger Rücktritt, sondern
eine thatsächliche und wahrscheinlich sogar eine förmliche Entlassung gewe¬
sen ist.

Ricasoli's Nachfolger, der Comthur Urban Rattazzi, ist ein talentvoller
Politiker, aber sowohl von Cavour. als von Ricasoli grundverschieden. Cavour
gehörte allen Parteien, oder stand vielmehr über den Parteien, Ricasoli ist ein
Tory im guten Sinne des Wortes, Rattazzi hält sich zum linken Centrum
und verschmäht auch die äußerste Linke nicht. Cavour benutzte die Franzosen,
Ricasoli verschmähte und brüskirte sie, Rattazzi läuft Gefahr, von ihnen benutzt
zu werden.

Rattazzi, der in seiner äußeren Haltung und seinem Gesichtsausdruck


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[0494] wirkten, gegen die Bestrebungen Ricasoli's Gegenströmungen zu leiten und das Gemüth des Königs gegen den Minister zu verbittern. Die festen Grund¬ sähe, die ernste, trockne Geradheit, das strenge Ehrgefühl des Barons und seine Achtung vor öffentlicher und privater Tugend zogen ihm den bittersten Haß aller jener Intriguanten zu, deren der Turiner Hof unter seinem vornehmen Ge¬ sinde — beiläufig wie alle Höfe — in Menge hat. Mehre von diesen Ränke¬ spinnern hatten einen höchst beklagenswerthen Einfluß auf dem König, und sie benutzten diese Lage der Dinge, ihn gegen den verhaßten Minister noch mehr einzunehmen, als er von selbst war. Seit Monaten schon arbeiteten sie uner¬ müdlich an der Verabschiedung des Mannes am Staatsruder, der sich nicht herbeilassen wollte, sie zu benutzen, zu decorircn oder auch nur gnädig zu beachten. Ricasoli war nichts weniger als blind gegen die Art und Weise, auf die man ihm das Wasser abgrub; aber obwohl er die Hemmnisse, die ihm damit in den Weg gelegt wurden, sehr wohl empfand und sich persönlich gern zum Rücktritt von seinem Posten bequemt hätte, war er doch ein zu guter Patriot und in seinen ministeriellen Functionen ein zu genauer Beobachter constitutionel- ler Formen, als daß er sich hätte entschließen können, freiwillig diesen Cabalen und dem Widerwillen des Königs zu weichen. Er war von einer starken Ma¬ jorität im Abgeordnetenhause gestützt. Von allen Seiten, mit Ausnahme der Mazzinistcn, kam man ihm mit Vertrauen entgegen, allenthalben ehrte man in ihm den schien, redlichen Charakter, den wohlverdienten Patrioten. Im Par¬ lament war er i» Wahrheit fast unbedingter Herr der Situation, und so beschloß er, und gab dies wiederholt mit deutlichen Worten zu erkennen, daß er niemals zurücktreten werde, es sei denn in Folge eines Mißtrauensvotums des Hauses oder einer directen und schriftlichen Entlassung von Seiten des Königs. Das Parlament hat nie gegen eine seiner Maßregeln votirt, im Gegentheil es unterstützte ihn eifrig und mit zahlreichen Stimmen bis auf den letzten Augenblick. Wenn daher jetzt sein „Rücktritt" gemeldet wurde, so dürfen wir mit Bestimmtheit den Schluß ziehen, daß es kein freiwilliger Rücktritt, sondern eine thatsächliche und wahrscheinlich sogar eine förmliche Entlassung gewe¬ sen ist. Ricasoli's Nachfolger, der Comthur Urban Rattazzi, ist ein talentvoller Politiker, aber sowohl von Cavour. als von Ricasoli grundverschieden. Cavour gehörte allen Parteien, oder stand vielmehr über den Parteien, Ricasoli ist ein Tory im guten Sinne des Wortes, Rattazzi hält sich zum linken Centrum und verschmäht auch die äußerste Linke nicht. Cavour benutzte die Franzosen, Ricasoli verschmähte und brüskirte sie, Rattazzi läuft Gefahr, von ihnen benutzt zu werden. Rattazzi, der in seiner äußeren Haltung und seinem Gesichtsausdruck

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/494>, abgerufen am 16.06.2024.