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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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tief ergreifender Wirkung sind die einfachen Worte christlicher Versöhnung, welche
er vor Siegfrieds Leiche der Rächerin Kriemhild entgegenrust. Endlich, als die Hei¬
den sich hingemordet, ergreift der Christ Dietrich von Bern das Scepter der Welt


"im Namen Dessen, der am Kreuz verblich".

Dies war sicherlich der einzige Weg, um das Entsetzen dieser Fabel zu einem
für das moderne Bewußtsein versöhnenden Abschlüsse zu führen. Dennoch
scheint uns hier eine Schwäche des Werkes zu liegen. Die christlichen
Elemente treten im Verlaufe der Handlung so wenig hervor -- was frei¬
lich nach der Natur des Stoffes sich nicht ändern ließ --, Dietrich selbst
greift so wenig in das Spiel ein, daß sein letztes Auftreten als der Erbe
der Welt, nachdem Alle untergegangen, mit denen wir empfunden und ge¬
litten, fast wie ein symbolischer Zug, zum mindesten nicht als eine Noth¬
wendigkeit erscheint. Der ruhige gewaltige Alte des Nibelungenliedes ist uns
verständlicher als dieser Dietrich, der so befremdlich mitten inne steht zwischen
der heidnischen und der christlichen Welt.

Noch manche Bedenken lassen sich erheben. Es fehlt nicht an einzelnen
werthlosen symbolischen Erscheinungen -- einem geheimnißvollen christlich asce-
tischen Pilger, einem stummen getreuen Eckewart u. A. -- welche an Hebbels
Jugendwerke erinnern. ^ Inder Darstellung der nordischen Götterwelt, woraus
Brunhild hervortritt, hat der Dichter nicht immer jene feine Mittellinie zwi¬
schen Phantasterei und Nüchternheit eingehalten, welche sich so schwer bewahren
läßt, wenn wir Mythen schildern sollen, die wir nicht mehr glauben; er ist,
scheint uns, nach beiden Seiten hin davon abgeirrt. Und noch bestimmter müs¬
sen wir das Charakterbild des Königs Etzel für unfertig und phantastisch ver¬
schwommen erklären.

Doch es liegt im Wesen eines ächten Kunstwerks, daß es sich nicht er¬
schöpfen läßt, daß es einen Ausblick bietet in das Unendliche. Begnügen wir
uns also die Ueberzeugung auszusprechen, Hebbel habe in diesem Werte, trotz
einzelner Mängel, das Schönste geleistet, was sich in einer modernen drama¬
tischen Bearbeitung dieses Stoffes leisten läßt -- und kehren wir zurück zu unse¬
rer ersten Frage: warum hinterläßt ein so kunstvolles Werk in den Herzen der
meisten Leser^nur einen sehr gemischten Eindruck, in Vielen sogar nur einen
wüsten Schauder? Es ist doch nur halb richtig, wenn Hebbel sein Werk ein
deutsches Trauerspiel genannt hat. Wir gestanden schon, daß die Gestalten die¬
ses Sagenkreises mit unsren liebsten Kinderträumen verwachsen sind. Aber ver¬
gessen wir nicht: die zuerst wieder diese deutsche Mythenwelt aus der Ver¬
gessenheit heraufbeschworen, waren jene alten Romantiker, welche zugleich alle
die fremdartigen Reize der orientalischen und romanischen Sagen in unsre
Kunst einführten und dem deutschen Alterthume sich unzweifelhaft mehr darum
zuwandten, weil es alt und fremd, als weil es deutsch ist.


Grenzboten IV- tgK2. 23

tief ergreifender Wirkung sind die einfachen Worte christlicher Versöhnung, welche
er vor Siegfrieds Leiche der Rächerin Kriemhild entgegenrust. Endlich, als die Hei¬
den sich hingemordet, ergreift der Christ Dietrich von Bern das Scepter der Welt


„im Namen Dessen, der am Kreuz verblich".

Dies war sicherlich der einzige Weg, um das Entsetzen dieser Fabel zu einem
für das moderne Bewußtsein versöhnenden Abschlüsse zu führen. Dennoch
scheint uns hier eine Schwäche des Werkes zu liegen. Die christlichen
Elemente treten im Verlaufe der Handlung so wenig hervor — was frei¬
lich nach der Natur des Stoffes sich nicht ändern ließ —, Dietrich selbst
greift so wenig in das Spiel ein, daß sein letztes Auftreten als der Erbe
der Welt, nachdem Alle untergegangen, mit denen wir empfunden und ge¬
litten, fast wie ein symbolischer Zug, zum mindesten nicht als eine Noth¬
wendigkeit erscheint. Der ruhige gewaltige Alte des Nibelungenliedes ist uns
verständlicher als dieser Dietrich, der so befremdlich mitten inne steht zwischen
der heidnischen und der christlichen Welt.

Noch manche Bedenken lassen sich erheben. Es fehlt nicht an einzelnen
werthlosen symbolischen Erscheinungen — einem geheimnißvollen christlich asce-
tischen Pilger, einem stummen getreuen Eckewart u. A. — welche an Hebbels
Jugendwerke erinnern. ^ Inder Darstellung der nordischen Götterwelt, woraus
Brunhild hervortritt, hat der Dichter nicht immer jene feine Mittellinie zwi¬
schen Phantasterei und Nüchternheit eingehalten, welche sich so schwer bewahren
läßt, wenn wir Mythen schildern sollen, die wir nicht mehr glauben; er ist,
scheint uns, nach beiden Seiten hin davon abgeirrt. Und noch bestimmter müs¬
sen wir das Charakterbild des Königs Etzel für unfertig und phantastisch ver¬
schwommen erklären.

Doch es liegt im Wesen eines ächten Kunstwerks, daß es sich nicht er¬
schöpfen läßt, daß es einen Ausblick bietet in das Unendliche. Begnügen wir
uns also die Ueberzeugung auszusprechen, Hebbel habe in diesem Werte, trotz
einzelner Mängel, das Schönste geleistet, was sich in einer modernen drama¬
tischen Bearbeitung dieses Stoffes leisten läßt — und kehren wir zurück zu unse¬
rer ersten Frage: warum hinterläßt ein so kunstvolles Werk in den Herzen der
meisten Leser^nur einen sehr gemischten Eindruck, in Vielen sogar nur einen
wüsten Schauder? Es ist doch nur halb richtig, wenn Hebbel sein Werk ein
deutsches Trauerspiel genannt hat. Wir gestanden schon, daß die Gestalten die¬
ses Sagenkreises mit unsren liebsten Kinderträumen verwachsen sind. Aber ver¬
gessen wir nicht: die zuerst wieder diese deutsche Mythenwelt aus der Ver¬
gessenheit heraufbeschworen, waren jene alten Romantiker, welche zugleich alle
die fremdartigen Reize der orientalischen und romanischen Sagen in unsre
Kunst einführten und dem deutschen Alterthume sich unzweifelhaft mehr darum
zuwandten, weil es alt und fremd, als weil es deutsch ist.


Grenzboten IV- tgK2. 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/185>, abgerufen am 30.05.2024.