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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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die Inschrift am Palais des Prinzen von Preußen, die Bürgerwehrwache vor
dem Schloß und die überall wehenden dreifarbigen Fahnen aus ihn machten,
"jene traurigen Erinnerungen an den allerwunderbarsten Ritt, den je ein mäch¬
tiger König unternommen." Auch von dem, was die Aufzeichnungen über den
weiteren Aufenthalt in der"Hauptstadt enthalten, mag nur kurz erwähnt wer¬
den, daß unter den Herren, die sich im Schlosse versammelten, überall die voll¬
ständigste Rathlosigkeit herrschte und daß diese Rathlosigkeit sich auch in den
Verhandlungen kundgab, welche mit dem General über seine Sendung nach Po¬
sen gepflogen wurden.

Willisen hatte diesen Auftrag nicht gesucht, ja nicht einmal geahnt, und
die Regierung selbst war augenscheinlich in Verlegenheit, was für Weisungen
sie ertheilen sollte. Am 28. schickte man Willisen wieder heim nach Breslau.
am 30. rief ihn der Telegraph zurück. "Ich hätte," bemerkt das Tagebuch,
"damals schon Verdacht schöpfen sollen, daß sich in dieser Sache von Anfang
an ein doppelter Einfluß um die Herrschaft stritt. Indeß war doch zu keiner
sichern Ansicht darüber zu gelangen. Ich konnte um so weniger annehmen,
daß man mich ohne Genehmigung des Königs zurückberufen, als ich einer
Conferenz des Ministeriums bei Letzterem beiwohnte, in welcher auch meine
Sendung berathen wurde und der König alle darauf bezüglichen Vorschläge der
Minister genehmigte. Mir eine bestimmte Instruction mitzugeben, war aber
schon deshalb schwierig, weil Niemand recht wußte, wie es in Posen aussah,
und weil die Dinge sich dort täglich änderten. Sehr unbequem war das
Herandrängen der polnischen Emigration aus Frankreich und Belgien. Ließ
man sie ihren Zug nach dem Großherzogthum nehmen, so verstieß man damit
gegen Rußland, wies man sie zurück, so hatte man einerseits die erregte Volks¬
masse in Berlin, die erst vor Kurzem die Befreiung der polnischen Gefangnen
aus ihrer Haft gefeiert, andrerseits den Einspruch Frankreichs zu fürchten.
So ließ man nicht nur diese Leute ihren Weg fortsetzen, sondern schickte auch
eine ganze Anzahl polnischer Studenten von der Berliner Universität bewaffnet
und belobt für ihr Verhalten in Berlin nach Posen, sehr wahrscheinlich, weil
man sie aus der Hauptstadt loswerden wollte. Durch alle diese Klippen hin¬
durch den Weg zu finden war eine schwierige Aufgabe, und hier, wenn
irgendwo mag das in inirZnis voluisse sat est Anwendung finden. Und wie
nahe war die Sendung am Gelingen." -- "Nur die blinde Parteileidenschaft
der deutschen Bevölkerung, meist Beamte, die für ihre Stellen fürchteten, Guts¬
besitzer, welche sich in ihrer aufgeregten Phantasie schon ihrer Besitzungen be¬
raubt sahen, Juden, welche in miserabelster Angst schon das Messer oder die
Sense am Halse fühlten, erhoben das entsetzliche Geschrei, als sollten sie Alle
dem hereindringendcn polnischen Aufstand geopfert werden." -- "Das Betragen
der deutschen Bevölkerung in diesen Tagen ist auf keine Weise zu rechtfertigen.


die Inschrift am Palais des Prinzen von Preußen, die Bürgerwehrwache vor
dem Schloß und die überall wehenden dreifarbigen Fahnen aus ihn machten,
„jene traurigen Erinnerungen an den allerwunderbarsten Ritt, den je ein mäch¬
tiger König unternommen." Auch von dem, was die Aufzeichnungen über den
weiteren Aufenthalt in der"Hauptstadt enthalten, mag nur kurz erwähnt wer¬
den, daß unter den Herren, die sich im Schlosse versammelten, überall die voll¬
ständigste Rathlosigkeit herrschte und daß diese Rathlosigkeit sich auch in den
Verhandlungen kundgab, welche mit dem General über seine Sendung nach Po¬
sen gepflogen wurden.

Willisen hatte diesen Auftrag nicht gesucht, ja nicht einmal geahnt, und
die Regierung selbst war augenscheinlich in Verlegenheit, was für Weisungen
sie ertheilen sollte. Am 28. schickte man Willisen wieder heim nach Breslau.
am 30. rief ihn der Telegraph zurück. „Ich hätte," bemerkt das Tagebuch,
„damals schon Verdacht schöpfen sollen, daß sich in dieser Sache von Anfang
an ein doppelter Einfluß um die Herrschaft stritt. Indeß war doch zu keiner
sichern Ansicht darüber zu gelangen. Ich konnte um so weniger annehmen,
daß man mich ohne Genehmigung des Königs zurückberufen, als ich einer
Conferenz des Ministeriums bei Letzterem beiwohnte, in welcher auch meine
Sendung berathen wurde und der König alle darauf bezüglichen Vorschläge der
Minister genehmigte. Mir eine bestimmte Instruction mitzugeben, war aber
schon deshalb schwierig, weil Niemand recht wußte, wie es in Posen aussah,
und weil die Dinge sich dort täglich änderten. Sehr unbequem war das
Herandrängen der polnischen Emigration aus Frankreich und Belgien. Ließ
man sie ihren Zug nach dem Großherzogthum nehmen, so verstieß man damit
gegen Rußland, wies man sie zurück, so hatte man einerseits die erregte Volks¬
masse in Berlin, die erst vor Kurzem die Befreiung der polnischen Gefangnen
aus ihrer Haft gefeiert, andrerseits den Einspruch Frankreichs zu fürchten.
So ließ man nicht nur diese Leute ihren Weg fortsetzen, sondern schickte auch
eine ganze Anzahl polnischer Studenten von der Berliner Universität bewaffnet
und belobt für ihr Verhalten in Berlin nach Posen, sehr wahrscheinlich, weil
man sie aus der Hauptstadt loswerden wollte. Durch alle diese Klippen hin¬
durch den Weg zu finden war eine schwierige Aufgabe, und hier, wenn
irgendwo mag das in inirZnis voluisse sat est Anwendung finden. Und wie
nahe war die Sendung am Gelingen." — „Nur die blinde Parteileidenschaft
der deutschen Bevölkerung, meist Beamte, die für ihre Stellen fürchteten, Guts¬
besitzer, welche sich in ihrer aufgeregten Phantasie schon ihrer Besitzungen be¬
raubt sahen, Juden, welche in miserabelster Angst schon das Messer oder die
Sense am Halse fühlten, erhoben das entsetzliche Geschrei, als sollten sie Alle
dem hereindringendcn polnischen Aufstand geopfert werden." — „Das Betragen
der deutschen Bevölkerung in diesen Tagen ist auf keine Weise zu rechtfertigen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/197>, abgerufen am 08.06.2024.