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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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während der beißen Tage die Gesellschaft der Arkadier ihre Sitzungen, deren
Mitglied auch Goethe einst war. Die in die obern Räume des Palastes Cor-
sini, in die Gemäldegalerie, führende prachtvolle Doppeltreppe ersteigt jeder
Fremde, um die Meisterwerke des Carlo Dolce, Guido Reni, Guerchino,
Rubens, van Dyk ze. zu bewundern.

Dem Palast Corsini gegenüber liegt hinter hoher Mauer in einem Garten
die reizende Farnesina. der zierliche Palast, den der berühmte Sienesische
Banquier Chigi zur Zeit Julius des Zweiten bauen ließ und der mit den
Raphaelschen Fresken, die Fabel des Amor und der Galathea vorstellend, dem
berühmten Sodoma von Vercelli und Michel Angelo's kolossalen, mit Kohle
an die Wand gezeichnetem Kopfe geziert ist, mit jener Visitenkarte, die letzterer
einem seiner Schüler hinterließ, wie man jetzt photographische Bildnisse zu
gleichem Zwecke benutzt. Es ist alles schon dagewesen. Die Farnesina kam
von den Chigi an die Farnese und von diesen an die neapolitanischen Bour-
bon's. König Franz der Zweite hat sie auf 99 Jahre an einen Privatmann,
man sagt an den spanischen Gesandten, verkauft.

Die Lungara aufwärts folgt nun eine Reihe von öde aussehenden Klöstern,
Arbeitshäusern, Palästen, der botanische Garten und endlich Palazzo Salviati.
gänzlich verfallen, durch ungeheure Strebebalken gestützt. Ihm gegenüber wird
eine Brücke nach der Kircke San Giovanni dei Fiorcntini über den Fluß ge¬
schlagen.

Unter den gewaltigen Bastionen von S. Spirito betreten wir durch ein
triumphbogenartiges unvollendetes Portal den Borgo. Wir lassen das gro߬
artige Hospital von S. Spirito mit seinen Krankenhäusern, seinem Findelhause,
Blinden- und Taubstummeninstitut, seiner Kirche ?e, zur Rechten liegen und
wenden uns der Piazza ti San Pietro zu. Es ist ein ergreifender Contrast,
wenn man plötzlich aus der engen, ärmlichen und schmutzigen Straße hervor¬
tritt und den weiten Platz mit dem majestätischen Dome und den umschließen¬
den Colonnaden vor sich hat. Welche ungeheure Dimensionen! Wie ist alles so
aus dem Großen gearbeitet, so bequem, das Kolossale des Gebäudes, der Obelisk,
die riesenhaften Fontainen mit ihrer unerschöpflichen Wassermasse, die Colon¬
naden. überragt von den Häusermassen des Vatican! Vielleicht ist die Fayade
des Domes nicht architektonisch richtig und schön; die Menschen, welche sich dort in
der Loggia und in den Fehlern bewegen, sehen aus wie Ameisen, die auf den
Brüstungen umherkriechen; der Obelisk steht nicht genau in der Mitte, und die
284 gewaltigen Säulen mit dem Heer von Statuen ertragen vielleicht nicht die
Kritik der Kunstrichter -- aberldas Ganze bringt einen Eindruck der Harmonie
des Gigautischen, Unermeßlichen, Heiterbehaglichen hervor, der unauslöschlich und
unwiderstehlich sich wie ein beseligender Frieden auf das Gemüth herabsenkt.
Wie Atome verschwinden die Menschen und Fuhrwerke auf dem Platz!


während der beißen Tage die Gesellschaft der Arkadier ihre Sitzungen, deren
Mitglied auch Goethe einst war. Die in die obern Räume des Palastes Cor-
sini, in die Gemäldegalerie, führende prachtvolle Doppeltreppe ersteigt jeder
Fremde, um die Meisterwerke des Carlo Dolce, Guido Reni, Guerchino,
Rubens, van Dyk ze. zu bewundern.

Dem Palast Corsini gegenüber liegt hinter hoher Mauer in einem Garten
die reizende Farnesina. der zierliche Palast, den der berühmte Sienesische
Banquier Chigi zur Zeit Julius des Zweiten bauen ließ und der mit den
Raphaelschen Fresken, die Fabel des Amor und der Galathea vorstellend, dem
berühmten Sodoma von Vercelli und Michel Angelo's kolossalen, mit Kohle
an die Wand gezeichnetem Kopfe geziert ist, mit jener Visitenkarte, die letzterer
einem seiner Schüler hinterließ, wie man jetzt photographische Bildnisse zu
gleichem Zwecke benutzt. Es ist alles schon dagewesen. Die Farnesina kam
von den Chigi an die Farnese und von diesen an die neapolitanischen Bour-
bon's. König Franz der Zweite hat sie auf 99 Jahre an einen Privatmann,
man sagt an den spanischen Gesandten, verkauft.

Die Lungara aufwärts folgt nun eine Reihe von öde aussehenden Klöstern,
Arbeitshäusern, Palästen, der botanische Garten und endlich Palazzo Salviati.
gänzlich verfallen, durch ungeheure Strebebalken gestützt. Ihm gegenüber wird
eine Brücke nach der Kircke San Giovanni dei Fiorcntini über den Fluß ge¬
schlagen.

Unter den gewaltigen Bastionen von S. Spirito betreten wir durch ein
triumphbogenartiges unvollendetes Portal den Borgo. Wir lassen das gro߬
artige Hospital von S. Spirito mit seinen Krankenhäusern, seinem Findelhause,
Blinden- und Taubstummeninstitut, seiner Kirche ?e, zur Rechten liegen und
wenden uns der Piazza ti San Pietro zu. Es ist ein ergreifender Contrast,
wenn man plötzlich aus der engen, ärmlichen und schmutzigen Straße hervor¬
tritt und den weiten Platz mit dem majestätischen Dome und den umschließen¬
den Colonnaden vor sich hat. Welche ungeheure Dimensionen! Wie ist alles so
aus dem Großen gearbeitet, so bequem, das Kolossale des Gebäudes, der Obelisk,
die riesenhaften Fontainen mit ihrer unerschöpflichen Wassermasse, die Colon¬
naden. überragt von den Häusermassen des Vatican! Vielleicht ist die Fayade
des Domes nicht architektonisch richtig und schön; die Menschen, welche sich dort in
der Loggia und in den Fehlern bewegen, sehen aus wie Ameisen, die auf den
Brüstungen umherkriechen; der Obelisk steht nicht genau in der Mitte, und die
284 gewaltigen Säulen mit dem Heer von Statuen ertragen vielleicht nicht die
Kritik der Kunstrichter — aberldas Ganze bringt einen Eindruck der Harmonie
des Gigautischen, Unermeßlichen, Heiterbehaglichen hervor, der unauslöschlich und
unwiderstehlich sich wie ein beseligender Frieden auf das Gemüth herabsenkt.
Wie Atome verschwinden die Menschen und Fuhrwerke auf dem Platz!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/23>, abgerufen am 14.05.2024.