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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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die Dinge zur Entscheidung drängten. Die Statthalterschaft muß von dem
Stande der Verhandlungen nur mangelhafte Kenntniß gehabt haben. In
Kopenhagen wurden die Vertrauensmänner absichtlich getäuscht. Ob nicht auch
in Berlin ein falsches Spiel getrieben worden ist, wage ich nicht zu entscheiden;
gewiß ist nur, daß die Welt durch den Frieden vom 2. Juli sehr überrascht
wurde. Niemand aber wurde durch diese Wendung der Dinge unangenehmer
berührt als ich, der ich mich so einer Aufgabe gegenübergestellt sah, die ich
bisher noch nie geglaubt hatte ernsthaft in den Kreis meiner Betrachtung
ziehen zu müssen." Ich kannte die große Ueberlegenheit des Gegners, hatte
seine ganz richtige Ordre de Bataille in Händen und wußte, daß seine Trup¬
pen zwar ebenfalls neue Leute waren, aber zu ihrer Bildung alte Stämme
von Offizieren und Unteroffizieren gehabt hatten. Noch mehr bekannt aber
war mir die Schwäche in unserm Lager, die sich, als es zur Entscheidung kam,
noch schlimmer erwies, als ich angenommen."

"Wie dem aber auch sein mochte, jetzt, wo ein Zurücktreten nicht mehr
möglich, galt es, der unerwartet aufgestiegenen Gefahr kühn ins Gesicht zu
blicken und am allerwenigsten selbst Besorgniß zu zeigen.

"Die Statthalter gingen jetzt auf die Einberufung der zwanzigjährigen
Altersclasse und die Errichtung von Werbedepots in Hamburg ein. Maßregeln,
die im April schon hätten getroffen werden müssen. Glücklicherweise war Alles
wenigstens so weit geordnet, daß die beurlaubten Mannschaften in wenigen
Tagen bei den Fahnen sein und die Bataillone auf 900 bis 1000 Mann
verstärkt werden konnten. Die Scheidung in zwei Abtheilungen war bei letzteren
ziemlich durchgedrungen und wäre ohne den noch immer drückenden Mangel
an Offizieren und Unteroffizieren leicht ganz durchzuführen gewesen. Noch
schwerer empfand ich die Verlegenheit um höhere Offiziere, die zu Bataillons¬
und Brigadecommandeuren zu verwenden gewesen wären. Aus Preußen waren
deren nur zwei gekommen, zu denen ich Vertrauen hatte, andere blieben aus
oder bewährten sich schlecht. Da mir nur zwei Wochen zur Bildung der Armee
gegeben waren, so war es nur durch die angestrengteste Thätigkeit möglich, sie
so rasch zusammenzubringen."

"Als die Armee beisammen war, entstand die Frage, was zunächst mit ihr zu
thun. Man wußte nicht, wozu der Feind nach dem stipulirten Abzug der Preußen
und Schweden, der bis zum l7. Juli erfolgt sein sollte, berechtigt war. Durfte
er die Eider überschreiten, so hätte man sich fragen können, ob es überhaupt
angemessen, ihm entgegenzugehen. In dieser Ungewißheit schrieb ich ein Memoire
in die Statthalterschaft über die militärische Lage der Sache und fragte, ob
ich ganz nach meinen militärischen Ansichten verfahren dürfe, nach denen ich
entschlossen sei, dem Feinde entgegenzugehen und den Versuch zu machen,
eine Besetzung Schleswigs durch die Dänen zu vereiteln. Ich erhielt darauf


Grenzboten IV. 1862. . 30

die Dinge zur Entscheidung drängten. Die Statthalterschaft muß von dem
Stande der Verhandlungen nur mangelhafte Kenntniß gehabt haben. In
Kopenhagen wurden die Vertrauensmänner absichtlich getäuscht. Ob nicht auch
in Berlin ein falsches Spiel getrieben worden ist, wage ich nicht zu entscheiden;
gewiß ist nur, daß die Welt durch den Frieden vom 2. Juli sehr überrascht
wurde. Niemand aber wurde durch diese Wendung der Dinge unangenehmer
berührt als ich, der ich mich so einer Aufgabe gegenübergestellt sah, die ich
bisher noch nie geglaubt hatte ernsthaft in den Kreis meiner Betrachtung
ziehen zu müssen." Ich kannte die große Ueberlegenheit des Gegners, hatte
seine ganz richtige Ordre de Bataille in Händen und wußte, daß seine Trup¬
pen zwar ebenfalls neue Leute waren, aber zu ihrer Bildung alte Stämme
von Offizieren und Unteroffizieren gehabt hatten. Noch mehr bekannt aber
war mir die Schwäche in unserm Lager, die sich, als es zur Entscheidung kam,
noch schlimmer erwies, als ich angenommen."

„Wie dem aber auch sein mochte, jetzt, wo ein Zurücktreten nicht mehr
möglich, galt es, der unerwartet aufgestiegenen Gefahr kühn ins Gesicht zu
blicken und am allerwenigsten selbst Besorgniß zu zeigen.

„Die Statthalter gingen jetzt auf die Einberufung der zwanzigjährigen
Altersclasse und die Errichtung von Werbedepots in Hamburg ein. Maßregeln,
die im April schon hätten getroffen werden müssen. Glücklicherweise war Alles
wenigstens so weit geordnet, daß die beurlaubten Mannschaften in wenigen
Tagen bei den Fahnen sein und die Bataillone auf 900 bis 1000 Mann
verstärkt werden konnten. Die Scheidung in zwei Abtheilungen war bei letzteren
ziemlich durchgedrungen und wäre ohne den noch immer drückenden Mangel
an Offizieren und Unteroffizieren leicht ganz durchzuführen gewesen. Noch
schwerer empfand ich die Verlegenheit um höhere Offiziere, die zu Bataillons¬
und Brigadecommandeuren zu verwenden gewesen wären. Aus Preußen waren
deren nur zwei gekommen, zu denen ich Vertrauen hatte, andere blieben aus
oder bewährten sich schlecht. Da mir nur zwei Wochen zur Bildung der Armee
gegeben waren, so war es nur durch die angestrengteste Thätigkeit möglich, sie
so rasch zusammenzubringen."

„Als die Armee beisammen war, entstand die Frage, was zunächst mit ihr zu
thun. Man wußte nicht, wozu der Feind nach dem stipulirten Abzug der Preußen
und Schweden, der bis zum l7. Juli erfolgt sein sollte, berechtigt war. Durfte
er die Eider überschreiten, so hätte man sich fragen können, ob es überhaupt
angemessen, ihm entgegenzugehen. In dieser Ungewißheit schrieb ich ein Memoire
in die Statthalterschaft über die militärische Lage der Sache und fragte, ob
ich ganz nach meinen militärischen Ansichten verfahren dürfe, nach denen ich
entschlossen sei, dem Feinde entgegenzugehen und den Versuch zu machen,
eine Besetzung Schleswigs durch die Dänen zu vereiteln. Ich erhielt darauf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/241>, abgerufen am 30.05.2024.