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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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dem Wesen nach seit 22 Jahren, den Worten nach seit 14 Jahren verfassungs¬
mäßig zugesicherte Synodalverfassung gehabt hätten. Und es ist unsere eben¬
so feste Ueberzeugung, daß wir, ohne baldige Einführung der Synodalver¬
fassung, auch in Zukunft nicht ohne Kampf mit unserm Consistorium auskom¬
men werden.

Die Mitglieder desselben haben zu abweichende Ansichten. Ihr Paradies
ist die Orthodoxie des siebzehnten Jahrhunderts, dahin muß man zurückkehren;
uns dagegen widersteht ein Zurückkehren zu den Ansichten und Lehren jener
Zeit, wo Deutschland an den Wunden des dreißigjährigen Krieges darniederlag,
wo es den Glauben an seine Einheit und Größe verloren hatte, und wo die
Theologen, statt die Nation wieder aufzurichten durch die Erweckung der Vater¬
landsliebe, nichts eifriger zu thun hatten, als sich in subtilen Sylbenstechereien
zu befehden. Auch halten wir nichts von jener strengen Richtung des Kon¬
sistoriums, die Ansichten Luthers und der Reformationszeit, die sich überlebt
haben und die als unbiblisch von der Wissenschaft längst nachgewiesen sind,
uoch jetzt für untrügliche evangelische Wahrheit starr versieht.

Daneben freilich finden wir auch eine Erklärung eines sehr eifrigen Mit¬
glieds des Herrn Münchmeyer. die unsere gerechte Verwunderung erregt. In seiner
Schrift "Ueber das Dogma der sichtbaren und unsichtbaren Kirche". Göttingen
1854, spricht er von einer nothwendigen Fortbildung der Lehre Luthers, gesteht,
in diesem Punkte von der Lehre der symbolischen Bücher der lutherischen Kirche
abzuweichen, ja sogar, daß er in die Lage kommen könne, aus der Kirche aus¬
scheiden zu müssen, (doch wohl, um katholisch zu werden ? d. Red.), wenn die¬
selbe in diesem Punkte auf ihrem Bekenntnisse bestehe <MA. 170). Ja, geschähe
das^nur! oder träte der Herr Consistorialrath auch nur aus eignem Antriebe
zurück aus seiner hervorragenden Stellung in unserer Kirche, aus seinem Con-
sistorialposten. Dann würde es sich voraussichtlich auch nicht wiederholen, daß
die Gemeinde Buer, deren Seelsorger er. ist. die Abhaltung des Gustav-Adolf-
Fcstes in ihrer Kirche nicht erreichen kann, weil ihr Pastor sie (aus Haß gegen
die Reformirten! d. Red.) zwar wohl zu Missionsfesten, aber nicht zu Gustav-
Adolf-Festen hergeben will. Und. urtheilen Ew. Majestät selbst, ob wir, die
wir Landleute sind, mit einem Manne nicht in fortwährendem Streite leben
müssen, der,- wie derselbe Herr Consistorialrath Münchmeyer -- nach dem nicht
widerlegten Berichte der Zeitung für Norddeutschland vom 26. August 1862
-- auf dem letzten Jahresfeste der evangelisch-lutherischen Mission zu Leipzig*)



") Es war die in Leipzig viel besprochnc Versammlung, in welcher der Herr Pastor
or. Ahlfcld aus Leipzig den Brüdern in Christo den Genuß jener "zufälligen Andacht" von der
Zwiebel und dem Trichter gewährte, die, später durch befreundete Hand dem größern Publicum
um Mitgenuß dargeboten, auch unter profanen Gourmands durch anmuthige Kühnheit in

dem Wesen nach seit 22 Jahren, den Worten nach seit 14 Jahren verfassungs¬
mäßig zugesicherte Synodalverfassung gehabt hätten. Und es ist unsere eben¬
so feste Ueberzeugung, daß wir, ohne baldige Einführung der Synodalver¬
fassung, auch in Zukunft nicht ohne Kampf mit unserm Consistorium auskom¬
men werden.

Die Mitglieder desselben haben zu abweichende Ansichten. Ihr Paradies
ist die Orthodoxie des siebzehnten Jahrhunderts, dahin muß man zurückkehren;
uns dagegen widersteht ein Zurückkehren zu den Ansichten und Lehren jener
Zeit, wo Deutschland an den Wunden des dreißigjährigen Krieges darniederlag,
wo es den Glauben an seine Einheit und Größe verloren hatte, und wo die
Theologen, statt die Nation wieder aufzurichten durch die Erweckung der Vater¬
landsliebe, nichts eifriger zu thun hatten, als sich in subtilen Sylbenstechereien
zu befehden. Auch halten wir nichts von jener strengen Richtung des Kon¬
sistoriums, die Ansichten Luthers und der Reformationszeit, die sich überlebt
haben und die als unbiblisch von der Wissenschaft längst nachgewiesen sind,
uoch jetzt für untrügliche evangelische Wahrheit starr versieht.

Daneben freilich finden wir auch eine Erklärung eines sehr eifrigen Mit¬
glieds des Herrn Münchmeyer. die unsere gerechte Verwunderung erregt. In seiner
Schrift „Ueber das Dogma der sichtbaren und unsichtbaren Kirche". Göttingen
1854, spricht er von einer nothwendigen Fortbildung der Lehre Luthers, gesteht,
in diesem Punkte von der Lehre der symbolischen Bücher der lutherischen Kirche
abzuweichen, ja sogar, daß er in die Lage kommen könne, aus der Kirche aus¬
scheiden zu müssen, (doch wohl, um katholisch zu werden ? d. Red.), wenn die¬
selbe in diesem Punkte auf ihrem Bekenntnisse bestehe <MA. 170). Ja, geschähe
das^nur! oder träte der Herr Consistorialrath auch nur aus eignem Antriebe
zurück aus seiner hervorragenden Stellung in unserer Kirche, aus seinem Con-
sistorialposten. Dann würde es sich voraussichtlich auch nicht wiederholen, daß
die Gemeinde Buer, deren Seelsorger er. ist. die Abhaltung des Gustav-Adolf-
Fcstes in ihrer Kirche nicht erreichen kann, weil ihr Pastor sie (aus Haß gegen
die Reformirten! d. Red.) zwar wohl zu Missionsfesten, aber nicht zu Gustav-
Adolf-Festen hergeben will. Und. urtheilen Ew. Majestät selbst, ob wir, die
wir Landleute sind, mit einem Manne nicht in fortwährendem Streite leben
müssen, der,- wie derselbe Herr Consistorialrath Münchmeyer — nach dem nicht
widerlegten Berichte der Zeitung für Norddeutschland vom 26. August 1862
— auf dem letzten Jahresfeste der evangelisch-lutherischen Mission zu Leipzig*)



") Es war die in Leipzig viel besprochnc Versammlung, in welcher der Herr Pastor
or. Ahlfcld aus Leipzig den Brüdern in Christo den Genuß jener „zufälligen Andacht" von der
Zwiebel und dem Trichter gewährte, die, später durch befreundete Hand dem größern Publicum
um Mitgenuß dargeboten, auch unter profanen Gourmands durch anmuthige Kühnheit in
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[0032] dem Wesen nach seit 22 Jahren, den Worten nach seit 14 Jahren verfassungs¬ mäßig zugesicherte Synodalverfassung gehabt hätten. Und es ist unsere eben¬ so feste Ueberzeugung, daß wir, ohne baldige Einführung der Synodalver¬ fassung, auch in Zukunft nicht ohne Kampf mit unserm Consistorium auskom¬ men werden. Die Mitglieder desselben haben zu abweichende Ansichten. Ihr Paradies ist die Orthodoxie des siebzehnten Jahrhunderts, dahin muß man zurückkehren; uns dagegen widersteht ein Zurückkehren zu den Ansichten und Lehren jener Zeit, wo Deutschland an den Wunden des dreißigjährigen Krieges darniederlag, wo es den Glauben an seine Einheit und Größe verloren hatte, und wo die Theologen, statt die Nation wieder aufzurichten durch die Erweckung der Vater¬ landsliebe, nichts eifriger zu thun hatten, als sich in subtilen Sylbenstechereien zu befehden. Auch halten wir nichts von jener strengen Richtung des Kon¬ sistoriums, die Ansichten Luthers und der Reformationszeit, die sich überlebt haben und die als unbiblisch von der Wissenschaft längst nachgewiesen sind, uoch jetzt für untrügliche evangelische Wahrheit starr versieht. Daneben freilich finden wir auch eine Erklärung eines sehr eifrigen Mit¬ glieds des Herrn Münchmeyer. die unsere gerechte Verwunderung erregt. In seiner Schrift „Ueber das Dogma der sichtbaren und unsichtbaren Kirche". Göttingen 1854, spricht er von einer nothwendigen Fortbildung der Lehre Luthers, gesteht, in diesem Punkte von der Lehre der symbolischen Bücher der lutherischen Kirche abzuweichen, ja sogar, daß er in die Lage kommen könne, aus der Kirche aus¬ scheiden zu müssen, (doch wohl, um katholisch zu werden ? d. Red.), wenn die¬ selbe in diesem Punkte auf ihrem Bekenntnisse bestehe <MA. 170). Ja, geschähe das^nur! oder träte der Herr Consistorialrath auch nur aus eignem Antriebe zurück aus seiner hervorragenden Stellung in unserer Kirche, aus seinem Con- sistorialposten. Dann würde es sich voraussichtlich auch nicht wiederholen, daß die Gemeinde Buer, deren Seelsorger er. ist. die Abhaltung des Gustav-Adolf- Fcstes in ihrer Kirche nicht erreichen kann, weil ihr Pastor sie (aus Haß gegen die Reformirten! d. Red.) zwar wohl zu Missionsfesten, aber nicht zu Gustav- Adolf-Festen hergeben will. Und. urtheilen Ew. Majestät selbst, ob wir, die wir Landleute sind, mit einem Manne nicht in fortwährendem Streite leben müssen, der,- wie derselbe Herr Consistorialrath Münchmeyer — nach dem nicht widerlegten Berichte der Zeitung für Norddeutschland vom 26. August 1862 — auf dem letzten Jahresfeste der evangelisch-lutherischen Mission zu Leipzig*) ") Es war die in Leipzig viel besprochnc Versammlung, in welcher der Herr Pastor or. Ahlfcld aus Leipzig den Brüdern in Christo den Genuß jener „zufälligen Andacht" von der Zwiebel und dem Trichter gewährte, die, später durch befreundete Hand dem größern Publicum um Mitgenuß dargeboten, auch unter profanen Gourmands durch anmuthige Kühnheit in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/32>, abgerufen am 14.05.2024.