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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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sind die weniger Bemittelten auf Hausindustrie angewiesen, und ein großer
Theil der Einwohner von Neujerusalem kleidet sich in Stoffe, die von ihren
eignen Frauen gesponnen und gewebt sind.

Die Führer der Sekte sind von der Gründung ihres Staats in der west¬
lichen Felsenwüste ein immer darauf bedacht gewesen, Unterrichtsanstalten zu
schaffen und zu fördern und Gewerbe und Ackerbau zu heben. Sie bemühten
sich nicht ohne Erfolg um die Herbeiziehung von Handwerkern, um die Ein¬
führung von Maschinen, um die Benutzung von Erfindungen und Ent¬
deckungen auf dem Gebiete der Agronomie und der Fabrikthätigkeit. Es
wurden Sägemühlen errichtet, Steinkohlengruben eröffnet und der Bau von
Baumwolle versucht. Verschiedene Maschinen, mit beträchtlichen Kosten aus
den Staaten im Osten bezogen, begannen zu arbeiten, Bücher kamen an und
wurden eifrig studirt. Die Sendboten der Sekte sandten aus fernen Ländern
Pflanzen und Sämereien ein, deren Cultur dem Lande Nutzen bringen konnte.
t853 entstand eine landwirtschaftliche Gesellschaft und eine Universität, die
sich freilich nicht entfernt mit einer deutschen Hochschule vergleichen lassen wird.
Seitdem sind eine ganze Anzahl neuer Institutionen zur Pflege der Wissenschaften
hinzugetreten, und auch für die' Kunst, besonders für die Musik, die bei den
Mormonen sehr in Ehren gehalten wird, ist mancherlei geschehen. Es gibt
jetzt in Utah nicht weniger als zehn der Wissenschaft und Kunst gewidmete
Anstalten und Gesellschaften, von denen man allerdings nicht so viel erwarten
darf, als ihre Namen: Deseret Universal Scientific Institution. Polysophic
Society, Deseret Theolvgical Institution u. s. s. besagen, die aber immerhin als
Zeichen gelten mögen, daß der neue Staat auch andere als materielle und
kirchliche Interessen kennt und verfolgt. 1860 kam dazu noch eine Akademie,
welche Unterricht in Wissenschaften und Künsten ertheilt und den Schülern,
welche sich verpflichten, später dem Lande Utah zu dienen, unentgeltlich Zutritt
gewährt. Auch der Elementarunterricht ist gut geordnet, obwohl es bei den
eigenthümlichen Verhältnissen Utahs und namentlich bei dem in Vergleich mit
dem Tagelohn für die niedrigste Arbeit sehr geringen Lehrergehalt schwer fällt,
Lehrer zu finden. Jeder Bezirk besitzt seine Schule, und Jedermann lernt
wenigstens Lesen und Schreiben.

Die Seele aller dieser Einrichtungen ist der gegenwärtige Prophet, der die
Mormonen nun schon seit länger als anderthalb Jahrzehnten führt und factisch
regiert. Brigham Uoung. von den Mormonen der ."Löwe Gottes" zubenannt,
während die ihm an Ansehen am nächsten stehenden unter den "zwölf Aposteln",
andere mystische Namen führten (Heber Klubalk hieß "der Herold der Gnade",
Orson Pratt das "Panier der Weisheit", Lyman Wight der "wilde Widder
vom Gebirge"), war es überhaupt, der die Sekte nach dem Tode Joe Smiths
zusammenhielt und durch seine Energie und Klugheit das Bestehen der Colonie


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sind die weniger Bemittelten auf Hausindustrie angewiesen, und ein großer
Theil der Einwohner von Neujerusalem kleidet sich in Stoffe, die von ihren
eignen Frauen gesponnen und gewebt sind.

Die Führer der Sekte sind von der Gründung ihres Staats in der west¬
lichen Felsenwüste ein immer darauf bedacht gewesen, Unterrichtsanstalten zu
schaffen und zu fördern und Gewerbe und Ackerbau zu heben. Sie bemühten
sich nicht ohne Erfolg um die Herbeiziehung von Handwerkern, um die Ein¬
führung von Maschinen, um die Benutzung von Erfindungen und Ent¬
deckungen auf dem Gebiete der Agronomie und der Fabrikthätigkeit. Es
wurden Sägemühlen errichtet, Steinkohlengruben eröffnet und der Bau von
Baumwolle versucht. Verschiedene Maschinen, mit beträchtlichen Kosten aus
den Staaten im Osten bezogen, begannen zu arbeiten, Bücher kamen an und
wurden eifrig studirt. Die Sendboten der Sekte sandten aus fernen Ländern
Pflanzen und Sämereien ein, deren Cultur dem Lande Nutzen bringen konnte.
t853 entstand eine landwirtschaftliche Gesellschaft und eine Universität, die
sich freilich nicht entfernt mit einer deutschen Hochschule vergleichen lassen wird.
Seitdem sind eine ganze Anzahl neuer Institutionen zur Pflege der Wissenschaften
hinzugetreten, und auch für die' Kunst, besonders für die Musik, die bei den
Mormonen sehr in Ehren gehalten wird, ist mancherlei geschehen. Es gibt
jetzt in Utah nicht weniger als zehn der Wissenschaft und Kunst gewidmete
Anstalten und Gesellschaften, von denen man allerdings nicht so viel erwarten
darf, als ihre Namen: Deseret Universal Scientific Institution. Polysophic
Society, Deseret Theolvgical Institution u. s. s. besagen, die aber immerhin als
Zeichen gelten mögen, daß der neue Staat auch andere als materielle und
kirchliche Interessen kennt und verfolgt. 1860 kam dazu noch eine Akademie,
welche Unterricht in Wissenschaften und Künsten ertheilt und den Schülern,
welche sich verpflichten, später dem Lande Utah zu dienen, unentgeltlich Zutritt
gewährt. Auch der Elementarunterricht ist gut geordnet, obwohl es bei den
eigenthümlichen Verhältnissen Utahs und namentlich bei dem in Vergleich mit
dem Tagelohn für die niedrigste Arbeit sehr geringen Lehrergehalt schwer fällt,
Lehrer zu finden. Jeder Bezirk besitzt seine Schule, und Jedermann lernt
wenigstens Lesen und Schreiben.

Die Seele aller dieser Einrichtungen ist der gegenwärtige Prophet, der die
Mormonen nun schon seit länger als anderthalb Jahrzehnten führt und factisch
regiert. Brigham Uoung. von den Mormonen der .„Löwe Gottes" zubenannt,
während die ihm an Ansehen am nächsten stehenden unter den „zwölf Aposteln",
andere mystische Namen führten (Heber Klubalk hieß „der Herold der Gnade",
Orson Pratt das „Panier der Weisheit", Lyman Wight der „wilde Widder
vom Gebirge"), war es überhaupt, der die Sekte nach dem Tode Joe Smiths
zusammenhielt und durch seine Energie und Klugheit das Bestehen der Colonie


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[0043] sind die weniger Bemittelten auf Hausindustrie angewiesen, und ein großer Theil der Einwohner von Neujerusalem kleidet sich in Stoffe, die von ihren eignen Frauen gesponnen und gewebt sind. Die Führer der Sekte sind von der Gründung ihres Staats in der west¬ lichen Felsenwüste ein immer darauf bedacht gewesen, Unterrichtsanstalten zu schaffen und zu fördern und Gewerbe und Ackerbau zu heben. Sie bemühten sich nicht ohne Erfolg um die Herbeiziehung von Handwerkern, um die Ein¬ führung von Maschinen, um die Benutzung von Erfindungen und Ent¬ deckungen auf dem Gebiete der Agronomie und der Fabrikthätigkeit. Es wurden Sägemühlen errichtet, Steinkohlengruben eröffnet und der Bau von Baumwolle versucht. Verschiedene Maschinen, mit beträchtlichen Kosten aus den Staaten im Osten bezogen, begannen zu arbeiten, Bücher kamen an und wurden eifrig studirt. Die Sendboten der Sekte sandten aus fernen Ländern Pflanzen und Sämereien ein, deren Cultur dem Lande Nutzen bringen konnte. t853 entstand eine landwirtschaftliche Gesellschaft und eine Universität, die sich freilich nicht entfernt mit einer deutschen Hochschule vergleichen lassen wird. Seitdem sind eine ganze Anzahl neuer Institutionen zur Pflege der Wissenschaften hinzugetreten, und auch für die' Kunst, besonders für die Musik, die bei den Mormonen sehr in Ehren gehalten wird, ist mancherlei geschehen. Es gibt jetzt in Utah nicht weniger als zehn der Wissenschaft und Kunst gewidmete Anstalten und Gesellschaften, von denen man allerdings nicht so viel erwarten darf, als ihre Namen: Deseret Universal Scientific Institution. Polysophic Society, Deseret Theolvgical Institution u. s. s. besagen, die aber immerhin als Zeichen gelten mögen, daß der neue Staat auch andere als materielle und kirchliche Interessen kennt und verfolgt. 1860 kam dazu noch eine Akademie, welche Unterricht in Wissenschaften und Künsten ertheilt und den Schülern, welche sich verpflichten, später dem Lande Utah zu dienen, unentgeltlich Zutritt gewährt. Auch der Elementarunterricht ist gut geordnet, obwohl es bei den eigenthümlichen Verhältnissen Utahs und namentlich bei dem in Vergleich mit dem Tagelohn für die niedrigste Arbeit sehr geringen Lehrergehalt schwer fällt, Lehrer zu finden. Jeder Bezirk besitzt seine Schule, und Jedermann lernt wenigstens Lesen und Schreiben. Die Seele aller dieser Einrichtungen ist der gegenwärtige Prophet, der die Mormonen nun schon seit länger als anderthalb Jahrzehnten führt und factisch regiert. Brigham Uoung. von den Mormonen der .„Löwe Gottes" zubenannt, während die ihm an Ansehen am nächsten stehenden unter den „zwölf Aposteln", andere mystische Namen führten (Heber Klubalk hieß „der Herold der Gnade", Orson Pratt das „Panier der Weisheit", Lyman Wight der „wilde Widder vom Gebirge"), war es überhaupt, der die Sekte nach dem Tode Joe Smiths zusammenhielt und durch seine Energie und Klugheit das Bestehen der Colonie S*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/43>, abgerufen am 14.05.2024.