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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Herrschsucht der Franzosen streiten. Er sah in Deutschland nirgendwo außerhalb
Preußens das Volk sich freiwillig gegen den Fremden erheben, sondern gehor¬
sam harren auf den Ruf der Fürsten. Er schaute die widerliche Abgötterei, die
mit dem rohesten Volte Europas getrieben ward und leider ein häßlicher Makel
der großen Bewegung bleibt, er hörte jene deutschen Verse, die uns noch heute
das Blut in die Wangen treiben: "ihn jagte der Schrecken des russischen Heers,
ihn jagte die Wucht des Kosakenspcers." Nun gar für England war die Ge.
schichte der Revolutionskriege zugleich eine Geschichte unerhörter Verkümme¬
rung der altenglischen Freiheit. Der Ruhm von Abukir. Trafalgar und Torres-
Vedras war erkauft durch die wiederholte Suspension der Habeas-Corpus-Acte,
durch die Verkündigung des Standrechts, durch Ausweisung von Fremden, Ver¬
folgung der Presse und Strafen sogar gegen das Aussprechen radicaler Mei¬
nungen, und derweil die glänzenden parlamentarischen Talente der alten Zeit
in dem Weltkampfe sich ausrieben, war endlich der Lorbeer zugefallen -- dem
vielverhöhnten "Ministerium der Mittelmäßigkeiten".

Und was war mit allem Blut und Jammer der Völker gewonnen? Die
Pläne des Welteroberers waren verdrängt durch ein politisches System, das in
Wahrheit kein System war. durch das ideenlose Rechnen von Heute auf Mor¬
gen, durch die Feigheit und Gedankenarmuth, die ihre Nichtigkeit hinter eini¬
gen salbungsvollen Phrasen verbargen. An der Stelle des genialen Impera¬
tors thronte nun das unfähige Dreigestirn:


"n cardui^ "t'rinid^, vbieu vsars tus sdaps
ot KöAveu's as nun is tu" axs.

Konnte die Welt wirklich noch über den Sturz der Fremdherrschaft jubeln, wenn
auf dem wiener Congresse in echt bonaparteschem Geiste mit frivoler Mißachtung
der Volksthümlichkeit die Grenzen der Länder bestimmt wurden, wenn dann
russische Späher den deutschen Volksgeist belauschen und vor den Mächtigen
Verklagen dursten? Hatte man noch ein Recht, von Freiheitskriegen zu reden,
wenn mit der "Freiheit" auch die Jesuiten zurückkehrten und die Inquisition
des "katholischen Molochs" von Spanien? wenn in der "Freiheit" jene epide¬
mische Verfinsterung der Köpfe begann, die Schwärmerei verblendeter Pro¬
testanten für das Papstthum und das lichtscheue Treiben frommer Hexenmeister,
der Krüdener und Hohenlohe? Es ist wahr, die Spuren der fremden Herren
vom heimischen Boden hinwegzufegen, bleibt die höchste aller Pflichten, und
ein freier Kopf unter den Deutschen, der alle die unseligen Folgen des Sturzes
Napoleons vorausgesehen. er hätte dennoch zum Säbel greisen müssen für sein
Land. Aber den zwiespältigen Charakter der Freiheitskriege zu leugnen, wird
den gesinnungstüchtigen Phrasen der Gegenwart nie gelingen. Die Cabinete
hatten in Napoleon den Zertrümmerer der alten Unordnung, den Sohn der
Revolution bekämpft, die Völker den Fremden und den Despoten. War es


Herrschsucht der Franzosen streiten. Er sah in Deutschland nirgendwo außerhalb
Preußens das Volk sich freiwillig gegen den Fremden erheben, sondern gehor¬
sam harren auf den Ruf der Fürsten. Er schaute die widerliche Abgötterei, die
mit dem rohesten Volte Europas getrieben ward und leider ein häßlicher Makel
der großen Bewegung bleibt, er hörte jene deutschen Verse, die uns noch heute
das Blut in die Wangen treiben: „ihn jagte der Schrecken des russischen Heers,
ihn jagte die Wucht des Kosakenspcers." Nun gar für England war die Ge.
schichte der Revolutionskriege zugleich eine Geschichte unerhörter Verkümme¬
rung der altenglischen Freiheit. Der Ruhm von Abukir. Trafalgar und Torres-
Vedras war erkauft durch die wiederholte Suspension der Habeas-Corpus-Acte,
durch die Verkündigung des Standrechts, durch Ausweisung von Fremden, Ver¬
folgung der Presse und Strafen sogar gegen das Aussprechen radicaler Mei¬
nungen, und derweil die glänzenden parlamentarischen Talente der alten Zeit
in dem Weltkampfe sich ausrieben, war endlich der Lorbeer zugefallen — dem
vielverhöhnten „Ministerium der Mittelmäßigkeiten".

Und was war mit allem Blut und Jammer der Völker gewonnen? Die
Pläne des Welteroberers waren verdrängt durch ein politisches System, das in
Wahrheit kein System war. durch das ideenlose Rechnen von Heute auf Mor¬
gen, durch die Feigheit und Gedankenarmuth, die ihre Nichtigkeit hinter eini¬
gen salbungsvollen Phrasen verbargen. An der Stelle des genialen Impera¬
tors thronte nun das unfähige Dreigestirn:


»n cardui^ "t'rinid^, vbieu vsars tus sdaps
ot KöAveu's as nun is tu« axs.

Konnte die Welt wirklich noch über den Sturz der Fremdherrschaft jubeln, wenn
auf dem wiener Congresse in echt bonaparteschem Geiste mit frivoler Mißachtung
der Volksthümlichkeit die Grenzen der Länder bestimmt wurden, wenn dann
russische Späher den deutschen Volksgeist belauschen und vor den Mächtigen
Verklagen dursten? Hatte man noch ein Recht, von Freiheitskriegen zu reden,
wenn mit der „Freiheit" auch die Jesuiten zurückkehrten und die Inquisition
des „katholischen Molochs" von Spanien? wenn in der „Freiheit" jene epide¬
mische Verfinsterung der Köpfe begann, die Schwärmerei verblendeter Pro¬
testanten für das Papstthum und das lichtscheue Treiben frommer Hexenmeister,
der Krüdener und Hohenlohe? Es ist wahr, die Spuren der fremden Herren
vom heimischen Boden hinwegzufegen, bleibt die höchste aller Pflichten, und
ein freier Kopf unter den Deutschen, der alle die unseligen Folgen des Sturzes
Napoleons vorausgesehen. er hätte dennoch zum Säbel greisen müssen für sein
Land. Aber den zwiespältigen Charakter der Freiheitskriege zu leugnen, wird
den gesinnungstüchtigen Phrasen der Gegenwart nie gelingen. Die Cabinete
hatten in Napoleon den Zertrümmerer der alten Unordnung, den Sohn der
Revolution bekämpft, die Völker den Fremden und den Despoten. War es


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[0021] Herrschsucht der Franzosen streiten. Er sah in Deutschland nirgendwo außerhalb Preußens das Volk sich freiwillig gegen den Fremden erheben, sondern gehor¬ sam harren auf den Ruf der Fürsten. Er schaute die widerliche Abgötterei, die mit dem rohesten Volte Europas getrieben ward und leider ein häßlicher Makel der großen Bewegung bleibt, er hörte jene deutschen Verse, die uns noch heute das Blut in die Wangen treiben: „ihn jagte der Schrecken des russischen Heers, ihn jagte die Wucht des Kosakenspcers." Nun gar für England war die Ge. schichte der Revolutionskriege zugleich eine Geschichte unerhörter Verkümme¬ rung der altenglischen Freiheit. Der Ruhm von Abukir. Trafalgar und Torres- Vedras war erkauft durch die wiederholte Suspension der Habeas-Corpus-Acte, durch die Verkündigung des Standrechts, durch Ausweisung von Fremden, Ver¬ folgung der Presse und Strafen sogar gegen das Aussprechen radicaler Mei¬ nungen, und derweil die glänzenden parlamentarischen Talente der alten Zeit in dem Weltkampfe sich ausrieben, war endlich der Lorbeer zugefallen — dem vielverhöhnten „Ministerium der Mittelmäßigkeiten". Und was war mit allem Blut und Jammer der Völker gewonnen? Die Pläne des Welteroberers waren verdrängt durch ein politisches System, das in Wahrheit kein System war. durch das ideenlose Rechnen von Heute auf Mor¬ gen, durch die Feigheit und Gedankenarmuth, die ihre Nichtigkeit hinter eini¬ gen salbungsvollen Phrasen verbargen. An der Stelle des genialen Impera¬ tors thronte nun das unfähige Dreigestirn: »n cardui^ "t'rinid^, vbieu vsars tus sdaps ot KöAveu's as nun is tu« axs. Konnte die Welt wirklich noch über den Sturz der Fremdherrschaft jubeln, wenn auf dem wiener Congresse in echt bonaparteschem Geiste mit frivoler Mißachtung der Volksthümlichkeit die Grenzen der Länder bestimmt wurden, wenn dann russische Späher den deutschen Volksgeist belauschen und vor den Mächtigen Verklagen dursten? Hatte man noch ein Recht, von Freiheitskriegen zu reden, wenn mit der „Freiheit" auch die Jesuiten zurückkehrten und die Inquisition des „katholischen Molochs" von Spanien? wenn in der „Freiheit" jene epide¬ mische Verfinsterung der Köpfe begann, die Schwärmerei verblendeter Pro¬ testanten für das Papstthum und das lichtscheue Treiben frommer Hexenmeister, der Krüdener und Hohenlohe? Es ist wahr, die Spuren der fremden Herren vom heimischen Boden hinwegzufegen, bleibt die höchste aller Pflichten, und ein freier Kopf unter den Deutschen, der alle die unseligen Folgen des Sturzes Napoleons vorausgesehen. er hätte dennoch zum Säbel greisen müssen für sein Land. Aber den zwiespältigen Charakter der Freiheitskriege zu leugnen, wird den gesinnungstüchtigen Phrasen der Gegenwart nie gelingen. Die Cabinete hatten in Napoleon den Zertrümmerer der alten Unordnung, den Sohn der Revolution bekämpft, die Völker den Fremden und den Despoten. War es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/21>, abgerufen am 15.05.2024.