Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nickt eine rühmliche, eine nothwendige That, daß Byron den reaktionären Zug,
der die Bekämpfung Napoleons bezeichnete, schonungslos der Welt enthüllte?
Das können nur jene verneinen, die nichts ahnen von der echten historischen
Gerechtigkeit, die dem Pöbel als mattherzige Halbheit gilt. Wenn er dabei
die Lichtseite jener Kämpfe übersah, so ist er am meisten zu entschuldigen, der
mit wunderbarem Scharfblick das Hereinbrechen der Reaction vorherverkündigt
hatte -- er, der als Engländer in dem Kriege gegen Napoleon einen Kampf
für das Dasein seines Volkes nicht zu bewundern hatte.

Nicht nach den ungleich gesunderen Zuständen des heutigen England dür¬
fen Wir Byrons Opposition gegen die englische Gesellschaft beurtheilen. In
dem Augenblicke, da alle Welt der unermüdlichsten, nie besiegten Feindin Napo¬
leons zujubelte, war England in Wahrheit ein unglückliches, von Unfrieden
zerrissenes Land. Nie zuvor war die alte Sünde dieses Staats, die Ausbeu¬
tung der niederen Stände, so grell zu Tage getreten. Eine unheimliche Gäh-
rung ergriff die Massen, seit die Selbstsucht der großen Grundbesitzer (des
taret-illterest) die Kornzölle hoch und höher hinaufgeschraubt hatte. Nicht
satirische Uebertreibung -- die nackte Wahrheit war es, wenn Byron rief:


tre taret -- seit intörsst, groans kron fuore to strors
lor lehr tuae xlent^ frontal attain tus poor.

Die Worte des Dichters rechtfertigen sich durch den berüchtigten Ausspruch
Castlereaghs im Parlamente: "der Weizenpreis ist bereits auf eine unerhörte
Höhe gestiegen; da möchte ich doch wissen, wo die Noth ist." Und inmitten
dieses "unvaterländischen Adels" thronte ein Georg der Vierte, wurde jene
königliche "Bordellkomödie" aufgeführt, der Proceß der Königin Karoline, der
so manchen alten Namen der englischen und der hannoverschen Aristokratie mit
Schmach bedeckte. Während also die sittliche Fäulniß der höheren Stände der
Welt sich enthüllte, trat gerade jetzt jene oben geschilderte Eigenheit der eng¬
lischen Gesittung sehr roh und selbstgefällig hervor. Man verwahrte "die Reli¬
gion und Moral dieses Landes" wider Byrons "satanische Angriffe", und die
"freundlichen Monopolienhändler der himmlischen Liebe" verketzerten am ge¬
hässigsten gerade jene Aeußerungen des Dichters, die uns Deutschen ganz un-
anstößig, ja zahm erscheinen, da Byron in seinem religiösen Nachdenken nie¬
mals über den Zweifel hinaus, nie zu entschlossenem Unglauben gelangt ist.
Der Antibyron, eine Streitschrift voll gottseliger Wuth, ward geschrieben,
weil eine Stelle des Childe Harold das Wiedersehen nach dem Tode in weh¬
müthigem Tone als eine nicht völlig sichere Hoffnung darstellt! Eine fromme
englische Dame fiel, da Byron bei Frau v. Staöl unerwartet eintrat, bei dem
bloßen Anblicke des Ungeheuers in Ohnmacht. Der Kain, sicherlich eines der
mildesten Werke des Dichters, den sogar Walter Scott in Schutz nahm, galt
geradezu als Gotteslästerung. Als Byrons Verleger gegen einen Nachdrucker


nickt eine rühmliche, eine nothwendige That, daß Byron den reaktionären Zug,
der die Bekämpfung Napoleons bezeichnete, schonungslos der Welt enthüllte?
Das können nur jene verneinen, die nichts ahnen von der echten historischen
Gerechtigkeit, die dem Pöbel als mattherzige Halbheit gilt. Wenn er dabei
die Lichtseite jener Kämpfe übersah, so ist er am meisten zu entschuldigen, der
mit wunderbarem Scharfblick das Hereinbrechen der Reaction vorherverkündigt
hatte — er, der als Engländer in dem Kriege gegen Napoleon einen Kampf
für das Dasein seines Volkes nicht zu bewundern hatte.

Nicht nach den ungleich gesunderen Zuständen des heutigen England dür¬
fen Wir Byrons Opposition gegen die englische Gesellschaft beurtheilen. In
dem Augenblicke, da alle Welt der unermüdlichsten, nie besiegten Feindin Napo¬
leons zujubelte, war England in Wahrheit ein unglückliches, von Unfrieden
zerrissenes Land. Nie zuvor war die alte Sünde dieses Staats, die Ausbeu¬
tung der niederen Stände, so grell zu Tage getreten. Eine unheimliche Gäh-
rung ergriff die Massen, seit die Selbstsucht der großen Grundbesitzer (des
taret-illterest) die Kornzölle hoch und höher hinaufgeschraubt hatte. Nicht
satirische Uebertreibung — die nackte Wahrheit war es, wenn Byron rief:


tre taret — seit intörsst, groans kron fuore to strors
lor lehr tuae xlent^ frontal attain tus poor.

Die Worte des Dichters rechtfertigen sich durch den berüchtigten Ausspruch
Castlereaghs im Parlamente: „der Weizenpreis ist bereits auf eine unerhörte
Höhe gestiegen; da möchte ich doch wissen, wo die Noth ist." Und inmitten
dieses „unvaterländischen Adels" thronte ein Georg der Vierte, wurde jene
königliche „Bordellkomödie" aufgeführt, der Proceß der Königin Karoline, der
so manchen alten Namen der englischen und der hannoverschen Aristokratie mit
Schmach bedeckte. Während also die sittliche Fäulniß der höheren Stände der
Welt sich enthüllte, trat gerade jetzt jene oben geschilderte Eigenheit der eng¬
lischen Gesittung sehr roh und selbstgefällig hervor. Man verwahrte „die Reli¬
gion und Moral dieses Landes" wider Byrons „satanische Angriffe", und die
„freundlichen Monopolienhändler der himmlischen Liebe" verketzerten am ge¬
hässigsten gerade jene Aeußerungen des Dichters, die uns Deutschen ganz un-
anstößig, ja zahm erscheinen, da Byron in seinem religiösen Nachdenken nie¬
mals über den Zweifel hinaus, nie zu entschlossenem Unglauben gelangt ist.
Der Antibyron, eine Streitschrift voll gottseliger Wuth, ward geschrieben,
weil eine Stelle des Childe Harold das Wiedersehen nach dem Tode in weh¬
müthigem Tone als eine nicht völlig sichere Hoffnung darstellt! Eine fromme
englische Dame fiel, da Byron bei Frau v. Staöl unerwartet eintrat, bei dem
bloßen Anblicke des Ungeheuers in Ohnmacht. Der Kain, sicherlich eines der
mildesten Werke des Dichters, den sogar Walter Scott in Schutz nahm, galt
geradezu als Gotteslästerung. Als Byrons Verleger gegen einen Nachdrucker


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115416"/>
          <p xml:id="ID_39" prev="#ID_38"> nickt eine rühmliche, eine nothwendige That, daß Byron den reaktionären Zug,<lb/>
der die Bekämpfung Napoleons bezeichnete, schonungslos der Welt enthüllte?<lb/>
Das können nur jene verneinen, die nichts ahnen von der echten historischen<lb/>
Gerechtigkeit, die dem Pöbel als mattherzige Halbheit gilt. Wenn er dabei<lb/>
die Lichtseite jener Kämpfe übersah, so ist er am meisten zu entschuldigen, der<lb/>
mit wunderbarem Scharfblick das Hereinbrechen der Reaction vorherverkündigt<lb/>
hatte &#x2014; er, der als Engländer in dem Kriege gegen Napoleon einen Kampf<lb/>
für das Dasein seines Volkes nicht zu bewundern hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_40"> Nicht nach den ungleich gesunderen Zuständen des heutigen England dür¬<lb/>
fen Wir Byrons Opposition gegen die englische Gesellschaft beurtheilen. In<lb/>
dem Augenblicke, da alle Welt der unermüdlichsten, nie besiegten Feindin Napo¬<lb/>
leons zujubelte, war England in Wahrheit ein unglückliches, von Unfrieden<lb/>
zerrissenes Land. Nie zuvor war die alte Sünde dieses Staats, die Ausbeu¬<lb/>
tung der niederen Stände, so grell zu Tage getreten. Eine unheimliche Gäh-<lb/>
rung ergriff die Massen, seit die Selbstsucht der großen Grundbesitzer (des<lb/>
taret-illterest) die Kornzölle hoch und höher hinaufgeschraubt hatte. Nicht<lb/>
satirische Uebertreibung &#x2014; die nackte Wahrheit war es, wenn Byron rief:</p><lb/>
          <quote> tre taret &#x2014; seit intörsst, groans kron fuore to strors<lb/>
lor lehr tuae xlent^ frontal attain tus poor.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_41" next="#ID_42"> Die Worte des Dichters rechtfertigen sich durch den berüchtigten Ausspruch<lb/>
Castlereaghs im Parlamente: &#x201E;der Weizenpreis ist bereits auf eine unerhörte<lb/>
Höhe gestiegen; da möchte ich doch wissen, wo die Noth ist." Und inmitten<lb/>
dieses &#x201E;unvaterländischen Adels" thronte ein Georg der Vierte, wurde jene<lb/>
königliche &#x201E;Bordellkomödie" aufgeführt, der Proceß der Königin Karoline, der<lb/>
so manchen alten Namen der englischen und der hannoverschen Aristokratie mit<lb/>
Schmach bedeckte. Während also die sittliche Fäulniß der höheren Stände der<lb/>
Welt sich enthüllte, trat gerade jetzt jene oben geschilderte Eigenheit der eng¬<lb/>
lischen Gesittung sehr roh und selbstgefällig hervor. Man verwahrte &#x201E;die Reli¬<lb/>
gion und Moral dieses Landes" wider Byrons &#x201E;satanische Angriffe", und die<lb/>
&#x201E;freundlichen Monopolienhändler der himmlischen Liebe" verketzerten am ge¬<lb/>
hässigsten gerade jene Aeußerungen des Dichters, die uns Deutschen ganz un-<lb/>
anstößig, ja zahm erscheinen, da Byron in seinem religiösen Nachdenken nie¬<lb/>
mals über den Zweifel hinaus, nie zu entschlossenem Unglauben gelangt ist.<lb/>
Der Antibyron, eine Streitschrift voll gottseliger Wuth, ward geschrieben,<lb/>
weil eine Stelle des Childe Harold das Wiedersehen nach dem Tode in weh¬<lb/>
müthigem Tone als eine nicht völlig sichere Hoffnung darstellt! Eine fromme<lb/>
englische Dame fiel, da Byron bei Frau v. Staöl unerwartet eintrat, bei dem<lb/>
bloßen Anblicke des Ungeheuers in Ohnmacht. Der Kain, sicherlich eines der<lb/>
mildesten Werke des Dichters, den sogar Walter Scott in Schutz nahm, galt<lb/>
geradezu als Gotteslästerung. Als Byrons Verleger gegen einen Nachdrucker</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] nickt eine rühmliche, eine nothwendige That, daß Byron den reaktionären Zug, der die Bekämpfung Napoleons bezeichnete, schonungslos der Welt enthüllte? Das können nur jene verneinen, die nichts ahnen von der echten historischen Gerechtigkeit, die dem Pöbel als mattherzige Halbheit gilt. Wenn er dabei die Lichtseite jener Kämpfe übersah, so ist er am meisten zu entschuldigen, der mit wunderbarem Scharfblick das Hereinbrechen der Reaction vorherverkündigt hatte — er, der als Engländer in dem Kriege gegen Napoleon einen Kampf für das Dasein seines Volkes nicht zu bewundern hatte. Nicht nach den ungleich gesunderen Zuständen des heutigen England dür¬ fen Wir Byrons Opposition gegen die englische Gesellschaft beurtheilen. In dem Augenblicke, da alle Welt der unermüdlichsten, nie besiegten Feindin Napo¬ leons zujubelte, war England in Wahrheit ein unglückliches, von Unfrieden zerrissenes Land. Nie zuvor war die alte Sünde dieses Staats, die Ausbeu¬ tung der niederen Stände, so grell zu Tage getreten. Eine unheimliche Gäh- rung ergriff die Massen, seit die Selbstsucht der großen Grundbesitzer (des taret-illterest) die Kornzölle hoch und höher hinaufgeschraubt hatte. Nicht satirische Uebertreibung — die nackte Wahrheit war es, wenn Byron rief: tre taret — seit intörsst, groans kron fuore to strors lor lehr tuae xlent^ frontal attain tus poor. Die Worte des Dichters rechtfertigen sich durch den berüchtigten Ausspruch Castlereaghs im Parlamente: „der Weizenpreis ist bereits auf eine unerhörte Höhe gestiegen; da möchte ich doch wissen, wo die Noth ist." Und inmitten dieses „unvaterländischen Adels" thronte ein Georg der Vierte, wurde jene königliche „Bordellkomödie" aufgeführt, der Proceß der Königin Karoline, der so manchen alten Namen der englischen und der hannoverschen Aristokratie mit Schmach bedeckte. Während also die sittliche Fäulniß der höheren Stände der Welt sich enthüllte, trat gerade jetzt jene oben geschilderte Eigenheit der eng¬ lischen Gesittung sehr roh und selbstgefällig hervor. Man verwahrte „die Reli¬ gion und Moral dieses Landes" wider Byrons „satanische Angriffe", und die „freundlichen Monopolienhändler der himmlischen Liebe" verketzerten am ge¬ hässigsten gerade jene Aeußerungen des Dichters, die uns Deutschen ganz un- anstößig, ja zahm erscheinen, da Byron in seinem religiösen Nachdenken nie¬ mals über den Zweifel hinaus, nie zu entschlossenem Unglauben gelangt ist. Der Antibyron, eine Streitschrift voll gottseliger Wuth, ward geschrieben, weil eine Stelle des Childe Harold das Wiedersehen nach dem Tode in weh¬ müthigem Tone als eine nicht völlig sichere Hoffnung darstellt! Eine fromme englische Dame fiel, da Byron bei Frau v. Staöl unerwartet eintrat, bei dem bloßen Anblicke des Ungeheuers in Ohnmacht. Der Kain, sicherlich eines der mildesten Werke des Dichters, den sogar Walter Scott in Schutz nahm, galt geradezu als Gotteslästerung. Als Byrons Verleger gegen einen Nachdrucker

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/22
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/22>, abgerufen am 15.05.2024.