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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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ehrlicher Empfindung, frei von Gewissensscrupeln hervorgehe. Wir fordern
deshalb nicht, daß der Kronprinz Parteiführer gegen die Politik der Krone
werde. Wir sind bereit seine Person und Stellung, wie die eines stillen
Bundesgenossen zu schonen und zu ehren. Wir haben dafür außer der Wür¬
digung seines innigen FamiliengesühlS noch einen besonderen Grund. Wir
erkennen wohl, daß die preußische Perfassung nichts gethan hat, dem Thron¬
folger die freie und selbständige Stellung zu geben, welche in andern Staaten
demselben vom Tage seiner Majvrennität gewährt wird.

"Wenn wir Preußen aber bereit sind, die zarten Rücksichten zu ehren, welche
der Kronprinz als Sohn und Thronfolger zu nehmen hat, so vermögen wir doch
dem jungen Fürsten gegenüber nicht einige Wünsche zu unterdrücken, welche
hier mit geziemender Bescheidenheit vorgetragen werden sollen. Wir lesen
hier und da, daß der Kronprinz für das Gesetz und unser Recht eingetreten
ist, aber wir wissen nichts Genaueres von dem Protest. -- Und ferner, wir
würden es mit Leidwesen hören, wenn fortan der Thronfolger noch irgendwie
mit Maßregeln des gegenwärtigen Systems in Perbindung gebracht werden
sollte, und wir besorgen, daß das trotz Allem noch geschehen kann, so
lange Seine Königliche Hoheit nicht ausdrücklich erklärt, den Sitz im Staats¬
ministerium nicht wieder einzunehmen und von dem, einem Kronprinzen von
Preußen zustehenden Recht, so lange das gegenwärtige System dauert, kei¬
nen Gebrauch zu machen. Endlich können wir nicht umhin, noch einen Punkt
zu erwähnen. Wir erkennen sehr wohl, welchen Werth es für den Kronprinzen
haben muß. als preußischer General in dienstlicher Thätigkeit zu sein, aber wir
möchten nicht verhehlen, daß wir es mit der hohen Stellung und Würde
eines preußischen Thronfolgers nicht leicht vereinbar erachten, unter dem gegen¬
wärtigen System dem Zwange des militärischen Disciplinarverfahrens unter¬
worfen zu sein. Denn in dem preussischen Heere ist gegenwärtig neben vielem
Vortrefflichen eine unnöthige und durch das Gesetz nicht zu rechtfertigende Be¬
vormundung der Gesinnung, ein argwöhnisches Ueberwachen der politischen Ueber¬
zeugungen herausgewachsen. Die militärische Zucht und Disciplin beschränkt
sich nicht mehr, wie in andern Culturstaaten mit freien Lebensfor-men Brauch
ist. und wie Gesetz und Vernunft fordert, auf rein militärische Angelegenhei¬
ten, sie wird sogar vorzugsweise verwandt, um die politische Parteigesinnung
zu lohnen und zu strafen. Wenn den Soldaten das Lesen nichlfeudaler Blät¬
ter verwehrt und bestraft wird, wenn tüchtige und verdienstvolle Offiziere aus
keinem andern Grunde vom Dienst entfernt und zur Disposition gestellt wer¬
den, als weil sie im leisen Verdacht stehen, daß ihre politische Ueberzeugung
nicht durchaus mit der des Systems übereinstimme, wenn das gesammte Heer
mit der äußersten Sorgfalt zum Werkzeuge einer Partei gemacht wird,
welche gegen die Majorität der Volkswünsche reagirt. in solchem Falle drohe".


ehrlicher Empfindung, frei von Gewissensscrupeln hervorgehe. Wir fordern
deshalb nicht, daß der Kronprinz Parteiführer gegen die Politik der Krone
werde. Wir sind bereit seine Person und Stellung, wie die eines stillen
Bundesgenossen zu schonen und zu ehren. Wir haben dafür außer der Wür¬
digung seines innigen FamiliengesühlS noch einen besonderen Grund. Wir
erkennen wohl, daß die preußische Perfassung nichts gethan hat, dem Thron¬
folger die freie und selbständige Stellung zu geben, welche in andern Staaten
demselben vom Tage seiner Majvrennität gewährt wird.

„Wenn wir Preußen aber bereit sind, die zarten Rücksichten zu ehren, welche
der Kronprinz als Sohn und Thronfolger zu nehmen hat, so vermögen wir doch
dem jungen Fürsten gegenüber nicht einige Wünsche zu unterdrücken, welche
hier mit geziemender Bescheidenheit vorgetragen werden sollen. Wir lesen
hier und da, daß der Kronprinz für das Gesetz und unser Recht eingetreten
ist, aber wir wissen nichts Genaueres von dem Protest. — Und ferner, wir
würden es mit Leidwesen hören, wenn fortan der Thronfolger noch irgendwie
mit Maßregeln des gegenwärtigen Systems in Perbindung gebracht werden
sollte, und wir besorgen, daß das trotz Allem noch geschehen kann, so
lange Seine Königliche Hoheit nicht ausdrücklich erklärt, den Sitz im Staats¬
ministerium nicht wieder einzunehmen und von dem, einem Kronprinzen von
Preußen zustehenden Recht, so lange das gegenwärtige System dauert, kei¬
nen Gebrauch zu machen. Endlich können wir nicht umhin, noch einen Punkt
zu erwähnen. Wir erkennen sehr wohl, welchen Werth es für den Kronprinzen
haben muß. als preußischer General in dienstlicher Thätigkeit zu sein, aber wir
möchten nicht verhehlen, daß wir es mit der hohen Stellung und Würde
eines preußischen Thronfolgers nicht leicht vereinbar erachten, unter dem gegen¬
wärtigen System dem Zwange des militärischen Disciplinarverfahrens unter¬
worfen zu sein. Denn in dem preussischen Heere ist gegenwärtig neben vielem
Vortrefflichen eine unnöthige und durch das Gesetz nicht zu rechtfertigende Be¬
vormundung der Gesinnung, ein argwöhnisches Ueberwachen der politischen Ueber¬
zeugungen herausgewachsen. Die militärische Zucht und Disciplin beschränkt
sich nicht mehr, wie in andern Culturstaaten mit freien Lebensfor-men Brauch
ist. und wie Gesetz und Vernunft fordert, auf rein militärische Angelegenhei¬
ten, sie wird sogar vorzugsweise verwandt, um die politische Parteigesinnung
zu lohnen und zu strafen. Wenn den Soldaten das Lesen nichlfeudaler Blät¬
ter verwehrt und bestraft wird, wenn tüchtige und verdienstvolle Offiziere aus
keinem andern Grunde vom Dienst entfernt und zur Disposition gestellt wer¬
den, als weil sie im leisen Verdacht stehen, daß ihre politische Ueberzeugung
nicht durchaus mit der des Systems übereinstimme, wenn das gesammte Heer
mit der äußersten Sorgfalt zum Werkzeuge einer Partei gemacht wird,
welche gegen die Majorität der Volkswünsche reagirt. in solchem Falle drohe».


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[0045] ehrlicher Empfindung, frei von Gewissensscrupeln hervorgehe. Wir fordern deshalb nicht, daß der Kronprinz Parteiführer gegen die Politik der Krone werde. Wir sind bereit seine Person und Stellung, wie die eines stillen Bundesgenossen zu schonen und zu ehren. Wir haben dafür außer der Wür¬ digung seines innigen FamiliengesühlS noch einen besonderen Grund. Wir erkennen wohl, daß die preußische Perfassung nichts gethan hat, dem Thron¬ folger die freie und selbständige Stellung zu geben, welche in andern Staaten demselben vom Tage seiner Majvrennität gewährt wird. „Wenn wir Preußen aber bereit sind, die zarten Rücksichten zu ehren, welche der Kronprinz als Sohn und Thronfolger zu nehmen hat, so vermögen wir doch dem jungen Fürsten gegenüber nicht einige Wünsche zu unterdrücken, welche hier mit geziemender Bescheidenheit vorgetragen werden sollen. Wir lesen hier und da, daß der Kronprinz für das Gesetz und unser Recht eingetreten ist, aber wir wissen nichts Genaueres von dem Protest. — Und ferner, wir würden es mit Leidwesen hören, wenn fortan der Thronfolger noch irgendwie mit Maßregeln des gegenwärtigen Systems in Perbindung gebracht werden sollte, und wir besorgen, daß das trotz Allem noch geschehen kann, so lange Seine Königliche Hoheit nicht ausdrücklich erklärt, den Sitz im Staats¬ ministerium nicht wieder einzunehmen und von dem, einem Kronprinzen von Preußen zustehenden Recht, so lange das gegenwärtige System dauert, kei¬ nen Gebrauch zu machen. Endlich können wir nicht umhin, noch einen Punkt zu erwähnen. Wir erkennen sehr wohl, welchen Werth es für den Kronprinzen haben muß. als preußischer General in dienstlicher Thätigkeit zu sein, aber wir möchten nicht verhehlen, daß wir es mit der hohen Stellung und Würde eines preußischen Thronfolgers nicht leicht vereinbar erachten, unter dem gegen¬ wärtigen System dem Zwange des militärischen Disciplinarverfahrens unter¬ worfen zu sein. Denn in dem preussischen Heere ist gegenwärtig neben vielem Vortrefflichen eine unnöthige und durch das Gesetz nicht zu rechtfertigende Be¬ vormundung der Gesinnung, ein argwöhnisches Ueberwachen der politischen Ueber¬ zeugungen herausgewachsen. Die militärische Zucht und Disciplin beschränkt sich nicht mehr, wie in andern Culturstaaten mit freien Lebensfor-men Brauch ist. und wie Gesetz und Vernunft fordert, auf rein militärische Angelegenhei¬ ten, sie wird sogar vorzugsweise verwandt, um die politische Parteigesinnung zu lohnen und zu strafen. Wenn den Soldaten das Lesen nichlfeudaler Blät¬ ter verwehrt und bestraft wird, wenn tüchtige und verdienstvolle Offiziere aus keinem andern Grunde vom Dienst entfernt und zur Disposition gestellt wer¬ den, als weil sie im leisen Verdacht stehen, daß ihre politische Ueberzeugung nicht durchaus mit der des Systems übereinstimme, wenn das gesammte Heer mit der äußersten Sorgfalt zum Werkzeuge einer Partei gemacht wird, welche gegen die Majorität der Volkswünsche reagirt. in solchem Falle drohe».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/45>, abgerufen am 15.05.2024.