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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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strahlt eine Farben- und Gestaltenfülle dem Beschauer entgegen. Aber den
Hauptschmuck bilden, den Königsgräbern gegenüber, die beiden vergoldeten
Erzstandbilder. welche Rauchs Meisterhand schuf. Da steht die Heldengestalt
Miecislaws des Ersten, mit dem Helm auf dem lockigen Haupt, gehüllt in ein
langes togaartiges Gewand und ein hohes Kreuz in der Hand, wogegen Bo-
leslaw der Erste in herausfordernder Stellung, den Mantel nachlässig um die
Schulter geworfen, die eine Hand auf dem Schwertgriff ruhenläßt, die andere
in die Seite gestemmt hat und voll Selbstvertrauen und mit festem Blick un¬
ter der Helmkappe hervorschaut.

Raczynski hatte an der Kapelle seinen Namenszug anbringen lassen. Die
Dankbarkeit seiner polnischen Brüder nöthigte ihn, denselben zu vernichten.
Von da an war er gebrochen. Seines 1846 erfolgten Todes ist schon er-
wähnt. Er hinterließ seiner Nation zu Ehren folgendes Wort:

"Der Patriotismus ist eine schöne Sache, und wäre es mög¬
lich Polen herzustellen, so würde ich die Hälfte meines Vermögens
dafür hergeben und mit der andern Hälfte auswandern."

Das Todesjahr Raczynst'is war auch das eines andern polnischen Patrio¬
ten im edelsten Sinne. des Dr. Karl Marcinkowski. Er war wohl der Letzte,
der ungestraft wagen durfte, die Fahne der Reform derjenigen der Verschwörung
und des Verrathes entgegenzustellen. Sein Bestreben ging auf Volksbildung;
er wollte den Bürgerstand heben und aus dem Volke heraus tüchtige Geschäfts¬
leute und fleißige Gelehrte erziehen. Dahin zweckte "der Verein zur Unter¬
stützung junger Leute behufs ihrer wissenschaftlichen Ausbildung in Posen", des¬
sen Stifter und Führer er war, für den er aber auch einen Theil des polni¬
schen Adels zu begeistern wußte. 1841 gegründet, hatte dieser Verein in den
Jahren 1844 und 43 schon Jahreseinnahmen von resp. 13,148 Thlr. und
12,321 Thlr. Er unterstützte damals 30 Studenten zu Berlin und Breslau,
bis zur Höhe von 200 Thlr., 103 Schüler des Posener Mariengymnasiums.
1 des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in Posen. 1 des Ostrower, 29 des Trze-
mesznoer, 15 des Lissaer. K des Eulmcr, 2 des Bromberger Gymnasiums.
111 Seminaristen und 59 Elementarschüler. Nach dem Tode seines Gründers
ließ der Eifer nach; der Verein besteht noch, aber er ist den Weg alles Pol¬
nischen gegangen, ein Faktor der politischen Agitation und der schleichenden
Revolution geworden.

Außer diesen zwei Männern könnte ich Ihnen noch den einen und den
andern Polen nenne", der nach seiner Ueberzeugung und auf seine Weise sein
Leben an die nationale Sache gesetzt, aber weil er nicht auf der breit getrete¬
nen Straße der schreienden Opposition anzog, schnöden Undank geerntet hat.

Doch es ist Zeit, daß ich mich wieder nach der Chaussee umsehe, die mich
durch den ganzen Osten der Provinz von Süd nach Nord führte. Mag ich


strahlt eine Farben- und Gestaltenfülle dem Beschauer entgegen. Aber den
Hauptschmuck bilden, den Königsgräbern gegenüber, die beiden vergoldeten
Erzstandbilder. welche Rauchs Meisterhand schuf. Da steht die Heldengestalt
Miecislaws des Ersten, mit dem Helm auf dem lockigen Haupt, gehüllt in ein
langes togaartiges Gewand und ein hohes Kreuz in der Hand, wogegen Bo-
leslaw der Erste in herausfordernder Stellung, den Mantel nachlässig um die
Schulter geworfen, die eine Hand auf dem Schwertgriff ruhenläßt, die andere
in die Seite gestemmt hat und voll Selbstvertrauen und mit festem Blick un¬
ter der Helmkappe hervorschaut.

Raczynski hatte an der Kapelle seinen Namenszug anbringen lassen. Die
Dankbarkeit seiner polnischen Brüder nöthigte ihn, denselben zu vernichten.
Von da an war er gebrochen. Seines 1846 erfolgten Todes ist schon er-
wähnt. Er hinterließ seiner Nation zu Ehren folgendes Wort:

„Der Patriotismus ist eine schöne Sache, und wäre es mög¬
lich Polen herzustellen, so würde ich die Hälfte meines Vermögens
dafür hergeben und mit der andern Hälfte auswandern."

Das Todesjahr Raczynst'is war auch das eines andern polnischen Patrio¬
ten im edelsten Sinne. des Dr. Karl Marcinkowski. Er war wohl der Letzte,
der ungestraft wagen durfte, die Fahne der Reform derjenigen der Verschwörung
und des Verrathes entgegenzustellen. Sein Bestreben ging auf Volksbildung;
er wollte den Bürgerstand heben und aus dem Volke heraus tüchtige Geschäfts¬
leute und fleißige Gelehrte erziehen. Dahin zweckte „der Verein zur Unter¬
stützung junger Leute behufs ihrer wissenschaftlichen Ausbildung in Posen", des¬
sen Stifter und Führer er war, für den er aber auch einen Theil des polni¬
schen Adels zu begeistern wußte. 1841 gegründet, hatte dieser Verein in den
Jahren 1844 und 43 schon Jahreseinnahmen von resp. 13,148 Thlr. und
12,321 Thlr. Er unterstützte damals 30 Studenten zu Berlin und Breslau,
bis zur Höhe von 200 Thlr., 103 Schüler des Posener Mariengymnasiums.
1 des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums in Posen. 1 des Ostrower, 29 des Trze-
mesznoer, 15 des Lissaer. K des Eulmcr, 2 des Bromberger Gymnasiums.
111 Seminaristen und 59 Elementarschüler. Nach dem Tode seines Gründers
ließ der Eifer nach; der Verein besteht noch, aber er ist den Weg alles Pol¬
nischen gegangen, ein Faktor der politischen Agitation und der schleichenden
Revolution geworden.

Außer diesen zwei Männern könnte ich Ihnen noch den einen und den
andern Polen nenne», der nach seiner Ueberzeugung und auf seine Weise sein
Leben an die nationale Sache gesetzt, aber weil er nicht auf der breit getrete¬
nen Straße der schreienden Opposition anzog, schnöden Undank geerntet hat.

Doch es ist Zeit, daß ich mich wieder nach der Chaussee umsehe, die mich
durch den ganzen Osten der Provinz von Süd nach Nord führte. Mag ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/182>, abgerufen am 15.05.2024.