Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Jugend auf erstrebt, nicht allein zum Gebrauche bei den gerichtlichen Verhand¬
lungen, sondern auch zur Zierde und Ehre des Alters, damit, wenn einmal die
Kräfte mich zu verlassen anfange", mein Haus der Vereinsamung entrissen
werde/' Wie sehr mau aber aus dieser Beschäftigung Hoffnungen auf ein
weiteres Vorrücken in der Staatscarriere zu schöpfen pflegte, beweist die von
Valerius MaMus über C. Figutus erzählte Anekdote. AIs dieser bei seiner
Bewerbung um das Konsulat den Repuls erhallen hatte, und am Tage nach
den Wahlcvmitien wieder Viele gekommen waren, um sich bei ihm Rath zu
holen, hieß er sie Alle fortgehen, indem er ihnen ärgerlich nachrief: "Zu con-
sultiren versteht ihr Alle, aber nicht, einen Consul zu machen!" Meistens ge>
Schah, wie zugleich aus dieser Stelle erhellt, das Bescheidertheilen im Hause.
Daher hofft auch Cicero für seine alten Tage auf zahlreichen Besuch und sagt
vom berühmten Juristen Mucius Scävola: "Ohne Zweifel ist das Haus des
Rechtsgelehrten das Orakel der ganze" Stadt. Zum Beweise dient hier unseres
Mucius Thür und Vorhof, wo man ungeachtet seines kränklichen Alters und
seiner schwächlichen Gesundheit Tag für Tag eine große Menge von Bürgern
und oft die vornehmsten und geachtetsten Männer versammelt sieht." Dem
Lcipio Nasica wurde vom Staate ein Haus auf der heiligen Straße, dem
Forum zunächst, angewiesen, damit er leichter consultirt werden könne. Die
Besucher erschienen schon am frühesten Morgen und bei der allgemeinen
Sitte des Frühaufstehens lange vor Aufgang der Sonne. Darum sagt
Cicero von Servius Sulpicius in der Rede für Murena, er wache in
der Nacht und lasse sich vom ersten Hahnschrei wecken, um seinen Clienten
Antworten zu ertheilen, und bei Horaz heißt es: "Den Landmann lobt
der Kenner des Rechts und der Gesetze, wenn beim Krähen des Hahns
der Besucher an die Thüre pocht." Man befragte aber diese Vertrauens¬
männer in der alten patriarchalischen Zeit über gar Manches, was nicht
in die Rechtsverhältnisse einschlug. "Ich erinnere mich," schreibt Cicero im
Redner, "den Marius Manilius quer über das Forum spazieren gesehen zu
haben, und wenn Jemand dies that, so war es el" Zeichen, daß er allen
Mitbürgern seine" guten Rath mittheilen wollte. Wenn sie nun in jener alte"
Zeit so umherwandelten oder zu Hause auf ihren Sesseln saßen, so ging mau
zu ihnen, um nicht blos von Rechtssachen, sondern auch von der Verheirachung
einer Tochter, von dem Ankauf eines Grundstücks, von Geschäften des Acker¬
baues, kurz, von allen Pflichten und Arbeiten ihnen Bericht abzustatten."

Die Rechtsgutachten dieser Juristen wurde" ebensowohl von den Parteien als
von de" Richter" als Autoritäten angeführt, halten aber für letztere vor dem Kaiser
Augustus keine bindende Kraft. Waren die Gutachten verschieden, so fanden
wohl auch zwischen den gegenwärtigen Consulente" Discussionen vor dem Richter
statt. Außer dem mündlichen Rath, den sie ertheilten, erstreckte sich aber ihre


Jugend auf erstrebt, nicht allein zum Gebrauche bei den gerichtlichen Verhand¬
lungen, sondern auch zur Zierde und Ehre des Alters, damit, wenn einmal die
Kräfte mich zu verlassen anfange», mein Haus der Vereinsamung entrissen
werde/' Wie sehr mau aber aus dieser Beschäftigung Hoffnungen auf ein
weiteres Vorrücken in der Staatscarriere zu schöpfen pflegte, beweist die von
Valerius MaMus über C. Figutus erzählte Anekdote. AIs dieser bei seiner
Bewerbung um das Konsulat den Repuls erhallen hatte, und am Tage nach
den Wahlcvmitien wieder Viele gekommen waren, um sich bei ihm Rath zu
holen, hieß er sie Alle fortgehen, indem er ihnen ärgerlich nachrief: „Zu con-
sultiren versteht ihr Alle, aber nicht, einen Consul zu machen!" Meistens ge>
Schah, wie zugleich aus dieser Stelle erhellt, das Bescheidertheilen im Hause.
Daher hofft auch Cicero für seine alten Tage auf zahlreichen Besuch und sagt
vom berühmten Juristen Mucius Scävola: „Ohne Zweifel ist das Haus des
Rechtsgelehrten das Orakel der ganze» Stadt. Zum Beweise dient hier unseres
Mucius Thür und Vorhof, wo man ungeachtet seines kränklichen Alters und
seiner schwächlichen Gesundheit Tag für Tag eine große Menge von Bürgern
und oft die vornehmsten und geachtetsten Männer versammelt sieht." Dem
Lcipio Nasica wurde vom Staate ein Haus auf der heiligen Straße, dem
Forum zunächst, angewiesen, damit er leichter consultirt werden könne. Die
Besucher erschienen schon am frühesten Morgen und bei der allgemeinen
Sitte des Frühaufstehens lange vor Aufgang der Sonne. Darum sagt
Cicero von Servius Sulpicius in der Rede für Murena, er wache in
der Nacht und lasse sich vom ersten Hahnschrei wecken, um seinen Clienten
Antworten zu ertheilen, und bei Horaz heißt es: „Den Landmann lobt
der Kenner des Rechts und der Gesetze, wenn beim Krähen des Hahns
der Besucher an die Thüre pocht." Man befragte aber diese Vertrauens¬
männer in der alten patriarchalischen Zeit über gar Manches, was nicht
in die Rechtsverhältnisse einschlug. „Ich erinnere mich," schreibt Cicero im
Redner, „den Marius Manilius quer über das Forum spazieren gesehen zu
haben, und wenn Jemand dies that, so war es el» Zeichen, daß er allen
Mitbürgern seine» guten Rath mittheilen wollte. Wenn sie nun in jener alte»
Zeit so umherwandelten oder zu Hause auf ihren Sesseln saßen, so ging mau
zu ihnen, um nicht blos von Rechtssachen, sondern auch von der Verheirachung
einer Tochter, von dem Ankauf eines Grundstücks, von Geschäften des Acker¬
baues, kurz, von allen Pflichten und Arbeiten ihnen Bericht abzustatten."

Die Rechtsgutachten dieser Juristen wurde» ebensowohl von den Parteien als
von de» Richter» als Autoritäten angeführt, halten aber für letztere vor dem Kaiser
Augustus keine bindende Kraft. Waren die Gutachten verschieden, so fanden
wohl auch zwischen den gegenwärtigen Consulente» Discussionen vor dem Richter
statt. Außer dem mündlichen Rath, den sie ertheilten, erstreckte sich aber ihre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187524"/>
          <p xml:id="ID_69" prev="#ID_68"> Jugend auf erstrebt, nicht allein zum Gebrauche bei den gerichtlichen Verhand¬<lb/>
lungen, sondern auch zur Zierde und Ehre des Alters, damit, wenn einmal die<lb/>
Kräfte mich zu verlassen anfange», mein Haus der Vereinsamung entrissen<lb/>
werde/'  Wie sehr mau aber aus dieser Beschäftigung Hoffnungen auf ein<lb/>
weiteres Vorrücken in der Staatscarriere zu schöpfen pflegte, beweist die von<lb/>
Valerius MaMus über C. Figutus erzählte Anekdote.  AIs dieser bei seiner<lb/>
Bewerbung um das Konsulat den Repuls erhallen hatte, und am Tage nach<lb/>
den Wahlcvmitien wieder Viele gekommen waren, um sich bei ihm Rath zu<lb/>
holen, hieß er sie Alle fortgehen, indem er ihnen ärgerlich nachrief: &#x201E;Zu con-<lb/>
sultiren versteht ihr Alle, aber nicht, einen Consul zu machen!"  Meistens ge&gt;<lb/>
Schah, wie zugleich aus dieser Stelle erhellt, das Bescheidertheilen im Hause.<lb/>
Daher hofft auch Cicero für seine alten Tage auf zahlreichen Besuch und sagt<lb/>
vom berühmten Juristen Mucius Scävola: &#x201E;Ohne Zweifel ist das Haus des<lb/>
Rechtsgelehrten das Orakel der ganze» Stadt. Zum Beweise dient hier unseres<lb/>
Mucius Thür und Vorhof, wo man ungeachtet seines kränklichen Alters und<lb/>
seiner schwächlichen Gesundheit Tag für Tag eine große Menge von Bürgern<lb/>
und oft die vornehmsten und geachtetsten Männer versammelt sieht." Dem<lb/>
Lcipio Nasica wurde vom Staate ein Haus auf der heiligen Straße, dem<lb/>
Forum zunächst, angewiesen, damit er leichter consultirt werden könne. Die<lb/>
Besucher erschienen schon am frühesten Morgen und bei  der allgemeinen<lb/>
Sitte des Frühaufstehens lange vor Aufgang  der Sonne.  Darum sagt<lb/>
Cicero von Servius Sulpicius in der Rede für Murena, er wache in<lb/>
der Nacht und lasse sich vom ersten Hahnschrei wecken, um seinen Clienten<lb/>
Antworten zu ertheilen, und bei Horaz heißt es:  &#x201E;Den Landmann lobt<lb/>
der Kenner des Rechts und der Gesetze, wenn beim Krähen des Hahns<lb/>
der Besucher an die Thüre pocht."  Man befragte aber diese Vertrauens¬<lb/>
männer in der alten patriarchalischen Zeit über gar Manches, was nicht<lb/>
in die Rechtsverhältnisse einschlug.  &#x201E;Ich erinnere mich," schreibt Cicero im<lb/>
Redner, &#x201E;den Marius Manilius quer über das Forum spazieren gesehen zu<lb/>
haben, und wenn Jemand dies that, so war es el» Zeichen, daß er allen<lb/>
Mitbürgern seine» guten Rath mittheilen wollte.  Wenn sie nun in jener alte»<lb/>
Zeit so umherwandelten oder zu Hause auf ihren Sesseln saßen, so ging mau<lb/>
zu ihnen, um nicht blos von Rechtssachen, sondern auch von der Verheirachung<lb/>
einer Tochter, von dem Ankauf eines Grundstücks, von Geschäften des Acker¬<lb/>
baues, kurz, von allen Pflichten und Arbeiten ihnen Bericht abzustatten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_70" next="#ID_71"> Die Rechtsgutachten dieser Juristen wurde» ebensowohl von den Parteien als<lb/>
von de» Richter» als Autoritäten angeführt, halten aber für letztere vor dem Kaiser<lb/>
Augustus keine bindende Kraft. Waren die Gutachten verschieden, so fanden<lb/>
wohl auch zwischen den gegenwärtigen Consulente» Discussionen vor dem Richter<lb/>
statt.  Außer dem mündlichen Rath, den sie ertheilten, erstreckte sich aber ihre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0030] Jugend auf erstrebt, nicht allein zum Gebrauche bei den gerichtlichen Verhand¬ lungen, sondern auch zur Zierde und Ehre des Alters, damit, wenn einmal die Kräfte mich zu verlassen anfange», mein Haus der Vereinsamung entrissen werde/' Wie sehr mau aber aus dieser Beschäftigung Hoffnungen auf ein weiteres Vorrücken in der Staatscarriere zu schöpfen pflegte, beweist die von Valerius MaMus über C. Figutus erzählte Anekdote. AIs dieser bei seiner Bewerbung um das Konsulat den Repuls erhallen hatte, und am Tage nach den Wahlcvmitien wieder Viele gekommen waren, um sich bei ihm Rath zu holen, hieß er sie Alle fortgehen, indem er ihnen ärgerlich nachrief: „Zu con- sultiren versteht ihr Alle, aber nicht, einen Consul zu machen!" Meistens ge> Schah, wie zugleich aus dieser Stelle erhellt, das Bescheidertheilen im Hause. Daher hofft auch Cicero für seine alten Tage auf zahlreichen Besuch und sagt vom berühmten Juristen Mucius Scävola: „Ohne Zweifel ist das Haus des Rechtsgelehrten das Orakel der ganze» Stadt. Zum Beweise dient hier unseres Mucius Thür und Vorhof, wo man ungeachtet seines kränklichen Alters und seiner schwächlichen Gesundheit Tag für Tag eine große Menge von Bürgern und oft die vornehmsten und geachtetsten Männer versammelt sieht." Dem Lcipio Nasica wurde vom Staate ein Haus auf der heiligen Straße, dem Forum zunächst, angewiesen, damit er leichter consultirt werden könne. Die Besucher erschienen schon am frühesten Morgen und bei der allgemeinen Sitte des Frühaufstehens lange vor Aufgang der Sonne. Darum sagt Cicero von Servius Sulpicius in der Rede für Murena, er wache in der Nacht und lasse sich vom ersten Hahnschrei wecken, um seinen Clienten Antworten zu ertheilen, und bei Horaz heißt es: „Den Landmann lobt der Kenner des Rechts und der Gesetze, wenn beim Krähen des Hahns der Besucher an die Thüre pocht." Man befragte aber diese Vertrauens¬ männer in der alten patriarchalischen Zeit über gar Manches, was nicht in die Rechtsverhältnisse einschlug. „Ich erinnere mich," schreibt Cicero im Redner, „den Marius Manilius quer über das Forum spazieren gesehen zu haben, und wenn Jemand dies that, so war es el» Zeichen, daß er allen Mitbürgern seine» guten Rath mittheilen wollte. Wenn sie nun in jener alte» Zeit so umherwandelten oder zu Hause auf ihren Sesseln saßen, so ging mau zu ihnen, um nicht blos von Rechtssachen, sondern auch von der Verheirachung einer Tochter, von dem Ankauf eines Grundstücks, von Geschäften des Acker¬ baues, kurz, von allen Pflichten und Arbeiten ihnen Bericht abzustatten." Die Rechtsgutachten dieser Juristen wurde» ebensowohl von den Parteien als von de» Richter» als Autoritäten angeführt, halten aber für letztere vor dem Kaiser Augustus keine bindende Kraft. Waren die Gutachten verschieden, so fanden wohl auch zwischen den gegenwärtigen Consulente» Discussionen vor dem Richter statt. Außer dem mündlichen Rath, den sie ertheilten, erstreckte sich aber ihre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/30
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/30>, abgerufen am 28.04.2024.