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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Thätigkeit auch auf das schriftliche Abfassen von Rechtsurkunden, Testamenten.
Verträgen, Klagen und Cautionsformeln zur Sicherung der Parteien vor Scha¬
den. So spricht Cicero zu Mucius Scävola: "Wenn kein Testament rechts-
giltig sein soll, was Du nicht abgefaßt hast, fo werden alle Bürger mit ihren
Tafeln zu Dir komme", und Aller Testamente wirst Du allein abfassen müssen;"
und noch Nero drohte alle Rechtsgelehrten zu strafen, welche Testamente für
seine Freigelassenen aufsetzen oder dictiren würden, die seiner in ihrem letzten
Willen uneingedenk und also undankbar sein wollten. Die Erwerbung der nöthi¬
gen Geschästskenntnisfe schildert Cicero als leicht. "Es liegt ja Alles in dieser Wissen-
schaft klar vor Augen," sagt er, "und beruht auf dem täglichen Umgange und
dem Zusammenleben der Menschen und der gerichtlichen Erfahrung; es bedarf dazu
nicht weitläufiger Studien und bändercicher Werke. Einmal nämlich ist derselbe
Gegenstand von Mehrer behandelt worden und dann mit Veränderung weniger
Worte auch von denselben Schriftstellern öfter wiederholt. Hierzu kommt noch,
um die Auffassung und Erlernung des bürgerlichen Rechts zu erleichtern (obwohl
Viele gar nicht daran glauben wollen) eine außerordentliche Anmuth und Er-
götzlichkeit dieses Studiums." Wenn freilich derselbe Autor an einem andern
Orte meint, er wolle in drei Tagen ein guter Jurist werden, so ist daS nicbt
im Ernste gemeint und nur gesagt, weil es sich dort darum handelte, den
Werth des praktischen Staatsmannes der bloßen juristischen Gelehrsamkeit
gegenüber in helleres Licht zu setzen.

Die jungen Leute, welche sich der Jurisprudenz befleißigten, begaben sich
nach Anlegung der männlichen Toga zu einem berühmten Rechtsgelehrten
als "Zuhörer" oder "Schüler", besuchten mit demselben die Volksversamm¬
lungen, hörten die gerichtlichen Reden an, waren beim Ertheiler der Gut¬
achten zugegen und ließen sich gelegentlich über die Abfassung der Formu¬
lare belehren. Cicero erzählt von sich selbst, daß er von seinem Vater dem
Augur Mucius Scävola zugeführt, worden sei, um diesem Greise, so lange
es der Anstand erlaubte, nie von der Seite zu weichen, und daß er nach
dessen Tode bei einem Verwandten des Verstorbenen, dein gleichnamigen Ober-
Priester, in die Lehre getreten sei. Seinen jungen Freund Trcbatius, der
sich zum Juristen ausgebildet hatte und dann Julius Cäsar nach Gallien und
Britannien begleitete, tractirt er in seinen Briefen mit allerhand witzigen Aus¬
fällen als Jünger der Jurisprudenz, z. B. er, der Andern Kaution vorschreibe,
solle sich selbst vor den britannischen Streitwagen hüten; oder, es stehe fest,
daß Trebatius in Samarobriva (Amiens) der gescheidteste Jurist sei u. s. f. Man
muß überhaupt zugeben, daß die Rechtsgelehrsamkeit weniger galt, wenn nicht
die Beredsamkeit hinzukam, die zum Sachwaltergeschäst befähigte, welches die
vornehme Jugend vorzüglich wählte, um sich auszuzeichnen und Gunst bei der
Menge zu gewinnen. "Wer hat je daran gezweifelt," schreibt Cicero im "Redner",


Thätigkeit auch auf das schriftliche Abfassen von Rechtsurkunden, Testamenten.
Verträgen, Klagen und Cautionsformeln zur Sicherung der Parteien vor Scha¬
den. So spricht Cicero zu Mucius Scävola: „Wenn kein Testament rechts-
giltig sein soll, was Du nicht abgefaßt hast, fo werden alle Bürger mit ihren
Tafeln zu Dir komme», und Aller Testamente wirst Du allein abfassen müssen;"
und noch Nero drohte alle Rechtsgelehrten zu strafen, welche Testamente für
seine Freigelassenen aufsetzen oder dictiren würden, die seiner in ihrem letzten
Willen uneingedenk und also undankbar sein wollten. Die Erwerbung der nöthi¬
gen Geschästskenntnisfe schildert Cicero als leicht. „Es liegt ja Alles in dieser Wissen-
schaft klar vor Augen," sagt er, „und beruht auf dem täglichen Umgange und
dem Zusammenleben der Menschen und der gerichtlichen Erfahrung; es bedarf dazu
nicht weitläufiger Studien und bändercicher Werke. Einmal nämlich ist derselbe
Gegenstand von Mehrer behandelt worden und dann mit Veränderung weniger
Worte auch von denselben Schriftstellern öfter wiederholt. Hierzu kommt noch,
um die Auffassung und Erlernung des bürgerlichen Rechts zu erleichtern (obwohl
Viele gar nicht daran glauben wollen) eine außerordentliche Anmuth und Er-
götzlichkeit dieses Studiums." Wenn freilich derselbe Autor an einem andern
Orte meint, er wolle in drei Tagen ein guter Jurist werden, so ist daS nicbt
im Ernste gemeint und nur gesagt, weil es sich dort darum handelte, den
Werth des praktischen Staatsmannes der bloßen juristischen Gelehrsamkeit
gegenüber in helleres Licht zu setzen.

Die jungen Leute, welche sich der Jurisprudenz befleißigten, begaben sich
nach Anlegung der männlichen Toga zu einem berühmten Rechtsgelehrten
als „Zuhörer" oder „Schüler", besuchten mit demselben die Volksversamm¬
lungen, hörten die gerichtlichen Reden an, waren beim Ertheiler der Gut¬
achten zugegen und ließen sich gelegentlich über die Abfassung der Formu¬
lare belehren. Cicero erzählt von sich selbst, daß er von seinem Vater dem
Augur Mucius Scävola zugeführt, worden sei, um diesem Greise, so lange
es der Anstand erlaubte, nie von der Seite zu weichen, und daß er nach
dessen Tode bei einem Verwandten des Verstorbenen, dein gleichnamigen Ober-
Priester, in die Lehre getreten sei. Seinen jungen Freund Trcbatius, der
sich zum Juristen ausgebildet hatte und dann Julius Cäsar nach Gallien und
Britannien begleitete, tractirt er in seinen Briefen mit allerhand witzigen Aus¬
fällen als Jünger der Jurisprudenz, z. B. er, der Andern Kaution vorschreibe,
solle sich selbst vor den britannischen Streitwagen hüten; oder, es stehe fest,
daß Trebatius in Samarobriva (Amiens) der gescheidteste Jurist sei u. s. f. Man
muß überhaupt zugeben, daß die Rechtsgelehrsamkeit weniger galt, wenn nicht
die Beredsamkeit hinzukam, die zum Sachwaltergeschäst befähigte, welches die
vornehme Jugend vorzüglich wählte, um sich auszuzeichnen und Gunst bei der
Menge zu gewinnen. „Wer hat je daran gezweifelt," schreibt Cicero im „Redner",


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[0031] Thätigkeit auch auf das schriftliche Abfassen von Rechtsurkunden, Testamenten. Verträgen, Klagen und Cautionsformeln zur Sicherung der Parteien vor Scha¬ den. So spricht Cicero zu Mucius Scävola: „Wenn kein Testament rechts- giltig sein soll, was Du nicht abgefaßt hast, fo werden alle Bürger mit ihren Tafeln zu Dir komme», und Aller Testamente wirst Du allein abfassen müssen;" und noch Nero drohte alle Rechtsgelehrten zu strafen, welche Testamente für seine Freigelassenen aufsetzen oder dictiren würden, die seiner in ihrem letzten Willen uneingedenk und also undankbar sein wollten. Die Erwerbung der nöthi¬ gen Geschästskenntnisfe schildert Cicero als leicht. „Es liegt ja Alles in dieser Wissen- schaft klar vor Augen," sagt er, „und beruht auf dem täglichen Umgange und dem Zusammenleben der Menschen und der gerichtlichen Erfahrung; es bedarf dazu nicht weitläufiger Studien und bändercicher Werke. Einmal nämlich ist derselbe Gegenstand von Mehrer behandelt worden und dann mit Veränderung weniger Worte auch von denselben Schriftstellern öfter wiederholt. Hierzu kommt noch, um die Auffassung und Erlernung des bürgerlichen Rechts zu erleichtern (obwohl Viele gar nicht daran glauben wollen) eine außerordentliche Anmuth und Er- götzlichkeit dieses Studiums." Wenn freilich derselbe Autor an einem andern Orte meint, er wolle in drei Tagen ein guter Jurist werden, so ist daS nicbt im Ernste gemeint und nur gesagt, weil es sich dort darum handelte, den Werth des praktischen Staatsmannes der bloßen juristischen Gelehrsamkeit gegenüber in helleres Licht zu setzen. Die jungen Leute, welche sich der Jurisprudenz befleißigten, begaben sich nach Anlegung der männlichen Toga zu einem berühmten Rechtsgelehrten als „Zuhörer" oder „Schüler", besuchten mit demselben die Volksversamm¬ lungen, hörten die gerichtlichen Reden an, waren beim Ertheiler der Gut¬ achten zugegen und ließen sich gelegentlich über die Abfassung der Formu¬ lare belehren. Cicero erzählt von sich selbst, daß er von seinem Vater dem Augur Mucius Scävola zugeführt, worden sei, um diesem Greise, so lange es der Anstand erlaubte, nie von der Seite zu weichen, und daß er nach dessen Tode bei einem Verwandten des Verstorbenen, dein gleichnamigen Ober- Priester, in die Lehre getreten sei. Seinen jungen Freund Trcbatius, der sich zum Juristen ausgebildet hatte und dann Julius Cäsar nach Gallien und Britannien begleitete, tractirt er in seinen Briefen mit allerhand witzigen Aus¬ fällen als Jünger der Jurisprudenz, z. B. er, der Andern Kaution vorschreibe, solle sich selbst vor den britannischen Streitwagen hüten; oder, es stehe fest, daß Trebatius in Samarobriva (Amiens) der gescheidteste Jurist sei u. s. f. Man muß überhaupt zugeben, daß die Rechtsgelehrsamkeit weniger galt, wenn nicht die Beredsamkeit hinzukam, die zum Sachwaltergeschäst befähigte, welches die vornehme Jugend vorzüglich wählte, um sich auszuzeichnen und Gunst bei der Menge zu gewinnen. „Wer hat je daran gezweifelt," schreibt Cicero im „Redner",

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/31>, abgerufen am 29.04.2024.