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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Vogelheerde auf den Thron berufen worden sei, hat nicht mehr Glaubwürdig"
keit, als die gleichfalls im Miitelalter in Cours gesetzte Erzählung, er habe sein
Herzogthum Sachsen dem Papst geschenkt. Merkwürdig entstellt ist auch die
Geschichte Heinrichs des Vierten; doch ist es nicht die Sage, welche die
Schuld trägt, sondern die Parteileidenschaft hat hier die Geschichte vielfach ge¬
trübt. Selbst die Besseren der Chronisten jener Zeit haben sich von einer
Animosität gegen den gefurchteren Feind der Kirche nicht insoweit frei zu er¬
halten gewußt, um nicht die zahlreichen Scandalgeschichten über denselben, welche
der geschäftige Parteihaß bis zu ihnen trug, gläubig aufzunehmen, der Ge¬
schichtsschreiber unserer Tage wird ihnen allen nur in sehr beschränktem Maße
Glauben schenken.

Dagegen fand die Säge wieder die reichlichste Nahrung in den Kreuzzügen.
Wir haben es hier nicht mit den zahlreichen Fabeln zu thun, in welchen
die erregte Phantasie der Pilger und Kreuzfahrer die Wunder des Morgenlandes
ihren Landsleuten darstellte, aber auch der wirkliche Verlauf der Thatsachen,
namentlich in Betreff des ersten Kreuzzuges war schon ein Jahrhundert später
wesentlich sagenhaft umgewandelt worden. Der das große Unternehmen in
Scene gesetzt hatte, war Papst Urban der Zweite, welcher von seinem mäch¬
tigen Gegner Kaiser Heinrich schwer bedroht, eine wirklich geniale Diversion
machte, indem er, die geistige Strömung seiner Zeit richtig erfassend, sich an
die Spitze jener europäischen Bewegung stellte und sich an den Hundert¬
tausenden, welche sich um das Banner des Kreuzes schaarten, ebenso viel er¬
gebene Anhänger schuf, deren er sich auch wider seinen Gegner ganz geschickt zu
bedienen wußte. An seine Stelle nun schob man später den Eremiten Peter
von Amiens und ließ ihn durch allerlei Wunder und Visionen das Werk voll¬
führen; ebenso entzog man das Hauptverdienst an der Leitung der kriegerischen
Operationen dem schlauen und kühnen Normannenfürsten Boömund, um allen
Ruhm dem frommen Gottfried von Bouillon zuzuwenden. Und in dieser ent¬
stellten Form ist dann die Geschichte des ersten Kreuzzuges immer weiter über¬
liefert worden, so hat sie Tasso zu seinem unsterblichen Epos begeistert und
erst in neuester Zeit hat Sybel auf eine strenge Kritik der Quellen gestützt
die eigentlichen Hauptacteure wieder hervorzuziehen und ihnen die gebührende
Stelle anzuweisen vermocht.

Von jenen an die Kreuzzüge anschließenden Sagen mögen nur einige wenige
hier Erwähnung finden. Als im zwölften Jahrhundert ein innerasiatischer
Stamm, bei welchem christliche Missionäre in einem gewissen Ansehen standen,
die Türken bedrängte, verbreitete sich im Abendlande die Sage, fern im Osten
bestehe ein mächtiges christliches Reich unter dem Priester Johannes, in welchem
die Einen den Evangelisten Johannes, den Jünger, der nach des Heilands^
Worte nie sterben sollte, andere den Nachkommen eines der heiligen drei Könige


Vogelheerde auf den Thron berufen worden sei, hat nicht mehr Glaubwürdig«
keit, als die gleichfalls im Miitelalter in Cours gesetzte Erzählung, er habe sein
Herzogthum Sachsen dem Papst geschenkt. Merkwürdig entstellt ist auch die
Geschichte Heinrichs des Vierten; doch ist es nicht die Sage, welche die
Schuld trägt, sondern die Parteileidenschaft hat hier die Geschichte vielfach ge¬
trübt. Selbst die Besseren der Chronisten jener Zeit haben sich von einer
Animosität gegen den gefurchteren Feind der Kirche nicht insoweit frei zu er¬
halten gewußt, um nicht die zahlreichen Scandalgeschichten über denselben, welche
der geschäftige Parteihaß bis zu ihnen trug, gläubig aufzunehmen, der Ge¬
schichtsschreiber unserer Tage wird ihnen allen nur in sehr beschränktem Maße
Glauben schenken.

Dagegen fand die Säge wieder die reichlichste Nahrung in den Kreuzzügen.
Wir haben es hier nicht mit den zahlreichen Fabeln zu thun, in welchen
die erregte Phantasie der Pilger und Kreuzfahrer die Wunder des Morgenlandes
ihren Landsleuten darstellte, aber auch der wirkliche Verlauf der Thatsachen,
namentlich in Betreff des ersten Kreuzzuges war schon ein Jahrhundert später
wesentlich sagenhaft umgewandelt worden. Der das große Unternehmen in
Scene gesetzt hatte, war Papst Urban der Zweite, welcher von seinem mäch¬
tigen Gegner Kaiser Heinrich schwer bedroht, eine wirklich geniale Diversion
machte, indem er, die geistige Strömung seiner Zeit richtig erfassend, sich an
die Spitze jener europäischen Bewegung stellte und sich an den Hundert¬
tausenden, welche sich um das Banner des Kreuzes schaarten, ebenso viel er¬
gebene Anhänger schuf, deren er sich auch wider seinen Gegner ganz geschickt zu
bedienen wußte. An seine Stelle nun schob man später den Eremiten Peter
von Amiens und ließ ihn durch allerlei Wunder und Visionen das Werk voll¬
führen; ebenso entzog man das Hauptverdienst an der Leitung der kriegerischen
Operationen dem schlauen und kühnen Normannenfürsten Boömund, um allen
Ruhm dem frommen Gottfried von Bouillon zuzuwenden. Und in dieser ent¬
stellten Form ist dann die Geschichte des ersten Kreuzzuges immer weiter über¬
liefert worden, so hat sie Tasso zu seinem unsterblichen Epos begeistert und
erst in neuester Zeit hat Sybel auf eine strenge Kritik der Quellen gestützt
die eigentlichen Hauptacteure wieder hervorzuziehen und ihnen die gebührende
Stelle anzuweisen vermocht.

Von jenen an die Kreuzzüge anschließenden Sagen mögen nur einige wenige
hier Erwähnung finden. Als im zwölften Jahrhundert ein innerasiatischer
Stamm, bei welchem christliche Missionäre in einem gewissen Ansehen standen,
die Türken bedrängte, verbreitete sich im Abendlande die Sage, fern im Osten
bestehe ein mächtiges christliches Reich unter dem Priester Johannes, in welchem
die Einen den Evangelisten Johannes, den Jünger, der nach des Heilands^
Worte nie sterben sollte, andere den Nachkommen eines der heiligen drei Könige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/10>, abgerufen am 17.06.2024.