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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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fand man zur Erklärung des Rades im mainzer Wappen die Erzählung von
dem Wagnerssohn Willigis und machte den großen Papst Gregor den Sieben¬
ten zum Sohne eines Zimmermanns.

Aus dem fünfzehnten Jahrhundert soll nur einer Geschichte gedacht werden,
welche bis in die neueste Zeit unzählige Mal wiederholt worden ist. daß näm¬
lich die Mark Brandenburg durch ein Pfandgeschäft in den Besitz der Hohen-
zollern gekommen. Dank Riedels gründlichen Forschungen wissen wir jetzt, daß
die Sache sich doch etwas anders verhalten. Als König Sigismund zu Kose-
mitz dem Burggrafen Friedrich von Nürnberg die Mark übergab, bekannte er
allerdings demselben 400,000 Goldgulden schuldig zu sein, doch hatte er diese
Summe nie von jenem erhalten, seine Absicht war nur zu verhindern, daß nicht
z. B. im Falle seines schnellen Todes ein Nachfolger dem Burggrafen sein neues
Land, dessen Besitzergreifung weder ohne Mühe noch ohne Geldopfer möglich war,
ohne weiteres wieder abnähme. Ohne eine solche oder ähnliche Garantie -hätte
bei dem damaligen verwahrlosten Zustand der Mark sich kaum ein Verweser
derselben finden lassen, wenigstens keiner, der die Einführung geordneter Zu¬
stände sich wirklich Ernst hätte sein lassen.

Auch das Reformationszeitalter entbehrt nicht der Mythen, und aus Lu¬
thers Leben selbst heben wir, indem wir die zahlreichen, nie recht geglaubten
Erfindungen des Hasses und der Verläumdung mit Stillschweigen übergehen,
zwei Anekdoten heraus. Welcher Besucher der Wartburg hat nicht den immer
wieder aufgefrischten Fleck gesehen, der einst entstanden, als Luther das Tinten¬
faß nach dem Teufel warf, und wer erinnert sich nicht wenigstens aus den so
viel verbreiteten Kupferstichen zu Luthers Leben der Scene, wo ein Blitzstrahl
an Luthers Seite seinen Freund Alcxius todt niederstreckte? Die Geschichte von
der Vision ist durch nichts verbürgt, und die letztere reducirt sich darauf, daß
der plötzliche Tod eines Freundes, der jedoch weder Alexius hieß noch vom
Blitze erschlagen wurde, einen nachhaltigen und tiefen Eindruck auf Luther ge¬
macht hat.

In der neueren Zeit haben weniger die Sagen, obwohl solche zu allen
Zeiten sich bilden, der historischen Kritik zu thun gemacht, als die Neigung der
Chronisten und namentlich der Memoirenschreiber, die Situationen epigramma¬
tisch oder wenigstens pikant zuzuspitzen, eine Kunst, in der bekanntlich die Fran¬
zosen excelliren. Wie oft sind da nicht Ursachen und Wirkungen auf eine wohl
frappante, aber keineswegs wahrheitsgetreue Art nebeneinandergestellt und wie
viele schöne Aussprüche erzählt worden, welche ganz wohl an der betreffenden
Stelle hätten gethan werden können, wenn nämlich wirklich ein ernster kritischer
Moment dem Menschen nur auch immer ein treffendes bon mot auf die Lip¬
pen legte.

Wer kennt nicht wenigstens aus dem hübschen scribeschen Lustspiele die


fand man zur Erklärung des Rades im mainzer Wappen die Erzählung von
dem Wagnerssohn Willigis und machte den großen Papst Gregor den Sieben¬
ten zum Sohne eines Zimmermanns.

Aus dem fünfzehnten Jahrhundert soll nur einer Geschichte gedacht werden,
welche bis in die neueste Zeit unzählige Mal wiederholt worden ist. daß näm¬
lich die Mark Brandenburg durch ein Pfandgeschäft in den Besitz der Hohen-
zollern gekommen. Dank Riedels gründlichen Forschungen wissen wir jetzt, daß
die Sache sich doch etwas anders verhalten. Als König Sigismund zu Kose-
mitz dem Burggrafen Friedrich von Nürnberg die Mark übergab, bekannte er
allerdings demselben 400,000 Goldgulden schuldig zu sein, doch hatte er diese
Summe nie von jenem erhalten, seine Absicht war nur zu verhindern, daß nicht
z. B. im Falle seines schnellen Todes ein Nachfolger dem Burggrafen sein neues
Land, dessen Besitzergreifung weder ohne Mühe noch ohne Geldopfer möglich war,
ohne weiteres wieder abnähme. Ohne eine solche oder ähnliche Garantie -hätte
bei dem damaligen verwahrlosten Zustand der Mark sich kaum ein Verweser
derselben finden lassen, wenigstens keiner, der die Einführung geordneter Zu¬
stände sich wirklich Ernst hätte sein lassen.

Auch das Reformationszeitalter entbehrt nicht der Mythen, und aus Lu¬
thers Leben selbst heben wir, indem wir die zahlreichen, nie recht geglaubten
Erfindungen des Hasses und der Verläumdung mit Stillschweigen übergehen,
zwei Anekdoten heraus. Welcher Besucher der Wartburg hat nicht den immer
wieder aufgefrischten Fleck gesehen, der einst entstanden, als Luther das Tinten¬
faß nach dem Teufel warf, und wer erinnert sich nicht wenigstens aus den so
viel verbreiteten Kupferstichen zu Luthers Leben der Scene, wo ein Blitzstrahl
an Luthers Seite seinen Freund Alcxius todt niederstreckte? Die Geschichte von
der Vision ist durch nichts verbürgt, und die letztere reducirt sich darauf, daß
der plötzliche Tod eines Freundes, der jedoch weder Alexius hieß noch vom
Blitze erschlagen wurde, einen nachhaltigen und tiefen Eindruck auf Luther ge¬
macht hat.

In der neueren Zeit haben weniger die Sagen, obwohl solche zu allen
Zeiten sich bilden, der historischen Kritik zu thun gemacht, als die Neigung der
Chronisten und namentlich der Memoirenschreiber, die Situationen epigramma¬
tisch oder wenigstens pikant zuzuspitzen, eine Kunst, in der bekanntlich die Fran¬
zosen excelliren. Wie oft sind da nicht Ursachen und Wirkungen auf eine wohl
frappante, aber keineswegs wahrheitsgetreue Art nebeneinandergestellt und wie
viele schöne Aussprüche erzählt worden, welche ganz wohl an der betreffenden
Stelle hätten gethan werden können, wenn nämlich wirklich ein ernster kritischer
Moment dem Menschen nur auch immer ein treffendes bon mot auf die Lip¬
pen legte.

Wer kennt nicht wenigstens aus dem hübschen scribeschen Lustspiele die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/13>, abgerufen am 17.06.2024.