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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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wunderbaren Wirkungen des Glases Wasser, welches die Herzogin Marlborough
aus das Kleid der Königin Anna vergoß? Ueber die Schicksale Europas, über
das Wohl und Wehe von Millionen, über den Ausgang eines langjährigen
blutigen Krieges sollte dasselbe entschieden haben, nicht blos nach der Darstellung
des französischen Lustspieldichters, sondern auch nach der mancher Historiker, z. B.
nach Voltaires, welche in solcher abgeschmackten Kleinigkeit einen Schlüssel für
den damaligen Umschwung in der englischen Politik suchen, statt in der großen
Thatsache des Todes Kaiser Josephs des Ersten, worauf England, um nicht
auf dem Haupte des letzten Habsburgers die Kronen von Deutschland und Spa>
rien vereinigt zu sehen, sich wieder mehr Frankreich näherte.

Auch die weltbekannte Geschichte vom El des Kolumbus existirte lange
schon vor der Entdeckung Amerikas, und die witzige Wendung Molieres, mit
welcher er seinem Publikum das Verbot des Tartüffe angezeigt haben soll: "Der
Herr Präsident will nicht, daß man ihn auf die Bühne bringe," kann vielleicht
in engerem Kreise gesprochen worden sein, aber vor dem Theaterpublikum be¬
stimmt nicht, so wenig wie Ludwig der Dreizehnte sein berühmtes Wort l'^tat,
e'est owl in einer Parlamentssitzung des Jahres 1666 gesprochen hat. Ebenso
wird der Ausruf des von der Inquisition zum Widerruf seiner Ansichten über
die Drehung der Erde gezwungenen Galilei: "e xur si muovs -- und sie be¬
wegt sich doch" mit gutem Grunde bezweifelt; nicht minder auch jene Abstim>
mung des Abb6 Sieyes bei der Verurteilung Ludwigs des Sechzehnten mit
den kurzen Worten la mort sans xlrrasg. Das stolze Wort des Führers der
alten Garde in der Schlacht bei Belle-Alliance: die Garde stirbt, doch sie er¬
giebt sich nicht, ist gleichfalls vor der Kritik zu Schanden geworden, wenigstens
ist es erwiesen, daß der General, dem jenes Wort zugeschrieben wird, Cam¬
bronne, die Gefangenschaft dem Tode vorgezogen und sich dem hannoverschen
General Halkett ergeben hat.

An die glorreiche Schlacht bei Fehrbellin knüpfen sich zwei von der Poesie
und Malerei verherrlichte Erzählungen, die allbekannte von dem Opfertode des
Stallmeister Froben, welcher gewahrte, wie das glänzend weiße Schlachtroß
des Kurfürsten das Ziel der feindlichen Kugeln wurde, diesen unter einem Vor-
wande zum Tausch der Pferde bewog und gleich darauf von einer Kugel getroffen
niederstürzte. Dann die Erzählung von der Absicht des großen Kurfürsten, einen seiner
Generale, den Prinzen von Homburg, wegen eigenmächtiger Handlungsweise
zum Tode verurtheilen zu lassen, beide merkwürdigerweise ganz besonders erst
durch die Memoiren Friedrichs des Großen in der Geschichte eingebürgert.
Beide sind nicht wahr, von Froben wissen wir nichts, als daß er in der Schlacht
und zwar in nächster Nähe seines Herrn den Tod gefunden und selbst die Er¬
klärung Rankes, er habe dem Kurfürsten insofern das Leben gerettet, als die
Kugel, welche ihn niederstreckte, wenn sie nicht dieses Hinderniß getroffen, den


wunderbaren Wirkungen des Glases Wasser, welches die Herzogin Marlborough
aus das Kleid der Königin Anna vergoß? Ueber die Schicksale Europas, über
das Wohl und Wehe von Millionen, über den Ausgang eines langjährigen
blutigen Krieges sollte dasselbe entschieden haben, nicht blos nach der Darstellung
des französischen Lustspieldichters, sondern auch nach der mancher Historiker, z. B.
nach Voltaires, welche in solcher abgeschmackten Kleinigkeit einen Schlüssel für
den damaligen Umschwung in der englischen Politik suchen, statt in der großen
Thatsache des Todes Kaiser Josephs des Ersten, worauf England, um nicht
auf dem Haupte des letzten Habsburgers die Kronen von Deutschland und Spa>
rien vereinigt zu sehen, sich wieder mehr Frankreich näherte.

Auch die weltbekannte Geschichte vom El des Kolumbus existirte lange
schon vor der Entdeckung Amerikas, und die witzige Wendung Molieres, mit
welcher er seinem Publikum das Verbot des Tartüffe angezeigt haben soll: „Der
Herr Präsident will nicht, daß man ihn auf die Bühne bringe," kann vielleicht
in engerem Kreise gesprochen worden sein, aber vor dem Theaterpublikum be¬
stimmt nicht, so wenig wie Ludwig der Dreizehnte sein berühmtes Wort l'^tat,
e'est owl in einer Parlamentssitzung des Jahres 1666 gesprochen hat. Ebenso
wird der Ausruf des von der Inquisition zum Widerruf seiner Ansichten über
die Drehung der Erde gezwungenen Galilei: „e xur si muovs — und sie be¬
wegt sich doch" mit gutem Grunde bezweifelt; nicht minder auch jene Abstim>
mung des Abb6 Sieyes bei der Verurteilung Ludwigs des Sechzehnten mit
den kurzen Worten la mort sans xlrrasg. Das stolze Wort des Führers der
alten Garde in der Schlacht bei Belle-Alliance: die Garde stirbt, doch sie er¬
giebt sich nicht, ist gleichfalls vor der Kritik zu Schanden geworden, wenigstens
ist es erwiesen, daß der General, dem jenes Wort zugeschrieben wird, Cam¬
bronne, die Gefangenschaft dem Tode vorgezogen und sich dem hannoverschen
General Halkett ergeben hat.

An die glorreiche Schlacht bei Fehrbellin knüpfen sich zwei von der Poesie
und Malerei verherrlichte Erzählungen, die allbekannte von dem Opfertode des
Stallmeister Froben, welcher gewahrte, wie das glänzend weiße Schlachtroß
des Kurfürsten das Ziel der feindlichen Kugeln wurde, diesen unter einem Vor-
wande zum Tausch der Pferde bewog und gleich darauf von einer Kugel getroffen
niederstürzte. Dann die Erzählung von der Absicht des großen Kurfürsten, einen seiner
Generale, den Prinzen von Homburg, wegen eigenmächtiger Handlungsweise
zum Tode verurtheilen zu lassen, beide merkwürdigerweise ganz besonders erst
durch die Memoiren Friedrichs des Großen in der Geschichte eingebürgert.
Beide sind nicht wahr, von Froben wissen wir nichts, als daß er in der Schlacht
und zwar in nächster Nähe seines Herrn den Tod gefunden und selbst die Er¬
klärung Rankes, er habe dem Kurfürsten insofern das Leben gerettet, als die
Kugel, welche ihn niederstreckte, wenn sie nicht dieses Hinderniß getroffen, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/14>, abgerufen am 17.06.2024.