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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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anderer Persönlichkeiten an ihn oder etwa gar ihre Versuche ihn zu unterhalten,
in das Leben der Natur zu versenken. Jedesmal kehrte er mit vollem Gewinn
für Leib und Seele von diesen einsamen Wegen zurück, die ihn oft auf mehre
Stunden seinem Arbeitszimmer oder auch seinem Garten entführten. Dann
mochte die nie fehlende Geselligkeit der Freunde und Angehörigen wieder an
ihn herantreten; wenn ihm nur solche Pansen gelassen waren, sich nach seiner
Art zu sammeln und zu erholen, fühlte er sich in ihr recht gründlich wohl.
Es begreift sich aber daraus, daß er an öffentlichen Orten das, was er be¬
dürfte, nicht finden konnte und sie daher vermied, aber auch, daß er ebenso,
wohl ausgedehntere Reisen in der ganzen letzten Hälfte seines Lebens scheute,
wie er sie sonst in der Zeit, die dem Aufenthalt in Erlangen vorhergingen,
also bis etwa in die Mitte der zwanziger Jahre, geliebt und freiwillig unternommen
hatte. Unsere neuste reiselustige Periode war ihm auch dadurch so fremdartig
und wenn man will durch die indirecte Anforderung sich ihrer Mode zu fügen
unbequem geworden. Körperlich wäre er ja im Vergleich mit unzähligen mo¬
dernen Vergnügungsreisenden noch vollständig dafür gerüstet gewesen, obwohl ihn
zuletzt und ursprünglich hauptsächlich körperliche Rücksichten oder die Einflüsse
seines leiblichen Befindens an die Scholle gefesselt hielten.

Die älteren Freunde des Dichters wußten sich noch wohl zu erinnern, wie
er einst sich mit Behagen in der Geselligkeit außerhalb des Hauses bewegt
hatte. Aber wie für seine Reiselust, trat auch dafür mit Erlangen ein Wende-
Punkt ein. Noch in den ersten Jahren des erlanger Lebens, das von 1826 bis
1841 dauerte, also seine sogenannte beste Zeit umfaßte, sah man ihn häufig
mit lieben College" und deren Familien an den damals so einfachen ländlichen
Vergnügungsorten der Umgegend. Später behielt er zwar noch immer seine
gleich anfangs gefaßte Liebe für die dortige Landschaft, aber er genoß ihre
Anmuth mehr und mehr auf einsamen Spaziergängen. Im Gegensatz zu vielen
fremd hingekommenen Gliedern der Universität war er sowohl der Stadt selbst
wie der Landschaft sehr zugethan. Die breiten, lustigen Straßen, die lichten,
freundlichen und meist geräumigen Häuser sagten ihm trotz ihrer Monotonie zu,
und im Hinblick auf das benachbarte Nürnberg und den Wirrwarr seiner archi-
tektonischen Romantik pflegte er sich oft glücklich zu preisen, daß er nicht in
solche Straßen und solche Häuser eingepfercht leben müsse. Die Landschaft bot
ohne irgend hervorragende Schönheit doch eine wahrhaft unerschöpfliche Fülle
und Mannigfaltigkeit von echten Spazierwegen für den einsamen und rüstigen
Fußgänger, der alle die kleinen Hindernisse gewöhnlicher geputzter oder aus
besonderen Intentionen zu Amüsement aufziehender Sonntagsfreunde der Natur
gar nicht zu beachten gewöhnt war. Hier in Erlangen baute er sich auch selbst
ein Haus. Er sollte es nicht lange besitzen, denn kaum war es vollständig
bewohnbar, so entführte ihn seine Berufung nach Berlin für immer, wie es


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anderer Persönlichkeiten an ihn oder etwa gar ihre Versuche ihn zu unterhalten,
in das Leben der Natur zu versenken. Jedesmal kehrte er mit vollem Gewinn
für Leib und Seele von diesen einsamen Wegen zurück, die ihn oft auf mehre
Stunden seinem Arbeitszimmer oder auch seinem Garten entführten. Dann
mochte die nie fehlende Geselligkeit der Freunde und Angehörigen wieder an
ihn herantreten; wenn ihm nur solche Pansen gelassen waren, sich nach seiner
Art zu sammeln und zu erholen, fühlte er sich in ihr recht gründlich wohl.
Es begreift sich aber daraus, daß er an öffentlichen Orten das, was er be¬
dürfte, nicht finden konnte und sie daher vermied, aber auch, daß er ebenso,
wohl ausgedehntere Reisen in der ganzen letzten Hälfte seines Lebens scheute,
wie er sie sonst in der Zeit, die dem Aufenthalt in Erlangen vorhergingen,
also bis etwa in die Mitte der zwanziger Jahre, geliebt und freiwillig unternommen
hatte. Unsere neuste reiselustige Periode war ihm auch dadurch so fremdartig
und wenn man will durch die indirecte Anforderung sich ihrer Mode zu fügen
unbequem geworden. Körperlich wäre er ja im Vergleich mit unzähligen mo¬
dernen Vergnügungsreisenden noch vollständig dafür gerüstet gewesen, obwohl ihn
zuletzt und ursprünglich hauptsächlich körperliche Rücksichten oder die Einflüsse
seines leiblichen Befindens an die Scholle gefesselt hielten.

Die älteren Freunde des Dichters wußten sich noch wohl zu erinnern, wie
er einst sich mit Behagen in der Geselligkeit außerhalb des Hauses bewegt
hatte. Aber wie für seine Reiselust, trat auch dafür mit Erlangen ein Wende-
Punkt ein. Noch in den ersten Jahren des erlanger Lebens, das von 1826 bis
1841 dauerte, also seine sogenannte beste Zeit umfaßte, sah man ihn häufig
mit lieben College» und deren Familien an den damals so einfachen ländlichen
Vergnügungsorten der Umgegend. Später behielt er zwar noch immer seine
gleich anfangs gefaßte Liebe für die dortige Landschaft, aber er genoß ihre
Anmuth mehr und mehr auf einsamen Spaziergängen. Im Gegensatz zu vielen
fremd hingekommenen Gliedern der Universität war er sowohl der Stadt selbst
wie der Landschaft sehr zugethan. Die breiten, lustigen Straßen, die lichten,
freundlichen und meist geräumigen Häuser sagten ihm trotz ihrer Monotonie zu,
und im Hinblick auf das benachbarte Nürnberg und den Wirrwarr seiner archi-
tektonischen Romantik pflegte er sich oft glücklich zu preisen, daß er nicht in
solche Straßen und solche Häuser eingepfercht leben müsse. Die Landschaft bot
ohne irgend hervorragende Schönheit doch eine wahrhaft unerschöpfliche Fülle
und Mannigfaltigkeit von echten Spazierwegen für den einsamen und rüstigen
Fußgänger, der alle die kleinen Hindernisse gewöhnlicher geputzter oder aus
besonderen Intentionen zu Amüsement aufziehender Sonntagsfreunde der Natur
gar nicht zu beachten gewöhnt war. Hier in Erlangen baute er sich auch selbst
ein Haus. Er sollte es nicht lange besitzen, denn kaum war es vollständig
bewohnbar, so entführte ihn seine Berufung nach Berlin für immer, wie es


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[0019] anderer Persönlichkeiten an ihn oder etwa gar ihre Versuche ihn zu unterhalten, in das Leben der Natur zu versenken. Jedesmal kehrte er mit vollem Gewinn für Leib und Seele von diesen einsamen Wegen zurück, die ihn oft auf mehre Stunden seinem Arbeitszimmer oder auch seinem Garten entführten. Dann mochte die nie fehlende Geselligkeit der Freunde und Angehörigen wieder an ihn herantreten; wenn ihm nur solche Pansen gelassen waren, sich nach seiner Art zu sammeln und zu erholen, fühlte er sich in ihr recht gründlich wohl. Es begreift sich aber daraus, daß er an öffentlichen Orten das, was er be¬ dürfte, nicht finden konnte und sie daher vermied, aber auch, daß er ebenso, wohl ausgedehntere Reisen in der ganzen letzten Hälfte seines Lebens scheute, wie er sie sonst in der Zeit, die dem Aufenthalt in Erlangen vorhergingen, also bis etwa in die Mitte der zwanziger Jahre, geliebt und freiwillig unternommen hatte. Unsere neuste reiselustige Periode war ihm auch dadurch so fremdartig und wenn man will durch die indirecte Anforderung sich ihrer Mode zu fügen unbequem geworden. Körperlich wäre er ja im Vergleich mit unzähligen mo¬ dernen Vergnügungsreisenden noch vollständig dafür gerüstet gewesen, obwohl ihn zuletzt und ursprünglich hauptsächlich körperliche Rücksichten oder die Einflüsse seines leiblichen Befindens an die Scholle gefesselt hielten. Die älteren Freunde des Dichters wußten sich noch wohl zu erinnern, wie er einst sich mit Behagen in der Geselligkeit außerhalb des Hauses bewegt hatte. Aber wie für seine Reiselust, trat auch dafür mit Erlangen ein Wende- Punkt ein. Noch in den ersten Jahren des erlanger Lebens, das von 1826 bis 1841 dauerte, also seine sogenannte beste Zeit umfaßte, sah man ihn häufig mit lieben College» und deren Familien an den damals so einfachen ländlichen Vergnügungsorten der Umgegend. Später behielt er zwar noch immer seine gleich anfangs gefaßte Liebe für die dortige Landschaft, aber er genoß ihre Anmuth mehr und mehr auf einsamen Spaziergängen. Im Gegensatz zu vielen fremd hingekommenen Gliedern der Universität war er sowohl der Stadt selbst wie der Landschaft sehr zugethan. Die breiten, lustigen Straßen, die lichten, freundlichen und meist geräumigen Häuser sagten ihm trotz ihrer Monotonie zu, und im Hinblick auf das benachbarte Nürnberg und den Wirrwarr seiner archi- tektonischen Romantik pflegte er sich oft glücklich zu preisen, daß er nicht in solche Straßen und solche Häuser eingepfercht leben müsse. Die Landschaft bot ohne irgend hervorragende Schönheit doch eine wahrhaft unerschöpfliche Fülle und Mannigfaltigkeit von echten Spazierwegen für den einsamen und rüstigen Fußgänger, der alle die kleinen Hindernisse gewöhnlicher geputzter oder aus besonderen Intentionen zu Amüsement aufziehender Sonntagsfreunde der Natur gar nicht zu beachten gewöhnt war. Hier in Erlangen baute er sich auch selbst ein Haus. Er sollte es nicht lange besitzen, denn kaum war es vollständig bewohnbar, so entführte ihn seine Berufung nach Berlin für immer, wie es Gr-nzbotm II. 1L66. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/19>, abgerufen am 15.05.2024.