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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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damals schien, seinem fränkischen Heimathlande. Die Lage des Hauses war recht
nach seinem Geschmacke, wenn auch nicht nach dem der meisten andern Erlanger.
Ganz draußen, der Stadtmauer gegenüber, unter der man sich aber keinen
mittelalterlichen Bau mit Thürmen und Zinnen, oder gar mit einem breiten
Wallgraben denken darf, sah man aus den Fenstern des obern Geschosses, das
er bewohnte, über jenes bescheidene Mäuerchen hinüber weit in das Blachfeld
bis zu den einfachen Linien der Waldboden, über die sich der große Reichsforst
von Nürnberg gelagert und auf die er sich beinahe ganz aus der Ebene zurück¬
gezogen hat. Es war keine Spur von einer schönen Aussicht, aber frei und
sonnig und friedlich in der Ferne abgeschlossen. Eine Zeit lang dachte er auch
ernstlich daran, irgendeinen kleinen Gartenbesitz zu erwerben, wie dort am
Südhange des Stadtbergcs so viele, wahrhaft idyllische, also auch sehr einfache
halb ländliche halb städtische Ansiedelungen existiren. In diesem Falle hätte er
sein Neuses aufgeben müssen, aber der anmuthige Eindruck, den ihm die Natur
grade auf jener Seite der Stadt machte, hätte ihm vielleicht auch dies Opfer
nicht zu schwer gemacht, wenn nicht äußere Hindernisse in den Weg getreten
wären.

Schon in den letzten Jahren des erlanger Lebens beschränkten sich die
anfangs recht ausgedehnten geselligen Verbindungen, weil sie auf dem Fuße
vollster Reciprocität eingegangen waren. Es geschah allmälig immer seltener,
daß er Einladungen in befreundete Häuser folgte, obgleich es bis zuletzt immer
noch vorkam. Die Verhältnisse der Kollegialität an einer Universität brachten
es mit sich, daß er sich dieser Art von Verpflichtungen nicht ganz entziehen
konnte, denn wenn überhaupt unter einer solche" Umgebung ein Verkehr be¬
stehen sollte, so mußte er wechselseitig sein. Rückert konnte nicht daran denken,
hier wie etwa später in Neuses die Freunde blos bei sich zu sehen, sich suchen
zu lassen. Er mußte auch zu ihnen kommen, selbst wenn nicht immer so ge¬
naues Kerbholz über das Geben und Empfangen gehalten wurde, als es eine
etwas strictere Form der Geselligkeit voraussetzt. Denn in Erlangen war
davon noch wenig eingedrungen: hier existirte noch jener einfachere Zuschnitt
des Lebens, wie er einst in einer Periode gediegenerer Bildung so allgemein in
Deutschland gegolten hatte, und wie er den Vertretern der höchsten Geistesbildung
der Nation so wohl und, man darf sagen, einzig wohl ansteht. Der Zufluß
von eigentlichen Fremden war damals überall noch ein geringer, wie jeder
weiß, der diese noch so nahe Periode mit Bewußtsein durchlebt hat. Erlangen
lag vollends außer der Route und selten verirrte sich ein eigentlicher Tourist
dahin. Von diesen Plagegeistern war daher wenig Störung zu befürchten und
es konnten oft Monate vergehen, ohne daß eine solche Erscheinung in dem stillen
Hause Rückerts austauchte. Es muß hinzugesetzt werden, daß sie dann meist
so rasch, als es der Anstand nur irgend erlaubte, abgefertigt wurde. Natürlich


damals schien, seinem fränkischen Heimathlande. Die Lage des Hauses war recht
nach seinem Geschmacke, wenn auch nicht nach dem der meisten andern Erlanger.
Ganz draußen, der Stadtmauer gegenüber, unter der man sich aber keinen
mittelalterlichen Bau mit Thürmen und Zinnen, oder gar mit einem breiten
Wallgraben denken darf, sah man aus den Fenstern des obern Geschosses, das
er bewohnte, über jenes bescheidene Mäuerchen hinüber weit in das Blachfeld
bis zu den einfachen Linien der Waldboden, über die sich der große Reichsforst
von Nürnberg gelagert und auf die er sich beinahe ganz aus der Ebene zurück¬
gezogen hat. Es war keine Spur von einer schönen Aussicht, aber frei und
sonnig und friedlich in der Ferne abgeschlossen. Eine Zeit lang dachte er auch
ernstlich daran, irgendeinen kleinen Gartenbesitz zu erwerben, wie dort am
Südhange des Stadtbergcs so viele, wahrhaft idyllische, also auch sehr einfache
halb ländliche halb städtische Ansiedelungen existiren. In diesem Falle hätte er
sein Neuses aufgeben müssen, aber der anmuthige Eindruck, den ihm die Natur
grade auf jener Seite der Stadt machte, hätte ihm vielleicht auch dies Opfer
nicht zu schwer gemacht, wenn nicht äußere Hindernisse in den Weg getreten
wären.

Schon in den letzten Jahren des erlanger Lebens beschränkten sich die
anfangs recht ausgedehnten geselligen Verbindungen, weil sie auf dem Fuße
vollster Reciprocität eingegangen waren. Es geschah allmälig immer seltener,
daß er Einladungen in befreundete Häuser folgte, obgleich es bis zuletzt immer
noch vorkam. Die Verhältnisse der Kollegialität an einer Universität brachten
es mit sich, daß er sich dieser Art von Verpflichtungen nicht ganz entziehen
konnte, denn wenn überhaupt unter einer solche» Umgebung ein Verkehr be¬
stehen sollte, so mußte er wechselseitig sein. Rückert konnte nicht daran denken,
hier wie etwa später in Neuses die Freunde blos bei sich zu sehen, sich suchen
zu lassen. Er mußte auch zu ihnen kommen, selbst wenn nicht immer so ge¬
naues Kerbholz über das Geben und Empfangen gehalten wurde, als es eine
etwas strictere Form der Geselligkeit voraussetzt. Denn in Erlangen war
davon noch wenig eingedrungen: hier existirte noch jener einfachere Zuschnitt
des Lebens, wie er einst in einer Periode gediegenerer Bildung so allgemein in
Deutschland gegolten hatte, und wie er den Vertretern der höchsten Geistesbildung
der Nation so wohl und, man darf sagen, einzig wohl ansteht. Der Zufluß
von eigentlichen Fremden war damals überall noch ein geringer, wie jeder
weiß, der diese noch so nahe Periode mit Bewußtsein durchlebt hat. Erlangen
lag vollends außer der Route und selten verirrte sich ein eigentlicher Tourist
dahin. Von diesen Plagegeistern war daher wenig Störung zu befürchten und
es konnten oft Monate vergehen, ohne daß eine solche Erscheinung in dem stillen
Hause Rückerts austauchte. Es muß hinzugesetzt werden, daß sie dann meist
so rasch, als es der Anstand nur irgend erlaubte, abgefertigt wurde. Natürlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/20>, abgerufen am 15.05.2024.