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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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waren auswärtige Freunde hier wie überall ihm herzlich willkommen, aber auch
diese kamen Äußerst selten. Wenn es geschah, war das Haus Rückerts das
ewMe Ziel ihrer ganzen Reise, und zu einer solchen entschloß man sich damals
schwer, auch wenn nur zwanzig oder dreißig Meilen zu überwinden waren.
Außer den Spaziergängen, der Privatgesellia/eit und sehr bescheidenen musikalischen
Genüssen gab es aber in dem damaligen Erlangen keine andern Anstalten zu
gemeinsamer Ergötzlichkeit. Namentlich fehlte ein Theater, für welches zwar
ein stattlicher Bau existirte, der aber nur selten durch eine wandernde Truppe
dritten Ranges belebt wurde.

Es ist nicht zu läugnen, daß Rückert selbst sich nicht ganz befriedigt von
der allerdings anmuthigen und behaglichen Zurückgezogenheit Evlangens fühlte.
Er empfand oder glaubte zu empfinden, daß er in eine stärkere und freiere
Strömung des Lebens gehöre, als sie eine kleine Universitätsstadt, namentlich
dem damaligen Bayern unter dem allgemeinen Geistesdrucke des abelschen
Regimentes bieten konnte. Auch in diesem Sinne begrüßte er den Ruf nach
Berlin mit hoffnungvoller Freude, ja man darf sagen mit Begeisterung. Wer
es selbst mit durchlebt hat, kann von dem mächtigen Emporschnellen des öffent¬
lichen Geistes zeugen, das sich in dem Jahre 1840 überall in Deutschland und
nicht am wenigsten hier im Süden und zwar in dem protestantischen Süden
offenbarte. Die Anregung dazu gab auch hier dasselbe wie anderwärts: der
Thronwechsel in Preußen und der Eindruck, den eine frisch der Zeit gegenüber¬
tretende Persönlichkeit auf dem Throne hervorrief. Man kritistrte hier weniger
als im eigenen Lande das, was sie zu bringen versprach: man fühlte sich
warm angehaucht und wurde selbst dadurch erwärmt. Alle Blicke waren nach
Berlin gerichtet, und die seltsamen Borurtheile, die von jeher den Süden unseres
Vaterlandes gründlicher als durch eine chinesische Mauer von dem Norden ab¬
gesperrt hielten, schienen vergessen. Es wäre ungerecht zu behaupten, daß nie¬
mand in dem näheren und ferneren Freundeskreise Rückerts so tief wie er
von der Zuversicht aus den Anbruch eines neuen Tages erfüllt gewesen wäre.
Alle die Besten theilten seinen Glauben, aber ihm schien es vor vielen andern
Vergönne, selbst mit Hand an das große Werk der Wiedergeburt Deutschlands
zu legen. Denn nichts weniger als das erwartete er und jedermann von
Friedrich Wilhelm dem Vierten. Hier und da wagte wohl schon ein Zweifel
laut zu werden weniger an dem Wollen des Königs, als überhaupt an dem
Berufe eines gekrönten Hauptes, dieser Zeit ein Wiederhersteller der deutschen
Nation zu werden. Aber mit solchen Nergeleien war es nicht gerathen den
Begeisterten zu nahe zu kommen, und es gehörte eine lange Reihe von Ent¬
täuschungen dazu, bis auch sie sich gezwungen sahen zu resigniren. So kostete
ihm die Trennung von Erlangen grade damals viel weniger Ueberwindung als
zu irgendeiner andern Zeit. Noch kurz vorher, so wie verschiedene Male früher


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waren auswärtige Freunde hier wie überall ihm herzlich willkommen, aber auch
diese kamen Äußerst selten. Wenn es geschah, war das Haus Rückerts das
ewMe Ziel ihrer ganzen Reise, und zu einer solchen entschloß man sich damals
schwer, auch wenn nur zwanzig oder dreißig Meilen zu überwinden waren.
Außer den Spaziergängen, der Privatgesellia/eit und sehr bescheidenen musikalischen
Genüssen gab es aber in dem damaligen Erlangen keine andern Anstalten zu
gemeinsamer Ergötzlichkeit. Namentlich fehlte ein Theater, für welches zwar
ein stattlicher Bau existirte, der aber nur selten durch eine wandernde Truppe
dritten Ranges belebt wurde.

Es ist nicht zu läugnen, daß Rückert selbst sich nicht ganz befriedigt von
der allerdings anmuthigen und behaglichen Zurückgezogenheit Evlangens fühlte.
Er empfand oder glaubte zu empfinden, daß er in eine stärkere und freiere
Strömung des Lebens gehöre, als sie eine kleine Universitätsstadt, namentlich
dem damaligen Bayern unter dem allgemeinen Geistesdrucke des abelschen
Regimentes bieten konnte. Auch in diesem Sinne begrüßte er den Ruf nach
Berlin mit hoffnungvoller Freude, ja man darf sagen mit Begeisterung. Wer
es selbst mit durchlebt hat, kann von dem mächtigen Emporschnellen des öffent¬
lichen Geistes zeugen, das sich in dem Jahre 1840 überall in Deutschland und
nicht am wenigsten hier im Süden und zwar in dem protestantischen Süden
offenbarte. Die Anregung dazu gab auch hier dasselbe wie anderwärts: der
Thronwechsel in Preußen und der Eindruck, den eine frisch der Zeit gegenüber¬
tretende Persönlichkeit auf dem Throne hervorrief. Man kritistrte hier weniger
als im eigenen Lande das, was sie zu bringen versprach: man fühlte sich
warm angehaucht und wurde selbst dadurch erwärmt. Alle Blicke waren nach
Berlin gerichtet, und die seltsamen Borurtheile, die von jeher den Süden unseres
Vaterlandes gründlicher als durch eine chinesische Mauer von dem Norden ab¬
gesperrt hielten, schienen vergessen. Es wäre ungerecht zu behaupten, daß nie¬
mand in dem näheren und ferneren Freundeskreise Rückerts so tief wie er
von der Zuversicht aus den Anbruch eines neuen Tages erfüllt gewesen wäre.
Alle die Besten theilten seinen Glauben, aber ihm schien es vor vielen andern
Vergönne, selbst mit Hand an das große Werk der Wiedergeburt Deutschlands
zu legen. Denn nichts weniger als das erwartete er und jedermann von
Friedrich Wilhelm dem Vierten. Hier und da wagte wohl schon ein Zweifel
laut zu werden weniger an dem Wollen des Königs, als überhaupt an dem
Berufe eines gekrönten Hauptes, dieser Zeit ein Wiederhersteller der deutschen
Nation zu werden. Aber mit solchen Nergeleien war es nicht gerathen den
Begeisterten zu nahe zu kommen, und es gehörte eine lange Reihe von Ent¬
täuschungen dazu, bis auch sie sich gezwungen sahen zu resigniren. So kostete
ihm die Trennung von Erlangen grade damals viel weniger Ueberwindung als
zu irgendeiner andern Zeit. Noch kurz vorher, so wie verschiedene Male früher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/21>, abgerufen am 15.05.2024.