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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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hatten sich ihm Aussichten nach andern Universitäten eröffnet, die ihm aber trotz
bedeutender äußerer Vortheile Erlangen nicht aufwiegen konnten. Am aller¬
wenigsten war er geneigt seine äußerlich sehr bescheidene, aber verhältnißmäßig
unabhängige Stellung in Erlangen mit einer wenn auch noch so begünstigten
in München zu vertauschen, wohin ihn sein alter Gönner, König Ludwig,
gern gezogen hätte. So waren es auch jetzt nicht die äußeren Vortheile, die
ihn nach Berlin lockten. Er Pflegte darauf überhaupt weniger Rücksicht zu
nehmen, als es sonst gewöhnlich ist und für selbstverständlich gilt. Auch wußte
er doch so viel von den ihm außerdem ganz fremden berliner Verhältnissen, daß
dort das Gegentheil von der Einfachheit und der daraus entspringenden Wohl-
feilheit des damaligen Erlangens anzutreffen sei. Ja er ging vielleicht nicht
ohne übertriebene Vorstellungen von den fremdartigen und kostspieligen Ver¬
hältnissen, denen er sich zu fügen entschlossen war, weil er die Hauptsache
nicht wegen Nebendingen aufgeben wollte. Die Hauptsache war aber jenes
neue Leben des Ganzen, an dem er, freilich ohne noch recht zu sehen wie,
rüstig theilnehmen wollte. Daß er bereits das dreiundfünfzigste Lebensjahr er¬
reicht hatte, brachte er nicht in Anschlag, wie er überhaupt niemals bis in die
allerletzte Zeit ein Gefühl des Alters als eines Hemmnisses seiner Kraft empfun¬
den hat. Sein freudiger Sinn, sein unbegrenzter guter und reiner Wille, seine
nicht auf etwaiges Glänzen und Gefeiertwerden, sondern auf die würdigsten
und größten- Interessen des Ganzen gerichtete Hoffnung schienen den besten
Erfolg zu verbürgen, und selbst seine wahren Herzensfreunde in dem erlanger
Kreise, vor allem der ihm aufs innigste ergebene Kopp, konnten ihn unter
solchen Umständen zwar mit Schmerz, aber doch ohne Besorgniß scheiden sehen.
Sie glaubten nur wie er selbst, daß er Mühe haben würde, in dem unwirt¬
lichen Norden eine gemüthliche Häuslichkeit zu gründen, wie sie ihm Lebens¬
bedürfniß geworden war. Denn in dieser Hinsicht war man damals wo mög¬
lich, noch mehr als jetzt im Süden von den abenteuerlichsten Vorstellungen
besessen, denen natürlich auch die tributär sein mußten, die den Norden nicht aus
eigner Anschauung kannten, wenn sie auch sonst über alle jene lächerlichen
politischen Antipathien oder vielmehr jenen particularistischen Eigensinn erhaben
waren, hinter den sich die Masse auch der sogenannten Gebildeten damals wie
jetzt zu verschanzen pflegte.

Diese Besorgnisse verschwanden bald. Es zeigte sich, daß man sich in
Berlin ebenso in gemüthlicher Einfachheit einen Hausstand einrichten könne,
wie in Erlangen oder sonst wo in dem specifisch gemüthlichen Theile unjres
Vaterlandes. Daß er seine Wohnung nicht inmitten der geräuschvollsten Straßen
und des Häuserknäucls aufschlug, war nicht einmal Folge seiner eigenen Wahl,
sondern von einigen alten Freunden, die er dort vorfand, so und zwar ver¬
ständig genug bestimmt. Uebrigens gehörte die Schulgartenstraßc, wenn sie


hatten sich ihm Aussichten nach andern Universitäten eröffnet, die ihm aber trotz
bedeutender äußerer Vortheile Erlangen nicht aufwiegen konnten. Am aller¬
wenigsten war er geneigt seine äußerlich sehr bescheidene, aber verhältnißmäßig
unabhängige Stellung in Erlangen mit einer wenn auch noch so begünstigten
in München zu vertauschen, wohin ihn sein alter Gönner, König Ludwig,
gern gezogen hätte. So waren es auch jetzt nicht die äußeren Vortheile, die
ihn nach Berlin lockten. Er Pflegte darauf überhaupt weniger Rücksicht zu
nehmen, als es sonst gewöhnlich ist und für selbstverständlich gilt. Auch wußte
er doch so viel von den ihm außerdem ganz fremden berliner Verhältnissen, daß
dort das Gegentheil von der Einfachheit und der daraus entspringenden Wohl-
feilheit des damaligen Erlangens anzutreffen sei. Ja er ging vielleicht nicht
ohne übertriebene Vorstellungen von den fremdartigen und kostspieligen Ver¬
hältnissen, denen er sich zu fügen entschlossen war, weil er die Hauptsache
nicht wegen Nebendingen aufgeben wollte. Die Hauptsache war aber jenes
neue Leben des Ganzen, an dem er, freilich ohne noch recht zu sehen wie,
rüstig theilnehmen wollte. Daß er bereits das dreiundfünfzigste Lebensjahr er¬
reicht hatte, brachte er nicht in Anschlag, wie er überhaupt niemals bis in die
allerletzte Zeit ein Gefühl des Alters als eines Hemmnisses seiner Kraft empfun¬
den hat. Sein freudiger Sinn, sein unbegrenzter guter und reiner Wille, seine
nicht auf etwaiges Glänzen und Gefeiertwerden, sondern auf die würdigsten
und größten- Interessen des Ganzen gerichtete Hoffnung schienen den besten
Erfolg zu verbürgen, und selbst seine wahren Herzensfreunde in dem erlanger
Kreise, vor allem der ihm aufs innigste ergebene Kopp, konnten ihn unter
solchen Umständen zwar mit Schmerz, aber doch ohne Besorgniß scheiden sehen.
Sie glaubten nur wie er selbst, daß er Mühe haben würde, in dem unwirt¬
lichen Norden eine gemüthliche Häuslichkeit zu gründen, wie sie ihm Lebens¬
bedürfniß geworden war. Denn in dieser Hinsicht war man damals wo mög¬
lich, noch mehr als jetzt im Süden von den abenteuerlichsten Vorstellungen
besessen, denen natürlich auch die tributär sein mußten, die den Norden nicht aus
eigner Anschauung kannten, wenn sie auch sonst über alle jene lächerlichen
politischen Antipathien oder vielmehr jenen particularistischen Eigensinn erhaben
waren, hinter den sich die Masse auch der sogenannten Gebildeten damals wie
jetzt zu verschanzen pflegte.

Diese Besorgnisse verschwanden bald. Es zeigte sich, daß man sich in
Berlin ebenso in gemüthlicher Einfachheit einen Hausstand einrichten könne,
wie in Erlangen oder sonst wo in dem specifisch gemüthlichen Theile unjres
Vaterlandes. Daß er seine Wohnung nicht inmitten der geräuschvollsten Straßen
und des Häuserknäucls aufschlug, war nicht einmal Folge seiner eigenen Wahl,
sondern von einigen alten Freunden, die er dort vorfand, so und zwar ver¬
ständig genug bestimmt. Uebrigens gehörte die Schulgartenstraßc, wenn sie


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[0022] hatten sich ihm Aussichten nach andern Universitäten eröffnet, die ihm aber trotz bedeutender äußerer Vortheile Erlangen nicht aufwiegen konnten. Am aller¬ wenigsten war er geneigt seine äußerlich sehr bescheidene, aber verhältnißmäßig unabhängige Stellung in Erlangen mit einer wenn auch noch so begünstigten in München zu vertauschen, wohin ihn sein alter Gönner, König Ludwig, gern gezogen hätte. So waren es auch jetzt nicht die äußeren Vortheile, die ihn nach Berlin lockten. Er Pflegte darauf überhaupt weniger Rücksicht zu nehmen, als es sonst gewöhnlich ist und für selbstverständlich gilt. Auch wußte er doch so viel von den ihm außerdem ganz fremden berliner Verhältnissen, daß dort das Gegentheil von der Einfachheit und der daraus entspringenden Wohl- feilheit des damaligen Erlangens anzutreffen sei. Ja er ging vielleicht nicht ohne übertriebene Vorstellungen von den fremdartigen und kostspieligen Ver¬ hältnissen, denen er sich zu fügen entschlossen war, weil er die Hauptsache nicht wegen Nebendingen aufgeben wollte. Die Hauptsache war aber jenes neue Leben des Ganzen, an dem er, freilich ohne noch recht zu sehen wie, rüstig theilnehmen wollte. Daß er bereits das dreiundfünfzigste Lebensjahr er¬ reicht hatte, brachte er nicht in Anschlag, wie er überhaupt niemals bis in die allerletzte Zeit ein Gefühl des Alters als eines Hemmnisses seiner Kraft empfun¬ den hat. Sein freudiger Sinn, sein unbegrenzter guter und reiner Wille, seine nicht auf etwaiges Glänzen und Gefeiertwerden, sondern auf die würdigsten und größten- Interessen des Ganzen gerichtete Hoffnung schienen den besten Erfolg zu verbürgen, und selbst seine wahren Herzensfreunde in dem erlanger Kreise, vor allem der ihm aufs innigste ergebene Kopp, konnten ihn unter solchen Umständen zwar mit Schmerz, aber doch ohne Besorgniß scheiden sehen. Sie glaubten nur wie er selbst, daß er Mühe haben würde, in dem unwirt¬ lichen Norden eine gemüthliche Häuslichkeit zu gründen, wie sie ihm Lebens¬ bedürfniß geworden war. Denn in dieser Hinsicht war man damals wo mög¬ lich, noch mehr als jetzt im Süden von den abenteuerlichsten Vorstellungen besessen, denen natürlich auch die tributär sein mußten, die den Norden nicht aus eigner Anschauung kannten, wenn sie auch sonst über alle jene lächerlichen politischen Antipathien oder vielmehr jenen particularistischen Eigensinn erhaben waren, hinter den sich die Masse auch der sogenannten Gebildeten damals wie jetzt zu verschanzen pflegte. Diese Besorgnisse verschwanden bald. Es zeigte sich, daß man sich in Berlin ebenso in gemüthlicher Einfachheit einen Hausstand einrichten könne, wie in Erlangen oder sonst wo in dem specifisch gemüthlichen Theile unjres Vaterlandes. Daß er seine Wohnung nicht inmitten der geräuschvollsten Straßen und des Häuserknäucls aufschlug, war nicht einmal Folge seiner eigenen Wahl, sondern von einigen alten Freunden, die er dort vorfand, so und zwar ver¬ ständig genug bestimmt. Uebrigens gehörte die Schulgartenstraßc, wenn sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/22>, abgerufen am 16.05.2024.