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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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auch gegenüber auf die Stadtmauer und über sie hinweg auf die weiten Gärten
und Parks der Paläste der Wilhelmsstraße sah, keineswegs zu den unbelebten
oder abgelegenen. Sie bildete ja damals eine der drei Seiten des sogenannten Ge-
Heimerathsviertels, das richtiger Geheimerathsdreieck heißen würde. Die Grimms
Cornelius, der Maler Hermann und andere ältere Freunde wohnten in un¬
mittelbarster Nähe und war auch der Weg zur Universität etwas weit, so lag
dafür der Thiergarten desto näher. Eine rege, wenn auch in bürgerlich-ein¬
fachen Formen gehaltene Geselligkeit belebte den ersten berliner Winter 1841--42,
aber es zeigten sich doch bald schon einige von den Schatten, die diesen ganzen
berliner Aufenthalt zu der relativ unerquicklichsten Periode im Leben des Dich¬
ters machen sollten. Daß Rückert draußen vor dem Thore wohnte, schichte ihn
nicht vor der Zudringlichkeit gewöhnlicher Neugier, wie sie sich überall in solchem
Falle breit machen wird. Berlin steht auch darum sehr mit Unrecht in einem
besonders noctem Rufe. Jede andere Stadt, die eine gleiche Summe gebildeter
oder Bildung prätendirender Elemente in sich enthält, würde ein gleich starkes
Contingent solcher angeblicher Verehrer geliefert haben. Es gelang nicht immer,
sie mit guter Manier abzuweisen, und so wurde Rückert manche Stunde häßlich
verdorben. Zeit war aber das Einzige, womit er geizte, weil niemand so wie
er sie zu brauchen verstand. Doch würde ohne Zweifel diese Plage allmälig
von selbst aufgehört haben, wenn er erst selbst aufhörte eine Neuigkeit zu sein
Man weiß ja, wie das großstädtische Publikum und hier wieder vorzugsweise
das berliner sehr bald satt zu werden pflegt. Fataler war es, daß sich das
leibliche Befinden Rückerts schlechterdings nicht mit dem berliner Winterklima
vertragen wollte. Er hatte niemals dauernd in der norddeutschen Tiefebene
gelebt und ward jetzt, in seinen vorgerückten Jahren -- er stand, wie schon
bemerkt, im vierundfünfzigsten -- und bei seiner ungemeinen körperlichen Reiz¬
barkeit, durch die feuchtkalten Nebel und die damit wechselnden scharfen Luft¬
strömungen sehr übel berührt. Daran hatte er natürlich nicht gedacht, als er
Erlangen verließ, daß er sein relatives körperliches Wohlsein der trocknen, meist
nur mäßig bewegten Lust des innerdeutschen Hügel- und Hochlandes zu ver¬
danken hatte. Es war ja auch ohnedieß sein heimisches Klima, in das er hinein¬
geboren war. und schon deshalb das ihm allein gemäße. Körperliche Unvehag-
lichkeiten veranlaßten zunächst, daß die Versuche sich activ an der berliner
Geselligkeit zu betheiligen bald eingeschränkt und endlich aus das bescheidenste
Maß reducirt werden mußten. Rückert vermochte noch weniger als in Erlangen
den Ansprüchen seiner alten und neuen Freunde gerecht zu werden und es
konnte nicht fehlen, daß diese, die in ihrem eigenen Befinden kein Hinderniß
regsten Verkehrs mit der Außenwelt gelten ließen, zuerst etwas verwundert und
bald auch etwas verstimmt über die Zurückgezogenheit des Mannes wurden,
der nach ihrer eigenen guten Meinung sich selbst damit den größten Schaden


auch gegenüber auf die Stadtmauer und über sie hinweg auf die weiten Gärten
und Parks der Paläste der Wilhelmsstraße sah, keineswegs zu den unbelebten
oder abgelegenen. Sie bildete ja damals eine der drei Seiten des sogenannten Ge-
Heimerathsviertels, das richtiger Geheimerathsdreieck heißen würde. Die Grimms
Cornelius, der Maler Hermann und andere ältere Freunde wohnten in un¬
mittelbarster Nähe und war auch der Weg zur Universität etwas weit, so lag
dafür der Thiergarten desto näher. Eine rege, wenn auch in bürgerlich-ein¬
fachen Formen gehaltene Geselligkeit belebte den ersten berliner Winter 1841—42,
aber es zeigten sich doch bald schon einige von den Schatten, die diesen ganzen
berliner Aufenthalt zu der relativ unerquicklichsten Periode im Leben des Dich¬
ters machen sollten. Daß Rückert draußen vor dem Thore wohnte, schichte ihn
nicht vor der Zudringlichkeit gewöhnlicher Neugier, wie sie sich überall in solchem
Falle breit machen wird. Berlin steht auch darum sehr mit Unrecht in einem
besonders noctem Rufe. Jede andere Stadt, die eine gleiche Summe gebildeter
oder Bildung prätendirender Elemente in sich enthält, würde ein gleich starkes
Contingent solcher angeblicher Verehrer geliefert haben. Es gelang nicht immer,
sie mit guter Manier abzuweisen, und so wurde Rückert manche Stunde häßlich
verdorben. Zeit war aber das Einzige, womit er geizte, weil niemand so wie
er sie zu brauchen verstand. Doch würde ohne Zweifel diese Plage allmälig
von selbst aufgehört haben, wenn er erst selbst aufhörte eine Neuigkeit zu sein
Man weiß ja, wie das großstädtische Publikum und hier wieder vorzugsweise
das berliner sehr bald satt zu werden pflegt. Fataler war es, daß sich das
leibliche Befinden Rückerts schlechterdings nicht mit dem berliner Winterklima
vertragen wollte. Er hatte niemals dauernd in der norddeutschen Tiefebene
gelebt und ward jetzt, in seinen vorgerückten Jahren — er stand, wie schon
bemerkt, im vierundfünfzigsten — und bei seiner ungemeinen körperlichen Reiz¬
barkeit, durch die feuchtkalten Nebel und die damit wechselnden scharfen Luft¬
strömungen sehr übel berührt. Daran hatte er natürlich nicht gedacht, als er
Erlangen verließ, daß er sein relatives körperliches Wohlsein der trocknen, meist
nur mäßig bewegten Lust des innerdeutschen Hügel- und Hochlandes zu ver¬
danken hatte. Es war ja auch ohnedieß sein heimisches Klima, in das er hinein¬
geboren war. und schon deshalb das ihm allein gemäße. Körperliche Unvehag-
lichkeiten veranlaßten zunächst, daß die Versuche sich activ an der berliner
Geselligkeit zu betheiligen bald eingeschränkt und endlich aus das bescheidenste
Maß reducirt werden mußten. Rückert vermochte noch weniger als in Erlangen
den Ansprüchen seiner alten und neuen Freunde gerecht zu werden und es
konnte nicht fehlen, daß diese, die in ihrem eigenen Befinden kein Hinderniß
regsten Verkehrs mit der Außenwelt gelten ließen, zuerst etwas verwundert und
bald auch etwas verstimmt über die Zurückgezogenheit des Mannes wurden,
der nach ihrer eigenen guten Meinung sich selbst damit den größten Schaden


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[0023] auch gegenüber auf die Stadtmauer und über sie hinweg auf die weiten Gärten und Parks der Paläste der Wilhelmsstraße sah, keineswegs zu den unbelebten oder abgelegenen. Sie bildete ja damals eine der drei Seiten des sogenannten Ge- Heimerathsviertels, das richtiger Geheimerathsdreieck heißen würde. Die Grimms Cornelius, der Maler Hermann und andere ältere Freunde wohnten in un¬ mittelbarster Nähe und war auch der Weg zur Universität etwas weit, so lag dafür der Thiergarten desto näher. Eine rege, wenn auch in bürgerlich-ein¬ fachen Formen gehaltene Geselligkeit belebte den ersten berliner Winter 1841—42, aber es zeigten sich doch bald schon einige von den Schatten, die diesen ganzen berliner Aufenthalt zu der relativ unerquicklichsten Periode im Leben des Dich¬ ters machen sollten. Daß Rückert draußen vor dem Thore wohnte, schichte ihn nicht vor der Zudringlichkeit gewöhnlicher Neugier, wie sie sich überall in solchem Falle breit machen wird. Berlin steht auch darum sehr mit Unrecht in einem besonders noctem Rufe. Jede andere Stadt, die eine gleiche Summe gebildeter oder Bildung prätendirender Elemente in sich enthält, würde ein gleich starkes Contingent solcher angeblicher Verehrer geliefert haben. Es gelang nicht immer, sie mit guter Manier abzuweisen, und so wurde Rückert manche Stunde häßlich verdorben. Zeit war aber das Einzige, womit er geizte, weil niemand so wie er sie zu brauchen verstand. Doch würde ohne Zweifel diese Plage allmälig von selbst aufgehört haben, wenn er erst selbst aufhörte eine Neuigkeit zu sein Man weiß ja, wie das großstädtische Publikum und hier wieder vorzugsweise das berliner sehr bald satt zu werden pflegt. Fataler war es, daß sich das leibliche Befinden Rückerts schlechterdings nicht mit dem berliner Winterklima vertragen wollte. Er hatte niemals dauernd in der norddeutschen Tiefebene gelebt und ward jetzt, in seinen vorgerückten Jahren — er stand, wie schon bemerkt, im vierundfünfzigsten — und bei seiner ungemeinen körperlichen Reiz¬ barkeit, durch die feuchtkalten Nebel und die damit wechselnden scharfen Luft¬ strömungen sehr übel berührt. Daran hatte er natürlich nicht gedacht, als er Erlangen verließ, daß er sein relatives körperliches Wohlsein der trocknen, meist nur mäßig bewegten Lust des innerdeutschen Hügel- und Hochlandes zu ver¬ danken hatte. Es war ja auch ohnedieß sein heimisches Klima, in das er hinein¬ geboren war. und schon deshalb das ihm allein gemäße. Körperliche Unvehag- lichkeiten veranlaßten zunächst, daß die Versuche sich activ an der berliner Geselligkeit zu betheiligen bald eingeschränkt und endlich aus das bescheidenste Maß reducirt werden mußten. Rückert vermochte noch weniger als in Erlangen den Ansprüchen seiner alten und neuen Freunde gerecht zu werden und es konnte nicht fehlen, daß diese, die in ihrem eigenen Befinden kein Hinderniß regsten Verkehrs mit der Außenwelt gelten ließen, zuerst etwas verwundert und bald auch etwas verstimmt über die Zurückgezogenheit des Mannes wurden, der nach ihrer eigenen guten Meinung sich selbst damit den größten Schaden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/23>, abgerufen am 15.05.2024.