Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

that. Er aber ließ sich durch alles daraus entspringende Bitten und Drängen,
gleichviel ob es mehr schmeichelnd oder mehr in der Form freundschaftlicher
Superiorität der Lebenserfahrung an ihn herantrat, nicht aus seinem Geleise
bringen. Er ging ebeu nur aus, wenn es ihm paßte, und gewöhnlich paßte
es ihm in den Abendstunden nicht, wo sich doch herkömmlich der gesellige Ver¬
kehr erst zu entfalten Pflegt.

Gleiche Hindernisse hielten ihn von manchen andern Orten fern, an denen
sich das Interesse der Geselligkeit wie der Geistesbildung concentrirt. Der
Dichter war grade damals aufs lebhafteste von seinen dramatischen Entwürfen
bewegt. Einiges davon war schon in Erlangen ausgeführt worden, aber er
hielt das nur für vorläufige Experimente. Er wollte es wirklich dahin bringen,
nicht blos Dramen zum Lesen, sondern auch zur Aufführung zu schaffen. Daß
dazu eine genauere Vertrautheit mit der Bühne selbst gehörte, als er sie besaß,
wußte er, und er hatte auch darum seine Übersiedelung nach Berlin freudig
als den Beginn einer neuen Epoche seiner Poesie begrüßt. Nun siellte sich
aber heraus, daß jeder Besuch des Theaters beinahe auch ernstliches Unwohlsein
für ihn bedeutete, und so erklärte es sich leicht, daß sie immer seltener gewagt
wurden. Ebenso natürlich war es. daß die hochgespannter Erwartungen, die
er an die berliner Bühne heranbrachte, von der Wirklichkeit nicht befriedigt
werden konnten. Sie war damals, wie schon lange vorher und bis auf den
heutigen Tag so, daß sie kaum mittelmäßig heißen durste. Trotzdem würde sie
ihn immer noch gefördert haben, wenn er sie nur hätte benutzen können.

Ebenso wenig wollten andere Hoffnungen sich erfüllen. Aus der gläubigen
Unbefangenheit eines still abgeschlossenen süddeutschen Landstädtchens oder viel"
mehr des kleinen Kreises hochgebildeter und rcingestimmter Menschen, die seine
ganze Welt waren, sah er sich in eine mehr als billig ernüchterte großstädtische
Atmosphäre versetzt. Wenn er auch mit dem specifisch-negativen Element des
Berlinerthums in keine directe Berührung trat -- sein natürlicher Jnstinct be¬
wahrte ihn bestens davor -- so konnte sich doch niemand den erkältenden und
herabstimmenden Einflüssen entziehen, von denen die ganze Luft an der Stelle
des überschwänglichen Feuers der Begeisterung ein Jahr vorher inficirt war. Er
trat in einen Kreis alter, zum Theil lange nicht gesehener Freunde, die ungefähr
alle in der gleichen Lage wie er waren. Aber sie alle hatten schon sich wenigstens
so weit in Berlin eingelebt, daß sie die allgemeine Verstimmung theilten und sich
im Grunde ganz wohl dabei befanden. nergeln und Witzeln waren aber diejenigen
Formen der Unterhaltung, die Rückert schlechterdings nicht vertragen konnte.
Er hatte dafür gar kein Organ und wenn er sich solcher Art von Aeußerungen-
durchaus nicht zu entziehen vermochte, wirkten sie auf ihn wie Gift auf den
gesunden Körper. Daß sich ein Cornelius, Schelling, I. Grimm nicht an ihrem
Platze befanden, sah er wohl. Seine althergebrachte Zuneigung für diese


that. Er aber ließ sich durch alles daraus entspringende Bitten und Drängen,
gleichviel ob es mehr schmeichelnd oder mehr in der Form freundschaftlicher
Superiorität der Lebenserfahrung an ihn herantrat, nicht aus seinem Geleise
bringen. Er ging ebeu nur aus, wenn es ihm paßte, und gewöhnlich paßte
es ihm in den Abendstunden nicht, wo sich doch herkömmlich der gesellige Ver¬
kehr erst zu entfalten Pflegt.

Gleiche Hindernisse hielten ihn von manchen andern Orten fern, an denen
sich das Interesse der Geselligkeit wie der Geistesbildung concentrirt. Der
Dichter war grade damals aufs lebhafteste von seinen dramatischen Entwürfen
bewegt. Einiges davon war schon in Erlangen ausgeführt worden, aber er
hielt das nur für vorläufige Experimente. Er wollte es wirklich dahin bringen,
nicht blos Dramen zum Lesen, sondern auch zur Aufführung zu schaffen. Daß
dazu eine genauere Vertrautheit mit der Bühne selbst gehörte, als er sie besaß,
wußte er, und er hatte auch darum seine Übersiedelung nach Berlin freudig
als den Beginn einer neuen Epoche seiner Poesie begrüßt. Nun siellte sich
aber heraus, daß jeder Besuch des Theaters beinahe auch ernstliches Unwohlsein
für ihn bedeutete, und so erklärte es sich leicht, daß sie immer seltener gewagt
wurden. Ebenso natürlich war es. daß die hochgespannter Erwartungen, die
er an die berliner Bühne heranbrachte, von der Wirklichkeit nicht befriedigt
werden konnten. Sie war damals, wie schon lange vorher und bis auf den
heutigen Tag so, daß sie kaum mittelmäßig heißen durste. Trotzdem würde sie
ihn immer noch gefördert haben, wenn er sie nur hätte benutzen können.

Ebenso wenig wollten andere Hoffnungen sich erfüllen. Aus der gläubigen
Unbefangenheit eines still abgeschlossenen süddeutschen Landstädtchens oder viel«
mehr des kleinen Kreises hochgebildeter und rcingestimmter Menschen, die seine
ganze Welt waren, sah er sich in eine mehr als billig ernüchterte großstädtische
Atmosphäre versetzt. Wenn er auch mit dem specifisch-negativen Element des
Berlinerthums in keine directe Berührung trat — sein natürlicher Jnstinct be¬
wahrte ihn bestens davor — so konnte sich doch niemand den erkältenden und
herabstimmenden Einflüssen entziehen, von denen die ganze Luft an der Stelle
des überschwänglichen Feuers der Begeisterung ein Jahr vorher inficirt war. Er
trat in einen Kreis alter, zum Theil lange nicht gesehener Freunde, die ungefähr
alle in der gleichen Lage wie er waren. Aber sie alle hatten schon sich wenigstens
so weit in Berlin eingelebt, daß sie die allgemeine Verstimmung theilten und sich
im Grunde ganz wohl dabei befanden. nergeln und Witzeln waren aber diejenigen
Formen der Unterhaltung, die Rückert schlechterdings nicht vertragen konnte.
Er hatte dafür gar kein Organ und wenn er sich solcher Art von Aeußerungen-
durchaus nicht zu entziehen vermochte, wirkten sie auf ihn wie Gift auf den
gesunden Körper. Daß sich ein Cornelius, Schelling, I. Grimm nicht an ihrem
Platze befanden, sah er wohl. Seine althergebrachte Zuneigung für diese


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285050"/>
          <p xml:id="ID_25" prev="#ID_24"> that. Er aber ließ sich durch alles daraus entspringende Bitten und Drängen,<lb/>
gleichviel ob es mehr schmeichelnd oder mehr in der Form freundschaftlicher<lb/>
Superiorität der Lebenserfahrung an ihn herantrat, nicht aus seinem Geleise<lb/>
bringen. Er ging ebeu nur aus, wenn es ihm paßte, und gewöhnlich paßte<lb/>
es ihm in den Abendstunden nicht, wo sich doch herkömmlich der gesellige Ver¬<lb/>
kehr erst zu entfalten Pflegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_26"> Gleiche Hindernisse hielten ihn von manchen andern Orten fern, an denen<lb/>
sich das Interesse der Geselligkeit wie der Geistesbildung concentrirt. Der<lb/>
Dichter war grade damals aufs lebhafteste von seinen dramatischen Entwürfen<lb/>
bewegt. Einiges davon war schon in Erlangen ausgeführt worden, aber er<lb/>
hielt das nur für vorläufige Experimente. Er wollte es wirklich dahin bringen,<lb/>
nicht blos Dramen zum Lesen, sondern auch zur Aufführung zu schaffen. Daß<lb/>
dazu eine genauere Vertrautheit mit der Bühne selbst gehörte, als er sie besaß,<lb/>
wußte er, und er hatte auch darum seine Übersiedelung nach Berlin freudig<lb/>
als den Beginn einer neuen Epoche seiner Poesie begrüßt. Nun siellte sich<lb/>
aber heraus, daß jeder Besuch des Theaters beinahe auch ernstliches Unwohlsein<lb/>
für ihn bedeutete, und so erklärte es sich leicht, daß sie immer seltener gewagt<lb/>
wurden. Ebenso natürlich war es. daß die hochgespannter Erwartungen, die<lb/>
er an die berliner Bühne heranbrachte, von der Wirklichkeit nicht befriedigt<lb/>
werden konnten. Sie war damals, wie schon lange vorher und bis auf den<lb/>
heutigen Tag so, daß sie kaum mittelmäßig heißen durste. Trotzdem würde sie<lb/>
ihn immer noch gefördert haben, wenn er sie nur hätte benutzen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_27" next="#ID_28"> Ebenso wenig wollten andere Hoffnungen sich erfüllen. Aus der gläubigen<lb/>
Unbefangenheit eines still abgeschlossenen süddeutschen Landstädtchens oder viel«<lb/>
mehr des kleinen Kreises hochgebildeter und rcingestimmter Menschen, die seine<lb/>
ganze Welt waren, sah er sich in eine mehr als billig ernüchterte großstädtische<lb/>
Atmosphäre versetzt. Wenn er auch mit dem specifisch-negativen Element des<lb/>
Berlinerthums in keine directe Berührung trat &#x2014; sein natürlicher Jnstinct be¬<lb/>
wahrte ihn bestens davor &#x2014; so konnte sich doch niemand den erkältenden und<lb/>
herabstimmenden Einflüssen entziehen, von denen die ganze Luft an der Stelle<lb/>
des überschwänglichen Feuers der Begeisterung ein Jahr vorher inficirt war. Er<lb/>
trat in einen Kreis alter, zum Theil lange nicht gesehener Freunde, die ungefähr<lb/>
alle in der gleichen Lage wie er waren. Aber sie alle hatten schon sich wenigstens<lb/>
so weit in Berlin eingelebt, daß sie die allgemeine Verstimmung theilten und sich<lb/>
im Grunde ganz wohl dabei befanden. nergeln und Witzeln waren aber diejenigen<lb/>
Formen der Unterhaltung, die Rückert schlechterdings nicht vertragen konnte.<lb/>
Er hatte dafür gar kein Organ und wenn er sich solcher Art von Aeußerungen-<lb/>
durchaus nicht zu entziehen vermochte, wirkten sie auf ihn wie Gift auf den<lb/>
gesunden Körper. Daß sich ein Cornelius, Schelling, I. Grimm nicht an ihrem<lb/>
Platze befanden, sah er wohl.  Seine althergebrachte Zuneigung für diese</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] that. Er aber ließ sich durch alles daraus entspringende Bitten und Drängen, gleichviel ob es mehr schmeichelnd oder mehr in der Form freundschaftlicher Superiorität der Lebenserfahrung an ihn herantrat, nicht aus seinem Geleise bringen. Er ging ebeu nur aus, wenn es ihm paßte, und gewöhnlich paßte es ihm in den Abendstunden nicht, wo sich doch herkömmlich der gesellige Ver¬ kehr erst zu entfalten Pflegt. Gleiche Hindernisse hielten ihn von manchen andern Orten fern, an denen sich das Interesse der Geselligkeit wie der Geistesbildung concentrirt. Der Dichter war grade damals aufs lebhafteste von seinen dramatischen Entwürfen bewegt. Einiges davon war schon in Erlangen ausgeführt worden, aber er hielt das nur für vorläufige Experimente. Er wollte es wirklich dahin bringen, nicht blos Dramen zum Lesen, sondern auch zur Aufführung zu schaffen. Daß dazu eine genauere Vertrautheit mit der Bühne selbst gehörte, als er sie besaß, wußte er, und er hatte auch darum seine Übersiedelung nach Berlin freudig als den Beginn einer neuen Epoche seiner Poesie begrüßt. Nun siellte sich aber heraus, daß jeder Besuch des Theaters beinahe auch ernstliches Unwohlsein für ihn bedeutete, und so erklärte es sich leicht, daß sie immer seltener gewagt wurden. Ebenso natürlich war es. daß die hochgespannter Erwartungen, die er an die berliner Bühne heranbrachte, von der Wirklichkeit nicht befriedigt werden konnten. Sie war damals, wie schon lange vorher und bis auf den heutigen Tag so, daß sie kaum mittelmäßig heißen durste. Trotzdem würde sie ihn immer noch gefördert haben, wenn er sie nur hätte benutzen können. Ebenso wenig wollten andere Hoffnungen sich erfüllen. Aus der gläubigen Unbefangenheit eines still abgeschlossenen süddeutschen Landstädtchens oder viel« mehr des kleinen Kreises hochgebildeter und rcingestimmter Menschen, die seine ganze Welt waren, sah er sich in eine mehr als billig ernüchterte großstädtische Atmosphäre versetzt. Wenn er auch mit dem specifisch-negativen Element des Berlinerthums in keine directe Berührung trat — sein natürlicher Jnstinct be¬ wahrte ihn bestens davor — so konnte sich doch niemand den erkältenden und herabstimmenden Einflüssen entziehen, von denen die ganze Luft an der Stelle des überschwänglichen Feuers der Begeisterung ein Jahr vorher inficirt war. Er trat in einen Kreis alter, zum Theil lange nicht gesehener Freunde, die ungefähr alle in der gleichen Lage wie er waren. Aber sie alle hatten schon sich wenigstens so weit in Berlin eingelebt, daß sie die allgemeine Verstimmung theilten und sich im Grunde ganz wohl dabei befanden. nergeln und Witzeln waren aber diejenigen Formen der Unterhaltung, die Rückert schlechterdings nicht vertragen konnte. Er hatte dafür gar kein Organ und wenn er sich solcher Art von Aeußerungen- durchaus nicht zu entziehen vermochte, wirkten sie auf ihn wie Gift auf den gesunden Körper. Daß sich ein Cornelius, Schelling, I. Grimm nicht an ihrem Platze befanden, sah er wohl. Seine althergebrachte Zuneigung für diese

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/24>, abgerufen am 15.05.2024.