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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Männer, mit denen er in langer Freundschaft verbunden gewesen, ließ ihn
natürlich die Hauptursache davon nicht in ihnen selbst, sondern in Berlin sehen.
Er begann zu ahnen, daß es ihm ähnlich ergehen werde, und dies stellte
ihm die Dinge um ihn herum in ein ganz anderes Licht als bisher. Noch
immer hielt er an seinem Glauben fest, daß Friedrich Wilhelm der Vierte be-
rufen sei eine neue Zeit für Deutschland heraufzuführen. Die Detailfragen
der Politik interessirten ihn grade damals weniger als später, da er nur das
große Ganze im Auge hatte. Auch muß man bedenken, daß die Oeffentlichkeit
damals noch so sehr schwach durch die Organe vertreten wurde, die jetzt auch
einem zurückgezogenen Manne die Theilnahme an den Bewegungen des Tages
ermöglichen. Es gab zwar politische berliner Zeitungen, aber wie die Hände
und Spenersche und die Vossische damals beschaffen waren. ist jetzt glücklicher¬
weise beinahe schon vergessen oder zu einem Mythus worden. Die auswärtigen
Blätter, von denen er in Ermangelung eines besseren seit vielen Jahren die
Augsburger Allgemeine regelmäßig zu lesen Pflegte, brachten, wie es sich von
selbst verstand, über die wahre Lage der preußischen Zustände nur getrübte
oder zum Theil auch schon absichtlich entstellte Berichte, die für einen nach
gründlicher Einsicht Strebenden, noch dazu wenn er Gelegenheit hatte wenigstens
hier und da einmal einen tieferen Blick zu thun, unbrauchbar oder widerwärtig
sein mußten. Daß das eichhornsche System, wie man es herkömmlich zu be¬
zeichnen pflegt, nicht der richtige Weg zum Ziele sei, erkannte er vollständig
und sprach es mit seinem grenzenlosen Freimuth unumwunden und überall,
namentlich auch seinem alten Freunde Schelling gegenüber aus. Daß es ihm
übel gedeutet werden konnte, siel bei ihm nicht in die Rechnung, aber er täuschte
sich, wenn er glaubte, seine Stimme würde irgendeinen Druck auf die Ent¬
schlüsse der maßgebenden Persönlichkeiten üben. Niemals hätte er sich zu jenem
feigen und tückischen Frondiren hergegeben, in dem damals so viele der wenigstens
nach ihrer Meinung bedeutendsten geistigen Größen Berlins cxcellirten. Er
war unversehens und ohne seinen Willen in die Opposition hineingerathen
und trat mit dieser gradezu und frei hervor. Er war sich bewußt in bester
Art positiv gesinnt zu sein, aber freilich anders, als es die verstanden, die es
allein zu sein behaupteten und wurde so nach rechts wie nach links hin gleich
vereinsamt. Den einen galt er als Revolutionär, den andern als Reactionär.
Es ist schwer zu sagen, ob ihn mehr das salbungsvolle Kopfschütteln der einen,
von denen sich so viele seine Freunde nannten. oder die Flegeleien der andern
hätten verdrießen können, wenn er überhaupt Notiz davon genommen haben
würde. Aber sein glücklicher Genius führte ihn, ohne daß er hier oder dort
einen Anstoß empfunden hätte, dieselbe Bahn ernster, stiller Geistesarbeit auch
in Berlin weiter, die er wohl selbst dann nicht auf die Dauer verlassen haben
dürfte, wenn er in Berlin alle die Erwartungen hätte realisiren können, in


Männer, mit denen er in langer Freundschaft verbunden gewesen, ließ ihn
natürlich die Hauptursache davon nicht in ihnen selbst, sondern in Berlin sehen.
Er begann zu ahnen, daß es ihm ähnlich ergehen werde, und dies stellte
ihm die Dinge um ihn herum in ein ganz anderes Licht als bisher. Noch
immer hielt er an seinem Glauben fest, daß Friedrich Wilhelm der Vierte be-
rufen sei eine neue Zeit für Deutschland heraufzuführen. Die Detailfragen
der Politik interessirten ihn grade damals weniger als später, da er nur das
große Ganze im Auge hatte. Auch muß man bedenken, daß die Oeffentlichkeit
damals noch so sehr schwach durch die Organe vertreten wurde, die jetzt auch
einem zurückgezogenen Manne die Theilnahme an den Bewegungen des Tages
ermöglichen. Es gab zwar politische berliner Zeitungen, aber wie die Hände
und Spenersche und die Vossische damals beschaffen waren. ist jetzt glücklicher¬
weise beinahe schon vergessen oder zu einem Mythus worden. Die auswärtigen
Blätter, von denen er in Ermangelung eines besseren seit vielen Jahren die
Augsburger Allgemeine regelmäßig zu lesen Pflegte, brachten, wie es sich von
selbst verstand, über die wahre Lage der preußischen Zustände nur getrübte
oder zum Theil auch schon absichtlich entstellte Berichte, die für einen nach
gründlicher Einsicht Strebenden, noch dazu wenn er Gelegenheit hatte wenigstens
hier und da einmal einen tieferen Blick zu thun, unbrauchbar oder widerwärtig
sein mußten. Daß das eichhornsche System, wie man es herkömmlich zu be¬
zeichnen pflegt, nicht der richtige Weg zum Ziele sei, erkannte er vollständig
und sprach es mit seinem grenzenlosen Freimuth unumwunden und überall,
namentlich auch seinem alten Freunde Schelling gegenüber aus. Daß es ihm
übel gedeutet werden konnte, siel bei ihm nicht in die Rechnung, aber er täuschte
sich, wenn er glaubte, seine Stimme würde irgendeinen Druck auf die Ent¬
schlüsse der maßgebenden Persönlichkeiten üben. Niemals hätte er sich zu jenem
feigen und tückischen Frondiren hergegeben, in dem damals so viele der wenigstens
nach ihrer Meinung bedeutendsten geistigen Größen Berlins cxcellirten. Er
war unversehens und ohne seinen Willen in die Opposition hineingerathen
und trat mit dieser gradezu und frei hervor. Er war sich bewußt in bester
Art positiv gesinnt zu sein, aber freilich anders, als es die verstanden, die es
allein zu sein behaupteten und wurde so nach rechts wie nach links hin gleich
vereinsamt. Den einen galt er als Revolutionär, den andern als Reactionär.
Es ist schwer zu sagen, ob ihn mehr das salbungsvolle Kopfschütteln der einen,
von denen sich so viele seine Freunde nannten. oder die Flegeleien der andern
hätten verdrießen können, wenn er überhaupt Notiz davon genommen haben
würde. Aber sein glücklicher Genius führte ihn, ohne daß er hier oder dort
einen Anstoß empfunden hätte, dieselbe Bahn ernster, stiller Geistesarbeit auch
in Berlin weiter, die er wohl selbst dann nicht auf die Dauer verlassen haben
dürfte, wenn er in Berlin alle die Erwartungen hätte realisiren können, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/25>, abgerufen am 15.05.2024.