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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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pfinden wie die Männer, deren Leben er schildert, gedacht und empfunden hatten.
Lamartines Reflexionen dagegen entspringen meist unmittelbar der Empfindung;
und wie er selbst fein und zart empfindet, so sucht er auch grade die Empfin¬
dungen und Gefühle seiner Helden in sich zu reproduciren und zur An¬
schauung zu bringen, oft mit Glück; oft aber auch überträgt er auf jene seine
eignen Empfindungen. Dabei hat er in den Schilderungen der Revolutionszeit
den Vortheil, daß er von der Auschauungs- und Denkweise jener Periode noch
nahe genug berührt wird, um eiues mühsamen Studiums, dem seine Natur
widerstrebt, überhoben zu sein. Dazu kommt, daß die Revolution nicht nur
sein historisches Interesse in Anspruch nimmt, sondern in gewisser Beziehung
auch seine-Sympathie erweckt.

Obgleich er ursprünglich der legitimistischen Tradition ergeben war, gewann
doch in seinem hoher und edler Anregungen bedürftigen und fähigen Gemüthe
die Liebe zur Freiheit bald über jedes andere Gefühl die Oberhand. Das
nüchterne Regime der Julimonarchie genügte seinem idealen Freiheitsdrang? nicht.
So ging er an die Geschichte der Revolutionszeit mit einer stark hervortretenden
Vorliebe für die Republik heran, freilich für eine sehr ideale, auf Tugend und
Selbstverleugnung der Bürger begründete Republick. Sein Ideal fand er in
dem Staate Robespierres allerdings nicht verwirklicht; ebenso wenig aber wurde
sein Glaube an die Lebensfähigkeit desselben durch die Betrachtung jener Zeit
erschüttert; wie denn ja auch die Wechselfälle, die er selbst mit erlebt hat, diesen
Glauben nicht zu zerstören vermocht haben.

So wandte er sein Studium der Geschichte zu, mit einem doppelten In¬
teresse, mit dem Interesse des Psychologen und dem des Staatsmannes: und
zwar ist ersteres ohne Zweifel bei ihm überwiegend. Die sittliche Würdigung
der handelnden Personen nimmt seine Thätigkeit mehr als alles andere in An¬
spruch. Die schon oben erwähnte Vorliebe für die.biographische Schilderung
tritt auf jeder Seite hervor. Auch von den unbedeutendsten Persönlichkeiten
sucht er ein lebendiges Bild zu entwerfen. Jedes psychologische Räthsel sucht
er zu lösen; ja man ist in Versuchung, anzunehmen, daß er Räthsel hinstellt,
um sie zu lösen. Oft freilich ist die Lösung ebenso dunkel wie das Seelen¬
geheimniß selbst, das er aufklären will, da er bis zum Uebermaß die Gewohn¬
heit hat, sein Schlußurthcil in einem bildlichen Ausdruck zusammenzufassen, der
mehr einer Erklärung bedarf als eine Erklärung giebt, z. B. wenn es von
Se. Just heißt, daß sein Porträt weniger das eines Mannes als einer Idee
ist: "Es gleicht einem Traum der Republik Drakos." Neben dergleichen Ueber-
schwenglichkeiten finden sich aber die treffendsten und wahrsten Urtheile. Immer
aber, und dies hat nicht am wenigsten zu dem Erfolge des Buches beigetragen
-- erfreut die warme menschliche Theilnahme, die er seinen Helden zu Theil
werden läßt, die auch in dem politischen Gegner Hingebung, ritterlichen Sinn


pfinden wie die Männer, deren Leben er schildert, gedacht und empfunden hatten.
Lamartines Reflexionen dagegen entspringen meist unmittelbar der Empfindung;
und wie er selbst fein und zart empfindet, so sucht er auch grade die Empfin¬
dungen und Gefühle seiner Helden in sich zu reproduciren und zur An¬
schauung zu bringen, oft mit Glück; oft aber auch überträgt er auf jene seine
eignen Empfindungen. Dabei hat er in den Schilderungen der Revolutionszeit
den Vortheil, daß er von der Auschauungs- und Denkweise jener Periode noch
nahe genug berührt wird, um eiues mühsamen Studiums, dem seine Natur
widerstrebt, überhoben zu sein. Dazu kommt, daß die Revolution nicht nur
sein historisches Interesse in Anspruch nimmt, sondern in gewisser Beziehung
auch seine-Sympathie erweckt.

Obgleich er ursprünglich der legitimistischen Tradition ergeben war, gewann
doch in seinem hoher und edler Anregungen bedürftigen und fähigen Gemüthe
die Liebe zur Freiheit bald über jedes andere Gefühl die Oberhand. Das
nüchterne Regime der Julimonarchie genügte seinem idealen Freiheitsdrang? nicht.
So ging er an die Geschichte der Revolutionszeit mit einer stark hervortretenden
Vorliebe für die Republik heran, freilich für eine sehr ideale, auf Tugend und
Selbstverleugnung der Bürger begründete Republick. Sein Ideal fand er in
dem Staate Robespierres allerdings nicht verwirklicht; ebenso wenig aber wurde
sein Glaube an die Lebensfähigkeit desselben durch die Betrachtung jener Zeit
erschüttert; wie denn ja auch die Wechselfälle, die er selbst mit erlebt hat, diesen
Glauben nicht zu zerstören vermocht haben.

So wandte er sein Studium der Geschichte zu, mit einem doppelten In¬
teresse, mit dem Interesse des Psychologen und dem des Staatsmannes: und
zwar ist ersteres ohne Zweifel bei ihm überwiegend. Die sittliche Würdigung
der handelnden Personen nimmt seine Thätigkeit mehr als alles andere in An¬
spruch. Die schon oben erwähnte Vorliebe für die.biographische Schilderung
tritt auf jeder Seite hervor. Auch von den unbedeutendsten Persönlichkeiten
sucht er ein lebendiges Bild zu entwerfen. Jedes psychologische Räthsel sucht
er zu lösen; ja man ist in Versuchung, anzunehmen, daß er Räthsel hinstellt,
um sie zu lösen. Oft freilich ist die Lösung ebenso dunkel wie das Seelen¬
geheimniß selbst, das er aufklären will, da er bis zum Uebermaß die Gewohn¬
heit hat, sein Schlußurthcil in einem bildlichen Ausdruck zusammenzufassen, der
mehr einer Erklärung bedarf als eine Erklärung giebt, z. B. wenn es von
Se. Just heißt, daß sein Porträt weniger das eines Mannes als einer Idee
ist: „Es gleicht einem Traum der Republik Drakos." Neben dergleichen Ueber-
schwenglichkeiten finden sich aber die treffendsten und wahrsten Urtheile. Immer
aber, und dies hat nicht am wenigsten zu dem Erfolge des Buches beigetragen
— erfreut die warme menschliche Theilnahme, die er seinen Helden zu Theil
werden läßt, die auch in dem politischen Gegner Hingebung, ritterlichen Sinn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/32>, abgerufen am 15.05.2024.