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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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und Aufopferung ehrt und immer Neigung hat, für die viela, eausg, Partei
zu nehmen, ja die auch in dem Verbrechen noch die menschlichen Züge aufzu¬
finden sucht, und wo sie die Handlungsweise verdammen muß, doch wenigstens
die Motive zu retten sucht, und wo sie edle Motive nicht nachweisen kann,
wenigstens ihr Vorhandensein als möglich hinstellt.

In welcher Richtung Lamartines staatsmännisches Interesse sich bewegt,
haben wir schon oben angegeben. Hier sei nur bemerkt, daß sein Idealismus,
so ehrenwerth und rein er ist, ihn oft hindert, die politische Bedeutung und
Begabung der einzelnen Personen ruhig zu beurtheilen. Er ist stets der Gefahr
ausgesetzt, einem energisch hervortretenden Princip gegenüber die Freiheit und
Unbefangenheit seines Urtheils aufzugeben. So sehr er den Terrorismus ver¬
abscheut, so läßt er sich doch von dem abstracten, politischen Raisonnement
Robespierres und ganz besonders von dem fanatischen Dogmatismus Se. Justs
unponiren. Er nimmt wohl an der Unmöglichkeit ihrer Phantasien Anstoß,
mißt aber denselben einen bei weitem höhern idealen Werth bei, als sie
verdienen. Es bleibt ihm verborgen, daß Robespierre nicht blos von den ge¬
gebenen historischen, sondern auch von den natürlichen Verhältnissen abstrahirt;
die schöpferischen Gedanken der Revolution liegen ja weit vor den Terroristen,
es handelt sich bei den Kämpfen der Factionen nicht mehr um Principien, sondern
um Machtfragen. Auch Lamartine drängt sich diese Erkenntniß nicht selten auf;
in solchen Momenten überrascht er uns oft durch schlagende Urtheile, deren
Wahrheit und Tiefe jeden Widerspruch ausschließt: die Situation verändert sich
"der, und aus der veränderten Situation gewinnt er sofort eine, neue Anschauung,
mit den früheren besonnenen Urtheilen nicht immer leicht zu vereinigen ist.

Wir haben die Charakteristik des Geschichtschreibers Lamartine an die
^schichte der Girondisten angeknüpft, weil in dieser die Lichtseiten am glän-
zendsten hervortreten, und am schärfsten gegen die sehr dunkeln Schattenseiten
abstechen. Das Verhältniß zwischen Licht und Schatten ist in dem neuesten
^"^e dasselbe geblieben, aber die Vorzüge wie die Fehler sind abgeschwächt,
der Glanz der Farbe ist ein wenig verblaßt. Ein länger Zeitabschnitt, reich
an Hoffnungen, reicher an Enttäuschungen, liegt zwischen dem Erscheinen der
Girondisten und des neuesten Wertes. Die Erfahrungen einer solchen Zeit sind
Wohl geeignet, den Flug der Phantasie zu hemmen, den Schwung der Empfin-
dung zu lähmen und die Pointen der Rhetorik abzustumpfen. Dennoch sind
ihm die Empfindungen selbst geblieben, seine edlen Hoffnungen haben ihn nicht
verlassen, seine F.ciheitsideale sind dieselben wie früher, ebenso sittlich rein,
aber auch eben so politisch unklar.

Der Glaube an die Freiheit und ihre civilisatorische. völkervercinigende,
friedenspendende Kraft. Begeisterung für die Künste des Friedens. Abneigung
gegen die rohe Gewalt, gegen Krieg und Eroberer, gegen die "Cäsaren", das


und Aufopferung ehrt und immer Neigung hat, für die viela, eausg, Partei
zu nehmen, ja die auch in dem Verbrechen noch die menschlichen Züge aufzu¬
finden sucht, und wo sie die Handlungsweise verdammen muß, doch wenigstens
die Motive zu retten sucht, und wo sie edle Motive nicht nachweisen kann,
wenigstens ihr Vorhandensein als möglich hinstellt.

In welcher Richtung Lamartines staatsmännisches Interesse sich bewegt,
haben wir schon oben angegeben. Hier sei nur bemerkt, daß sein Idealismus,
so ehrenwerth und rein er ist, ihn oft hindert, die politische Bedeutung und
Begabung der einzelnen Personen ruhig zu beurtheilen. Er ist stets der Gefahr
ausgesetzt, einem energisch hervortretenden Princip gegenüber die Freiheit und
Unbefangenheit seines Urtheils aufzugeben. So sehr er den Terrorismus ver¬
abscheut, so läßt er sich doch von dem abstracten, politischen Raisonnement
Robespierres und ganz besonders von dem fanatischen Dogmatismus Se. Justs
unponiren. Er nimmt wohl an der Unmöglichkeit ihrer Phantasien Anstoß,
mißt aber denselben einen bei weitem höhern idealen Werth bei, als sie
verdienen. Es bleibt ihm verborgen, daß Robespierre nicht blos von den ge¬
gebenen historischen, sondern auch von den natürlichen Verhältnissen abstrahirt;
die schöpferischen Gedanken der Revolution liegen ja weit vor den Terroristen,
es handelt sich bei den Kämpfen der Factionen nicht mehr um Principien, sondern
um Machtfragen. Auch Lamartine drängt sich diese Erkenntniß nicht selten auf;
in solchen Momenten überrascht er uns oft durch schlagende Urtheile, deren
Wahrheit und Tiefe jeden Widerspruch ausschließt: die Situation verändert sich
"der, und aus der veränderten Situation gewinnt er sofort eine, neue Anschauung,
mit den früheren besonnenen Urtheilen nicht immer leicht zu vereinigen ist.

Wir haben die Charakteristik des Geschichtschreibers Lamartine an die
^schichte der Girondisten angeknüpft, weil in dieser die Lichtseiten am glän-
zendsten hervortreten, und am schärfsten gegen die sehr dunkeln Schattenseiten
abstechen. Das Verhältniß zwischen Licht und Schatten ist in dem neuesten
^"^e dasselbe geblieben, aber die Vorzüge wie die Fehler sind abgeschwächt,
der Glanz der Farbe ist ein wenig verblaßt. Ein länger Zeitabschnitt, reich
an Hoffnungen, reicher an Enttäuschungen, liegt zwischen dem Erscheinen der
Girondisten und des neuesten Wertes. Die Erfahrungen einer solchen Zeit sind
Wohl geeignet, den Flug der Phantasie zu hemmen, den Schwung der Empfin-
dung zu lähmen und die Pointen der Rhetorik abzustumpfen. Dennoch sind
ihm die Empfindungen selbst geblieben, seine edlen Hoffnungen haben ihn nicht
verlassen, seine F.ciheitsideale sind dieselben wie früher, ebenso sittlich rein,
aber auch eben so politisch unklar.

Der Glaube an die Freiheit und ihre civilisatorische. völkervercinigende,
friedenspendende Kraft. Begeisterung für die Künste des Friedens. Abneigung
gegen die rohe Gewalt, gegen Krieg und Eroberer, gegen die „Cäsaren", das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/33>, abgerufen am 15.05.2024.