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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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sind die Fäden, an denen die einzelnen Bilder lose angereiht sind. Die Bio¬
graphie Solons, die sich auf Plutarch stützt, giebt trotz mehrfacher Irrthümer
und schiefer und fehlerhafter Ansichten ein im Ganzen gelungenes Bild von
der staatsmännischen Bedeutung des großen Gesetzgebers, die Schilderung
des Menschen ist wahr und giebt Gelegenheit zu feinen psychologischen Be¬
merkungen. Dagegen versteht es sich eigentlich von selbst, daß er die geschicht¬
liche Bedeutung des Pisistratus durchaus nicht zu würdigen vermag, da dieser
ja in die Reihe der Cäsaren gehört; und der officielle Cäsarcncultus des napo-
leonischen Frankreichs hat es zu Wege gebracht, daß die Persönlichkeiten, die
unter diese Kategorie fallen, von dem liberalen Frankreich unterschiedlos geächtet
werden. Es ist dies eine Art von, Opposition, und zwar eine nicht unwirksame.
Eine gewisse Kenntniß der alten Geschichte ist in Frankreich sehr verbreitet.
Die Melden des Alterthums sind in der Vorstellung der Franzosen zu stereotypen
Figuren, gleichsam zu Bühnencharaktercn geworden. Die Nichtigkeit der einmal
fixirten Vorstellung zu bezweifeln fällt niemandem ein. Wenn sich nun das
imperialistische Frankreich bemüht, den Cäsar zum Helden und Organisator der
Demokratie zu machen, so sucht es in einem wichtigen Punkte die hergebrachte
Anschauungsweise umzugestalten und eine neue Gestalt in die Vorstellung Frank¬
reichs 'einzuführen. Natürlich können dann Brutus und Cato, die schroffen
Aristokraten, von der Demokratie nicht mehr als Freiheitshelden gefeiert werden,
wie es in den Reden der Revolutionszeit zum Uebermaß geschehen ist. Aber
mit gutem Grunde hält das liberale Frankreich, das durchaus auf eine versteckte
Opposition angewiesen ist, an dem traditionellen Typus fest. Daß die officielle
Auffassung Cäsars, so schief sie auch in mancher Beziehung ist, doch der Wahr¬
heit näher kommt, als die oppositionelle, ist richtig; indessen die Uebertreibun¬
gen jener und die Geschmacklosigkeit des Cäsarencultus leistet dieser den größten
Vorschub, und eine Tirade gegen Cäsar kann daher stets auf Beifall und Zu¬
stimmung rechnen, da jedermann, nicht blos der Gebildete weiß, wer eigentlich
mit Cäsar gemeint ist.

Daß man den Pisistratus sehr unrichtig beurtheilt, wenn man in ihm
nur den Unterdrücker der Freiheit sieht, ist unzweifelhaft. Pisistratus war
eine echte Hcrrschernatur, und er hat mehr als König eines freien Gemein¬
wesens, wie als Tyrann im modernen Sinne des Wortes geherrscht. Er hat
zu der Entwicklung der athenischen Seemacht den ersten Anstoß gegeben; er hat
die Gesetze Solons aufrecht erhalten, die ohne seine Herrschaft unter den Kämpfen
der oligarchischen Coterien unfehlbar zu Grunde gegangen wären; er hat recht
im Gegensatz gegen den Cäsarismus in seiner stereotypen Bedeutung jene
ideale, humane Entwicklung des athenischen Volksgeistes angebahnt, die in
raschem Anlaufe das Höchste erreichte, was die Menschheit nach einer Seite der
Entwicklung bis jetzt überhaupt erreicht hat.


sind die Fäden, an denen die einzelnen Bilder lose angereiht sind. Die Bio¬
graphie Solons, die sich auf Plutarch stützt, giebt trotz mehrfacher Irrthümer
und schiefer und fehlerhafter Ansichten ein im Ganzen gelungenes Bild von
der staatsmännischen Bedeutung des großen Gesetzgebers, die Schilderung
des Menschen ist wahr und giebt Gelegenheit zu feinen psychologischen Be¬
merkungen. Dagegen versteht es sich eigentlich von selbst, daß er die geschicht¬
liche Bedeutung des Pisistratus durchaus nicht zu würdigen vermag, da dieser
ja in die Reihe der Cäsaren gehört; und der officielle Cäsarcncultus des napo-
leonischen Frankreichs hat es zu Wege gebracht, daß die Persönlichkeiten, die
unter diese Kategorie fallen, von dem liberalen Frankreich unterschiedlos geächtet
werden. Es ist dies eine Art von, Opposition, und zwar eine nicht unwirksame.
Eine gewisse Kenntniß der alten Geschichte ist in Frankreich sehr verbreitet.
Die Melden des Alterthums sind in der Vorstellung der Franzosen zu stereotypen
Figuren, gleichsam zu Bühnencharaktercn geworden. Die Nichtigkeit der einmal
fixirten Vorstellung zu bezweifeln fällt niemandem ein. Wenn sich nun das
imperialistische Frankreich bemüht, den Cäsar zum Helden und Organisator der
Demokratie zu machen, so sucht es in einem wichtigen Punkte die hergebrachte
Anschauungsweise umzugestalten und eine neue Gestalt in die Vorstellung Frank¬
reichs 'einzuführen. Natürlich können dann Brutus und Cato, die schroffen
Aristokraten, von der Demokratie nicht mehr als Freiheitshelden gefeiert werden,
wie es in den Reden der Revolutionszeit zum Uebermaß geschehen ist. Aber
mit gutem Grunde hält das liberale Frankreich, das durchaus auf eine versteckte
Opposition angewiesen ist, an dem traditionellen Typus fest. Daß die officielle
Auffassung Cäsars, so schief sie auch in mancher Beziehung ist, doch der Wahr¬
heit näher kommt, als die oppositionelle, ist richtig; indessen die Uebertreibun¬
gen jener und die Geschmacklosigkeit des Cäsarencultus leistet dieser den größten
Vorschub, und eine Tirade gegen Cäsar kann daher stets auf Beifall und Zu¬
stimmung rechnen, da jedermann, nicht blos der Gebildete weiß, wer eigentlich
mit Cäsar gemeint ist.

Daß man den Pisistratus sehr unrichtig beurtheilt, wenn man in ihm
nur den Unterdrücker der Freiheit sieht, ist unzweifelhaft. Pisistratus war
eine echte Hcrrschernatur, und er hat mehr als König eines freien Gemein¬
wesens, wie als Tyrann im modernen Sinne des Wortes geherrscht. Er hat
zu der Entwicklung der athenischen Seemacht den ersten Anstoß gegeben; er hat
die Gesetze Solons aufrecht erhalten, die ohne seine Herrschaft unter den Kämpfen
der oligarchischen Coterien unfehlbar zu Grunde gegangen wären; er hat recht
im Gegensatz gegen den Cäsarismus in seiner stereotypen Bedeutung jene
ideale, humane Entwicklung des athenischen Volksgeistes angebahnt, die in
raschem Anlaufe das Höchste erreichte, was die Menschheit nach einer Seite der
Entwicklung bis jetzt überhaupt erreicht hat.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/34>, abgerufen am 15.05.2024.