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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Die Blüthezeit des athenischen Staates, die, von Pisistratus mit vorberei¬
tet, mit dem Sturze seiner Familie beginnt, drängt sich in den kurzen Zeitraum
von ungefähr hundert Jahren zusammen. Am Ende dieser beispiellos schöpfe¬
rischen Periode, aber noch im Mittelpunkt ihrer höchsten Schöpferkraft, steht
Perikles, der größte Staatsmann des Alterthums. Daß Lamartine für ihn
die höchste Begeisterung empfindet, ist sehr erklärlich; denn in der That findet
sich Lamartines Ideal in diesem einzig dastehenden Manne in gewissem Sinne
verwirklicht. So macht denn auch die Wärme, mit der er die Idealität des¬
selben zur Anschauung bringt, sein Essay über Perikles zu einer sehr anzie¬
henden Lectüre, bei der man allerdings an einigen argen geschichtlichen Ver¬
stößen, z. B. der Verwechselung des Klisthenes von Sikyon und des athenischen
Gesetzgebers, keinen Anstoß nehmen darf. Auch die Beurtheilung von Perikles
staatsmännischer Bedeutung ist keineswegs erschöpfend zu nennen. So use es
ein schiefer Gedanke, wenn er die Rivalität zwischen Cimon und Perikles auf
den Gegensatz der Militärgewalt und der bürgerlichen Gewalt zurückführt.
Das höchste Ziel der peritleischen auswärtigen Politik, die Herrschaft Athens
über Griechenland, war nur aus kriegerischem Wege zu erreichen. Und er scheute
den Krieg durchaus nicht; aber er verwarf jede Unternehmung, die nicht un¬
mittelbar oder mittelbar einen Schritt näher seinem Ziele führte. Perikles sah
mit vollkommener Klarheit ein. daß der hellenische Dualismus nur durch einen
Entschcidungskampf zwischen Athen und Sparta überwunden werden könne.
Mit beispielloser Ausdauer und Geduld suchte er Athen in den Stand zu
setzen, diesen Kampf im geeigneten Augenblicke mit überlegener Kraft aufzu¬
nehmen. Er wich aus einem Punkte zurück, wo er einsah, daß Beharren den
Kampf vorzeitig zum Ausbruch bringen würde; er ging an einem andern
Punkte entschlossen vor, wo er Aussicht hatte, ohne einen allgemeinen Krieg
M entzünden, durch rasches Handeln Athens Operationsbasis für den Entscheid
dungskampf zu stärken. Im Innern schuf er sich durch rücksichtslose Entwicke¬
lung des demokratischen Princips eine fast schrankenlose Gewalt, die vom
Königthum alles hatte, außer dem Titel. "Es war dem Namen nach eine
Demokratie, in der That aber eine Herrschaft des ersten Mannes." Und als
der entscheidende Augenblick gekommen war, nahm er den Kampf aus ohne
Wanken und Schwanken, ohne Illusionen über die Schwäche der Athener zu
Lande, aber dennoch ohne Zweifel an dem endlichen Erfolge, da er in der
Überlegenheit der Athener in finanzieller und maritimer Beziehung die sicherste
Bürgschaft des Sieges sah.

Aber freilich -- und dies ist die Schattenseite der pcrikleischen Politik --
das Gelingen seines Planes beruhte fast ausschließlich aus seiner Persönlichkeit.
Nur er vermochte die durch ihn von allen politischen Schranken befreite De¬
mokratie zu zügeln, ihre gewaltigen Kräfte zu concentriren und seinen großen


Gr-nzbotm II. 1866. 4

Die Blüthezeit des athenischen Staates, die, von Pisistratus mit vorberei¬
tet, mit dem Sturze seiner Familie beginnt, drängt sich in den kurzen Zeitraum
von ungefähr hundert Jahren zusammen. Am Ende dieser beispiellos schöpfe¬
rischen Periode, aber noch im Mittelpunkt ihrer höchsten Schöpferkraft, steht
Perikles, der größte Staatsmann des Alterthums. Daß Lamartine für ihn
die höchste Begeisterung empfindet, ist sehr erklärlich; denn in der That findet
sich Lamartines Ideal in diesem einzig dastehenden Manne in gewissem Sinne
verwirklicht. So macht denn auch die Wärme, mit der er die Idealität des¬
selben zur Anschauung bringt, sein Essay über Perikles zu einer sehr anzie¬
henden Lectüre, bei der man allerdings an einigen argen geschichtlichen Ver¬
stößen, z. B. der Verwechselung des Klisthenes von Sikyon und des athenischen
Gesetzgebers, keinen Anstoß nehmen darf. Auch die Beurtheilung von Perikles
staatsmännischer Bedeutung ist keineswegs erschöpfend zu nennen. So use es
ein schiefer Gedanke, wenn er die Rivalität zwischen Cimon und Perikles auf
den Gegensatz der Militärgewalt und der bürgerlichen Gewalt zurückführt.
Das höchste Ziel der peritleischen auswärtigen Politik, die Herrschaft Athens
über Griechenland, war nur aus kriegerischem Wege zu erreichen. Und er scheute
den Krieg durchaus nicht; aber er verwarf jede Unternehmung, die nicht un¬
mittelbar oder mittelbar einen Schritt näher seinem Ziele führte. Perikles sah
mit vollkommener Klarheit ein. daß der hellenische Dualismus nur durch einen
Entschcidungskampf zwischen Athen und Sparta überwunden werden könne.
Mit beispielloser Ausdauer und Geduld suchte er Athen in den Stand zu
setzen, diesen Kampf im geeigneten Augenblicke mit überlegener Kraft aufzu¬
nehmen. Er wich aus einem Punkte zurück, wo er einsah, daß Beharren den
Kampf vorzeitig zum Ausbruch bringen würde; er ging an einem andern
Punkte entschlossen vor, wo er Aussicht hatte, ohne einen allgemeinen Krieg
M entzünden, durch rasches Handeln Athens Operationsbasis für den Entscheid
dungskampf zu stärken. Im Innern schuf er sich durch rücksichtslose Entwicke¬
lung des demokratischen Princips eine fast schrankenlose Gewalt, die vom
Königthum alles hatte, außer dem Titel. „Es war dem Namen nach eine
Demokratie, in der That aber eine Herrschaft des ersten Mannes." Und als
der entscheidende Augenblick gekommen war, nahm er den Kampf aus ohne
Wanken und Schwanken, ohne Illusionen über die Schwäche der Athener zu
Lande, aber dennoch ohne Zweifel an dem endlichen Erfolge, da er in der
Überlegenheit der Athener in finanzieller und maritimer Beziehung die sicherste
Bürgschaft des Sieges sah.

Aber freilich — und dies ist die Schattenseite der pcrikleischen Politik —
das Gelingen seines Planes beruhte fast ausschließlich aus seiner Persönlichkeit.
Nur er vermochte die durch ihn von allen politischen Schranken befreite De¬
mokratie zu zügeln, ihre gewaltigen Kräfte zu concentriren und seinen großen


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[0035] Die Blüthezeit des athenischen Staates, die, von Pisistratus mit vorberei¬ tet, mit dem Sturze seiner Familie beginnt, drängt sich in den kurzen Zeitraum von ungefähr hundert Jahren zusammen. Am Ende dieser beispiellos schöpfe¬ rischen Periode, aber noch im Mittelpunkt ihrer höchsten Schöpferkraft, steht Perikles, der größte Staatsmann des Alterthums. Daß Lamartine für ihn die höchste Begeisterung empfindet, ist sehr erklärlich; denn in der That findet sich Lamartines Ideal in diesem einzig dastehenden Manne in gewissem Sinne verwirklicht. So macht denn auch die Wärme, mit der er die Idealität des¬ selben zur Anschauung bringt, sein Essay über Perikles zu einer sehr anzie¬ henden Lectüre, bei der man allerdings an einigen argen geschichtlichen Ver¬ stößen, z. B. der Verwechselung des Klisthenes von Sikyon und des athenischen Gesetzgebers, keinen Anstoß nehmen darf. Auch die Beurtheilung von Perikles staatsmännischer Bedeutung ist keineswegs erschöpfend zu nennen. So use es ein schiefer Gedanke, wenn er die Rivalität zwischen Cimon und Perikles auf den Gegensatz der Militärgewalt und der bürgerlichen Gewalt zurückführt. Das höchste Ziel der peritleischen auswärtigen Politik, die Herrschaft Athens über Griechenland, war nur aus kriegerischem Wege zu erreichen. Und er scheute den Krieg durchaus nicht; aber er verwarf jede Unternehmung, die nicht un¬ mittelbar oder mittelbar einen Schritt näher seinem Ziele führte. Perikles sah mit vollkommener Klarheit ein. daß der hellenische Dualismus nur durch einen Entschcidungskampf zwischen Athen und Sparta überwunden werden könne. Mit beispielloser Ausdauer und Geduld suchte er Athen in den Stand zu setzen, diesen Kampf im geeigneten Augenblicke mit überlegener Kraft aufzu¬ nehmen. Er wich aus einem Punkte zurück, wo er einsah, daß Beharren den Kampf vorzeitig zum Ausbruch bringen würde; er ging an einem andern Punkte entschlossen vor, wo er Aussicht hatte, ohne einen allgemeinen Krieg M entzünden, durch rasches Handeln Athens Operationsbasis für den Entscheid dungskampf zu stärken. Im Innern schuf er sich durch rücksichtslose Entwicke¬ lung des demokratischen Princips eine fast schrankenlose Gewalt, die vom Königthum alles hatte, außer dem Titel. „Es war dem Namen nach eine Demokratie, in der That aber eine Herrschaft des ersten Mannes." Und als der entscheidende Augenblick gekommen war, nahm er den Kampf aus ohne Wanken und Schwanken, ohne Illusionen über die Schwäche der Athener zu Lande, aber dennoch ohne Zweifel an dem endlichen Erfolge, da er in der Überlegenheit der Athener in finanzieller und maritimer Beziehung die sicherste Bürgschaft des Sieges sah. Aber freilich — und dies ist die Schattenseite der pcrikleischen Politik — das Gelingen seines Planes beruhte fast ausschließlich aus seiner Persönlichkeit. Nur er vermochte die durch ihn von allen politischen Schranken befreite De¬ mokratie zu zügeln, ihre gewaltigen Kräfte zu concentriren und seinen großen Gr-nzbotm II. 1866. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/35>, abgerufen am 15.05.2024.