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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band.

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Mit besonderer Vorliebe bewerte sich seine Unterhaltung im Kreise der
Interessen, die seinen Geist am tiefsten beschäftigten. Denn das Bedürfniß, sich
durch ein möglichst leichtes Gespräch von der Last der Arbeit zu erholen, schien
er niemals zu empfinden, wenn er gleich auch die gewöhnlichste Konversation
nicht als etwas, das unter seiner Würde wäre, zurückwies oder einfache Gäste,
die nichts anders als das Tagtägliche vorzubringen hatten, durch ablehnende
Schweigsamkeit verblüffte. So ließ er sich auch gern eine heitere Geschichte,
eine komische Anekdote, die ein Andrer mit Behagen erzählte, gefallen, ja er
hörte sie ohne Bedenken so oft wieder mit an, als es dem Erzähler beliebte,
sie wieder aufzutischen. -- Darauf aufmerksam gemacht, äußerte er wohl, es
liege nun einmal im Wesen des Epos, sich beständig zu wiederholen, und die
Anekdoten gehörten ja auch einigermaßen in die Sippschaft des Epos. Auch
verschmähte er es nicht, gelegentlich selbst eine solche scherzhafte Kleinigkeit zum
Besten zu geben, meist aus seinem eignen früher so bunt bewegten Leben ent¬
nommen und aus dem unendlich reichen Kreise oft sehr seltsamer Gestalten, denen
" auf seinen Wegen begegnet war. Doch im Allgemeinen kam er selten auf
solche, oder überhaupt auf Erinnerungen aus der eignen Vergangenheit zurück.
Er war zu sehr in die ihn unmittelbar beschäftigenden Probleme der Wissenschaft
U"d Kunst vertieft, er war zu sehr im großartigsten Sinne des Wortes ein
^ann der Gegenwart und der unmittelbaren Wirklichkeit, als daß er sich viel
"Ut dem hätte beschäftigen sollen, was ein sür allemal ganz und rein abge¬
schlossen hinter ihm lag. Nur am Schlüsse seines Lebens, wo seine sonst so
^stlose Thätigkeit hier und da durch ernsthaftere körperliche Beschwerden etwas
gehemmt wurde -- wirklich unterbrochen ist sie erst durch seinen letzten Athem¬
zug worden -- tauchten die Bilder der Vergangenheit häufiger vor ihm auf.
oder vielmehr, er lenkte selbst das Gespräch häusiger als früher zu ihnen hin.
. Für die, die sein inneres Leben ganz erkannten, war diese scheinbar so natürliche
und selbstverständliche Umstimmung seines Interesses eines der bedenklichsten
Symptome, und leider haben sie sich darüber nicht getäuscht. Früher ließ er
A) meist nur dann zu solchen Mittheilungen herbei, wenn eine directe Frage
über irgendein Ereignis; seines Lebens ober eine mit demselben verflochtene
Persönlichkeit angebracht wurde. Er beantwortete sie stets mit rückhaltloser
Offenheit, ließ sich aber nur selten in ausführlicherer Erzählung gehen und
wandte sich bald wieder andern Materien des Gesprächs zu. die ihn offenbar
Mehr interessirten.

Aus dem Bereiche der Kunst war es seine eigne, aus dem der Wissenschaft
die Linguistik, aus dem der praktischen Interessen die Politik, worauf sich die
intensivste Kraft seines Geistes und seines Gemüths concentrirte. Nichts lag ihm
serner als ein triviales Hin- und Herreden über sogenannte ästhetische Themata.
Am allerwiderwärtigsten aber war es ihm, wenn seine eignen poetischen
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Mit besonderer Vorliebe bewerte sich seine Unterhaltung im Kreise der
Interessen, die seinen Geist am tiefsten beschäftigten. Denn das Bedürfniß, sich
durch ein möglichst leichtes Gespräch von der Last der Arbeit zu erholen, schien
er niemals zu empfinden, wenn er gleich auch die gewöhnlichste Konversation
nicht als etwas, das unter seiner Würde wäre, zurückwies oder einfache Gäste,
die nichts anders als das Tagtägliche vorzubringen hatten, durch ablehnende
Schweigsamkeit verblüffte. So ließ er sich auch gern eine heitere Geschichte,
eine komische Anekdote, die ein Andrer mit Behagen erzählte, gefallen, ja er
hörte sie ohne Bedenken so oft wieder mit an, als es dem Erzähler beliebte,
sie wieder aufzutischen. — Darauf aufmerksam gemacht, äußerte er wohl, es
liege nun einmal im Wesen des Epos, sich beständig zu wiederholen, und die
Anekdoten gehörten ja auch einigermaßen in die Sippschaft des Epos. Auch
verschmähte er es nicht, gelegentlich selbst eine solche scherzhafte Kleinigkeit zum
Besten zu geben, meist aus seinem eignen früher so bunt bewegten Leben ent¬
nommen und aus dem unendlich reichen Kreise oft sehr seltsamer Gestalten, denen
« auf seinen Wegen begegnet war. Doch im Allgemeinen kam er selten auf
solche, oder überhaupt auf Erinnerungen aus der eignen Vergangenheit zurück.
Er war zu sehr in die ihn unmittelbar beschäftigenden Probleme der Wissenschaft
U"d Kunst vertieft, er war zu sehr im großartigsten Sinne des Wortes ein
^ann der Gegenwart und der unmittelbaren Wirklichkeit, als daß er sich viel
"Ut dem hätte beschäftigen sollen, was ein sür allemal ganz und rein abge¬
schlossen hinter ihm lag. Nur am Schlüsse seines Lebens, wo seine sonst so
^stlose Thätigkeit hier und da durch ernsthaftere körperliche Beschwerden etwas
gehemmt wurde — wirklich unterbrochen ist sie erst durch seinen letzten Athem¬
zug worden — tauchten die Bilder der Vergangenheit häufiger vor ihm auf.
oder vielmehr, er lenkte selbst das Gespräch häusiger als früher zu ihnen hin.
. Für die, die sein inneres Leben ganz erkannten, war diese scheinbar so natürliche
und selbstverständliche Umstimmung seines Interesses eines der bedenklichsten
Symptome, und leider haben sie sich darüber nicht getäuscht. Früher ließ er
A) meist nur dann zu solchen Mittheilungen herbei, wenn eine directe Frage
über irgendein Ereignis; seines Lebens ober eine mit demselben verflochtene
Persönlichkeit angebracht wurde. Er beantwortete sie stets mit rückhaltloser
Offenheit, ließ sich aber nur selten in ausführlicherer Erzählung gehen und
wandte sich bald wieder andern Materien des Gesprächs zu. die ihn offenbar
Mehr interessirten.

Aus dem Bereiche der Kunst war es seine eigne, aus dem der Wissenschaft
die Linguistik, aus dem der praktischen Interessen die Politik, worauf sich die
intensivste Kraft seines Geistes und seines Gemüths concentrirte. Nichts lag ihm
serner als ein triviales Hin- und Herreden über sogenannte ästhetische Themata.
Am allerwiderwärtigsten aber war es ihm, wenn seine eignen poetischen
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[0087] Mit besonderer Vorliebe bewerte sich seine Unterhaltung im Kreise der Interessen, die seinen Geist am tiefsten beschäftigten. Denn das Bedürfniß, sich durch ein möglichst leichtes Gespräch von der Last der Arbeit zu erholen, schien er niemals zu empfinden, wenn er gleich auch die gewöhnlichste Konversation nicht als etwas, das unter seiner Würde wäre, zurückwies oder einfache Gäste, die nichts anders als das Tagtägliche vorzubringen hatten, durch ablehnende Schweigsamkeit verblüffte. So ließ er sich auch gern eine heitere Geschichte, eine komische Anekdote, die ein Andrer mit Behagen erzählte, gefallen, ja er hörte sie ohne Bedenken so oft wieder mit an, als es dem Erzähler beliebte, sie wieder aufzutischen. — Darauf aufmerksam gemacht, äußerte er wohl, es liege nun einmal im Wesen des Epos, sich beständig zu wiederholen, und die Anekdoten gehörten ja auch einigermaßen in die Sippschaft des Epos. Auch verschmähte er es nicht, gelegentlich selbst eine solche scherzhafte Kleinigkeit zum Besten zu geben, meist aus seinem eignen früher so bunt bewegten Leben ent¬ nommen und aus dem unendlich reichen Kreise oft sehr seltsamer Gestalten, denen « auf seinen Wegen begegnet war. Doch im Allgemeinen kam er selten auf solche, oder überhaupt auf Erinnerungen aus der eignen Vergangenheit zurück. Er war zu sehr in die ihn unmittelbar beschäftigenden Probleme der Wissenschaft U"d Kunst vertieft, er war zu sehr im großartigsten Sinne des Wortes ein ^ann der Gegenwart und der unmittelbaren Wirklichkeit, als daß er sich viel "Ut dem hätte beschäftigen sollen, was ein sür allemal ganz und rein abge¬ schlossen hinter ihm lag. Nur am Schlüsse seines Lebens, wo seine sonst so ^stlose Thätigkeit hier und da durch ernsthaftere körperliche Beschwerden etwas gehemmt wurde — wirklich unterbrochen ist sie erst durch seinen letzten Athem¬ zug worden — tauchten die Bilder der Vergangenheit häufiger vor ihm auf. oder vielmehr, er lenkte selbst das Gespräch häusiger als früher zu ihnen hin. . Für die, die sein inneres Leben ganz erkannten, war diese scheinbar so natürliche und selbstverständliche Umstimmung seines Interesses eines der bedenklichsten Symptome, und leider haben sie sich darüber nicht getäuscht. Früher ließ er A) meist nur dann zu solchen Mittheilungen herbei, wenn eine directe Frage über irgendein Ereignis; seines Lebens ober eine mit demselben verflochtene Persönlichkeit angebracht wurde. Er beantwortete sie stets mit rückhaltloser Offenheit, ließ sich aber nur selten in ausführlicherer Erzählung gehen und wandte sich bald wieder andern Materien des Gesprächs zu. die ihn offenbar Mehr interessirten. Aus dem Bereiche der Kunst war es seine eigne, aus dem der Wissenschaft die Linguistik, aus dem der praktischen Interessen die Politik, worauf sich die intensivste Kraft seines Geistes und seines Gemüths concentrirte. Nichts lag ihm serner als ein triviales Hin- und Herreden über sogenannte ästhetische Themata. Am allerwiderwärtigsten aber war es ihm, wenn seine eignen poetischen * 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285025/87>, abgerufen am 31.05.2024.