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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Ueberbringer dieser wichtigen Botschaft ernannte. Krook, nach dem Lohne lüstern,
der dem sicher war, der Kurland in die Hände Katharina's lieferte, eilte sofort zu
Ostermann, um diesen vor der Entgegennahme der herzoglichen Botschaft zu war¬
nen, indem er angab, daß dieselbe keine unbedingte und rückhaltslose Unterwerfung
ausspreche. Als unser Memoirenschreiber darauf zum Vicekanzler kam, fand er diesen
kalt und zurückhaltend. Auch nach Durchlesung der Abdankungsurkunde zeigte er
sich mißtrauisch, obgleich dieselbe eine "Unterwerfung ohne Bedingungen" aussprach.
Ostermann sandte seinen Secretär Wedemeyer zum Herzog und ließ denselben er-suchen,
den Ausdruck "ohne Bedingungen" in "unbedingt" zu verwandeln, weil Katharina --
aus der uns bekannten Rücksicht auf Preußen -- eben diesen Ausdruck gewünscht hatte.
Nachdem diese Abänderung vorgenommen worden war, wurde das Actenstück, welches
die Abdankung enthielt, der Kaiserin durch den Vicekanzler Ostermann überreicht.

"Soweit war diese Angelegenheit beendet", heißt es weiter in unserm Me-
moirenwrrk, "als ich ein Billet Howen's erhielt, der mich ersuchte, in meiner Eigen¬
schaft als Oberstallmeister den Herzog zu ersuchen, Seine Hoheit wolle eine Srunde
festsetzen, in welcher die curländische Deputation ihm eine letzte Huldigung dar¬
bringen und zugleich constatiren könne, daß die bisherigen Beziehungen zwischen
S. H. und dem Herzogthum aufgelöst seien. -- Als ich dem Herzog die bezügliche
Mittheilung machte, wechselte er die Farbe, sagte dann aber mit fester Stimme:
"Sagen Sie, daß ich diese Deputation morgen um zehn Uhr empfangen werde."
Inzwischen that ich Schritte, um vorläufig zu erfahren, was Howen sagen werde,
und nachdem ich das wußte, theilte ich die mir gewordene Antwort des Herzogs mit.

"Mit einer Kaltblütigkeit, die ich nur bewundern konnte, traf der Herzog alle An¬
ordnungen für das Empfangs-Ceremoniell. Dem Kammerherrn v. Derschau und seinem
Adjutanten v. Driesen ertheilte er den Auftrag, der Deputation bis an die Treppe ent¬
gegen zu gehen; zwei Pagen öffneten die Flügelthüren und die Deputation trat ein.

"An einen Marmortisch gelehnt, stand der Herzog da, ihm zur Rechten der
Oberrath v. Firth, links stand ich. Trotz seiner sonstigen Keckheit wurde Howen
blaß und seine Verlegenheit war so groß, daß er einiger Augenblicke bedürfte, ehe
er wieder zu sich kam. Dann trug er seine Rede mit erregter Stimme vor und
schloß dieselbe, indem er dem Herzog erklärte, die Vernichtung der politischen Existenz
Polens habe die Verhältnisse Kurlands verändert. Die Ritterschaft habe sich dem
Scepter I. M. der Kaiserin unterworfen, indem sie davon überzeugt gewesen sei,
daß Seine Hoheit dieselben Gesinnungen hege, diesen Entschluß billige und dem Bei¬
spiel desselben folgen werde.

"Während dieser Rede zeigte der Herzog eine Miene, in der sich Stolz und
Verachtung aussprachen; er zog das Papier hervor, welches die Antwort enthielt,
und las dieselbe um so nachdrucksvoller ab, als er sie auswendig kannte. Dann
sagte Howen in deutscher Sprache: "Erlauben Ew. Hoheit, daß wir Ihre Hand,
als die unseres vormaligen Herzogs zum letzten Male küssen." Der Herzog entzog
sich dem nicht und grüßte die sechs Deputirten mit einer Verbeugung. Niemals
hat er seine Stellung besser repräsentirt, als in dem Augenblick, wo er sie niederlegte.

"Unterdessen hatte Howen seine Fassung wiedergewonnen und eine ruhige Hal¬
tung angenommen. Statt sich zu entfernen, begann er eine leichte Conversation --
der Herzog aber trat einen Schritt zurück, grüßte die Herren und zwang sie dadurch,
sich zurückzuziehen. Der Herzog aber sandte seinen Adjutanten v. Driesen an den
Grafen Ostermann, indem er eine Abschrift seiner Abschiedsrede übersandte und
sagen ließ, er wolle dadurch allen Verleumdungen, welche sich an diese letzte Hand¬
lung, die er als Herzog vorgenommen, hasten könnten, vorbeugen.

"Die nächsten Tage vergingen mit vermügensrechtlichen Verhandlungen zwischen
dem Herzog und der Kaiserin; am 15/26. April 1715 fand endlich die Ceremonie
der Unterwerfung Kurlands und Piltens unter das russische Scepter statt. Mit
jener Pedanterie und Kleinlichkeit, welche deutscher Mittelalterlichkeit eigenthümlich
zu sein scheint, auch wo dieselbe, wie im vorliegenden Fall, sich selbst zu Grabe


Ueberbringer dieser wichtigen Botschaft ernannte. Krook, nach dem Lohne lüstern,
der dem sicher war, der Kurland in die Hände Katharina's lieferte, eilte sofort zu
Ostermann, um diesen vor der Entgegennahme der herzoglichen Botschaft zu war¬
nen, indem er angab, daß dieselbe keine unbedingte und rückhaltslose Unterwerfung
ausspreche. Als unser Memoirenschreiber darauf zum Vicekanzler kam, fand er diesen
kalt und zurückhaltend. Auch nach Durchlesung der Abdankungsurkunde zeigte er
sich mißtrauisch, obgleich dieselbe eine „Unterwerfung ohne Bedingungen" aussprach.
Ostermann sandte seinen Secretär Wedemeyer zum Herzog und ließ denselben er-suchen,
den Ausdruck „ohne Bedingungen" in „unbedingt" zu verwandeln, weil Katharina —
aus der uns bekannten Rücksicht auf Preußen — eben diesen Ausdruck gewünscht hatte.
Nachdem diese Abänderung vorgenommen worden war, wurde das Actenstück, welches
die Abdankung enthielt, der Kaiserin durch den Vicekanzler Ostermann überreicht.

„Soweit war diese Angelegenheit beendet", heißt es weiter in unserm Me-
moirenwrrk, „als ich ein Billet Howen's erhielt, der mich ersuchte, in meiner Eigen¬
schaft als Oberstallmeister den Herzog zu ersuchen, Seine Hoheit wolle eine Srunde
festsetzen, in welcher die curländische Deputation ihm eine letzte Huldigung dar¬
bringen und zugleich constatiren könne, daß die bisherigen Beziehungen zwischen
S. H. und dem Herzogthum aufgelöst seien. — Als ich dem Herzog die bezügliche
Mittheilung machte, wechselte er die Farbe, sagte dann aber mit fester Stimme:
„Sagen Sie, daß ich diese Deputation morgen um zehn Uhr empfangen werde."
Inzwischen that ich Schritte, um vorläufig zu erfahren, was Howen sagen werde,
und nachdem ich das wußte, theilte ich die mir gewordene Antwort des Herzogs mit.

„Mit einer Kaltblütigkeit, die ich nur bewundern konnte, traf der Herzog alle An¬
ordnungen für das Empfangs-Ceremoniell. Dem Kammerherrn v. Derschau und seinem
Adjutanten v. Driesen ertheilte er den Auftrag, der Deputation bis an die Treppe ent¬
gegen zu gehen; zwei Pagen öffneten die Flügelthüren und die Deputation trat ein.

„An einen Marmortisch gelehnt, stand der Herzog da, ihm zur Rechten der
Oberrath v. Firth, links stand ich. Trotz seiner sonstigen Keckheit wurde Howen
blaß und seine Verlegenheit war so groß, daß er einiger Augenblicke bedürfte, ehe
er wieder zu sich kam. Dann trug er seine Rede mit erregter Stimme vor und
schloß dieselbe, indem er dem Herzog erklärte, die Vernichtung der politischen Existenz
Polens habe die Verhältnisse Kurlands verändert. Die Ritterschaft habe sich dem
Scepter I. M. der Kaiserin unterworfen, indem sie davon überzeugt gewesen sei,
daß Seine Hoheit dieselben Gesinnungen hege, diesen Entschluß billige und dem Bei¬
spiel desselben folgen werde.

„Während dieser Rede zeigte der Herzog eine Miene, in der sich Stolz und
Verachtung aussprachen; er zog das Papier hervor, welches die Antwort enthielt,
und las dieselbe um so nachdrucksvoller ab, als er sie auswendig kannte. Dann
sagte Howen in deutscher Sprache: „Erlauben Ew. Hoheit, daß wir Ihre Hand,
als die unseres vormaligen Herzogs zum letzten Male küssen." Der Herzog entzog
sich dem nicht und grüßte die sechs Deputirten mit einer Verbeugung. Niemals
hat er seine Stellung besser repräsentirt, als in dem Augenblick, wo er sie niederlegte.

„Unterdessen hatte Howen seine Fassung wiedergewonnen und eine ruhige Hal¬
tung angenommen. Statt sich zu entfernen, begann er eine leichte Conversation —
der Herzog aber trat einen Schritt zurück, grüßte die Herren und zwang sie dadurch,
sich zurückzuziehen. Der Herzog aber sandte seinen Adjutanten v. Driesen an den
Grafen Ostermann, indem er eine Abschrift seiner Abschiedsrede übersandte und
sagen ließ, er wolle dadurch allen Verleumdungen, welche sich an diese letzte Hand¬
lung, die er als Herzog vorgenommen, hasten könnten, vorbeugen.

„Die nächsten Tage vergingen mit vermügensrechtlichen Verhandlungen zwischen
dem Herzog und der Kaiserin; am 15/26. April 1715 fand endlich die Ceremonie
der Unterwerfung Kurlands und Piltens unter das russische Scepter statt. Mit
jener Pedanterie und Kleinlichkeit, welche deutscher Mittelalterlichkeit eigenthümlich
zu sein scheint, auch wo dieselbe, wie im vorliegenden Fall, sich selbst zu Grabe


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[0087] Ueberbringer dieser wichtigen Botschaft ernannte. Krook, nach dem Lohne lüstern, der dem sicher war, der Kurland in die Hände Katharina's lieferte, eilte sofort zu Ostermann, um diesen vor der Entgegennahme der herzoglichen Botschaft zu war¬ nen, indem er angab, daß dieselbe keine unbedingte und rückhaltslose Unterwerfung ausspreche. Als unser Memoirenschreiber darauf zum Vicekanzler kam, fand er diesen kalt und zurückhaltend. Auch nach Durchlesung der Abdankungsurkunde zeigte er sich mißtrauisch, obgleich dieselbe eine „Unterwerfung ohne Bedingungen" aussprach. Ostermann sandte seinen Secretär Wedemeyer zum Herzog und ließ denselben er-suchen, den Ausdruck „ohne Bedingungen" in „unbedingt" zu verwandeln, weil Katharina — aus der uns bekannten Rücksicht auf Preußen — eben diesen Ausdruck gewünscht hatte. Nachdem diese Abänderung vorgenommen worden war, wurde das Actenstück, welches die Abdankung enthielt, der Kaiserin durch den Vicekanzler Ostermann überreicht. „Soweit war diese Angelegenheit beendet", heißt es weiter in unserm Me- moirenwrrk, „als ich ein Billet Howen's erhielt, der mich ersuchte, in meiner Eigen¬ schaft als Oberstallmeister den Herzog zu ersuchen, Seine Hoheit wolle eine Srunde festsetzen, in welcher die curländische Deputation ihm eine letzte Huldigung dar¬ bringen und zugleich constatiren könne, daß die bisherigen Beziehungen zwischen S. H. und dem Herzogthum aufgelöst seien. — Als ich dem Herzog die bezügliche Mittheilung machte, wechselte er die Farbe, sagte dann aber mit fester Stimme: „Sagen Sie, daß ich diese Deputation morgen um zehn Uhr empfangen werde." Inzwischen that ich Schritte, um vorläufig zu erfahren, was Howen sagen werde, und nachdem ich das wußte, theilte ich die mir gewordene Antwort des Herzogs mit. „Mit einer Kaltblütigkeit, die ich nur bewundern konnte, traf der Herzog alle An¬ ordnungen für das Empfangs-Ceremoniell. Dem Kammerherrn v. Derschau und seinem Adjutanten v. Driesen ertheilte er den Auftrag, der Deputation bis an die Treppe ent¬ gegen zu gehen; zwei Pagen öffneten die Flügelthüren und die Deputation trat ein. „An einen Marmortisch gelehnt, stand der Herzog da, ihm zur Rechten der Oberrath v. Firth, links stand ich. Trotz seiner sonstigen Keckheit wurde Howen blaß und seine Verlegenheit war so groß, daß er einiger Augenblicke bedürfte, ehe er wieder zu sich kam. Dann trug er seine Rede mit erregter Stimme vor und schloß dieselbe, indem er dem Herzog erklärte, die Vernichtung der politischen Existenz Polens habe die Verhältnisse Kurlands verändert. Die Ritterschaft habe sich dem Scepter I. M. der Kaiserin unterworfen, indem sie davon überzeugt gewesen sei, daß Seine Hoheit dieselben Gesinnungen hege, diesen Entschluß billige und dem Bei¬ spiel desselben folgen werde. „Während dieser Rede zeigte der Herzog eine Miene, in der sich Stolz und Verachtung aussprachen; er zog das Papier hervor, welches die Antwort enthielt, und las dieselbe um so nachdrucksvoller ab, als er sie auswendig kannte. Dann sagte Howen in deutscher Sprache: „Erlauben Ew. Hoheit, daß wir Ihre Hand, als die unseres vormaligen Herzogs zum letzten Male küssen." Der Herzog entzog sich dem nicht und grüßte die sechs Deputirten mit einer Verbeugung. Niemals hat er seine Stellung besser repräsentirt, als in dem Augenblick, wo er sie niederlegte. „Unterdessen hatte Howen seine Fassung wiedergewonnen und eine ruhige Hal¬ tung angenommen. Statt sich zu entfernen, begann er eine leichte Conversation — der Herzog aber trat einen Schritt zurück, grüßte die Herren und zwang sie dadurch, sich zurückzuziehen. Der Herzog aber sandte seinen Adjutanten v. Driesen an den Grafen Ostermann, indem er eine Abschrift seiner Abschiedsrede übersandte und sagen ließ, er wolle dadurch allen Verleumdungen, welche sich an diese letzte Hand¬ lung, die er als Herzog vorgenommen, hasten könnten, vorbeugen. „Die nächsten Tage vergingen mit vermügensrechtlichen Verhandlungen zwischen dem Herzog und der Kaiserin; am 15/26. April 1715 fand endlich die Ceremonie der Unterwerfung Kurlands und Piltens unter das russische Scepter statt. Mit jener Pedanterie und Kleinlichkeit, welche deutscher Mittelalterlichkeit eigenthümlich zu sein scheint, auch wo dieselbe, wie im vorliegenden Fall, sich selbst zu Grabe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/87>, abgerufen am 27.05.2024.