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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Talent -- berathen von Dr. Schumacher's eminent-praktischem Geschick,
und gestützt auf den Bremer Bezirksverein, in welchem andere gute Kräfte,
namentlich die dortigen ausgezeichneten Navigationsschullehrer immer zu för¬
derlichem Eingreifen bereit stehen. Von diesem Mittelpunkt aus ergehen un¬
aufhörlich wohlberechnete Anregungen zum Verhandeln oder Handeln an die
übrigen Bezirksvereine, damit nirgend das kaum erwachte Leben wieder ein¬
schlafe. Alle nautischen Interessen finden hier ihre wachsame Beachtung und
gründliche Würdigung. Man folgt mit kritischem Auge dem Vorgehen der
Bundesgewalt auf diesem noch wenig geklärten Felde, und bereitet die Ge-
setzgebungs- oder Verwaltnngsacte vor, welche noch auf sich warten lassen.
Augenblicklich veranlaßt man die Bezirksvereine zu Vorverhandlungen über
alle die Gegenstände, welche möglicher Weise die nächste wieder nach Berlin
einzuberufende Vereinsversammlung im Februar 1870 beschäftigen werden.

Das nautische Gebiet ist bisher sowohl von den Organen des Staats,
legislativen wie administrativen, als von denen der öffentlichen Meinung
in Deutschland sehr stiefmütterlich behandelt worden. Der Schiffer, der wäh¬
rend des Mittelalters neben dem Kaufmann stand, ist allmälig zu dessen
Untergebenen herabgesunken, und kam dann nur noch der Rheder, welchen
zunehmende Theilung der Arbeit als einen abgesonderten Stand aus dem
Schifferstande entwickelt hatte, zu Worte. Die Rheder und Seekaufleute aber
haben ja auch erst eigentlich seit 1866 einigen unmittelbaren Einfluß auf die
Träger gesammtdeutscher Macht. Vorher waren sie zwar nicht viel weniger
als souverän in ein paar einzelnen, wenn auch bedeutenden Städten, aber
den übrigen Regierungen standen sie als Fremde gegenüber, denen keine be¬
sondere Rücksicht zu zollen nothwendig schien. Wie konnten sich da Interessen
vernehmlich machen, deren Mandatare sie größtentheils nur waren, nicht ein¬
mal die Nächstbetheiligten?

Die Stiftung des norddeutschen Bundes mit ihren beiden großen Folgen,
Entwickelung effectiver nationaler Macht und Autorität im Auslande und
Aushebung der Schranken des freien Verkehrs im Innern, beide nicht allein
von einer mächtigen Regierung, sondern zugleich von parlamentarischen Ver¬
tretungskörpern ausgehend, hat diesen Bann gelöst. Jetzt ist freilich der
ganze deutsche Seemannsstand den von Berlin ausgehenden Vorschriften unter¬
worfen, aber dafür kann er selbst auch, theils durch loyale und theils durch
freiwillig-populäre, theils durch directe und theils durch indirecte Organe,
seine Wünsche in Berlin erfolgreich geltendmachen. Nächst den Deutschen im
Auslande ist der Seemannsstand am entschiedensten und ungeteiltesten für
das Werk des Grafen Bismarck eingenommen. Als einheitlicher und unab¬
hängiger Stand fühlt er sich gewissermaßen erst seitdem geboren.

Aber freilich: kaum zum Bewußtsein seiner selbst gelangt, fühlt er auch


11*

Talent — berathen von Dr. Schumacher's eminent-praktischem Geschick,
und gestützt auf den Bremer Bezirksverein, in welchem andere gute Kräfte,
namentlich die dortigen ausgezeichneten Navigationsschullehrer immer zu för¬
derlichem Eingreifen bereit stehen. Von diesem Mittelpunkt aus ergehen un¬
aufhörlich wohlberechnete Anregungen zum Verhandeln oder Handeln an die
übrigen Bezirksvereine, damit nirgend das kaum erwachte Leben wieder ein¬
schlafe. Alle nautischen Interessen finden hier ihre wachsame Beachtung und
gründliche Würdigung. Man folgt mit kritischem Auge dem Vorgehen der
Bundesgewalt auf diesem noch wenig geklärten Felde, und bereitet die Ge-
setzgebungs- oder Verwaltnngsacte vor, welche noch auf sich warten lassen.
Augenblicklich veranlaßt man die Bezirksvereine zu Vorverhandlungen über
alle die Gegenstände, welche möglicher Weise die nächste wieder nach Berlin
einzuberufende Vereinsversammlung im Februar 1870 beschäftigen werden.

Das nautische Gebiet ist bisher sowohl von den Organen des Staats,
legislativen wie administrativen, als von denen der öffentlichen Meinung
in Deutschland sehr stiefmütterlich behandelt worden. Der Schiffer, der wäh¬
rend des Mittelalters neben dem Kaufmann stand, ist allmälig zu dessen
Untergebenen herabgesunken, und kam dann nur noch der Rheder, welchen
zunehmende Theilung der Arbeit als einen abgesonderten Stand aus dem
Schifferstande entwickelt hatte, zu Worte. Die Rheder und Seekaufleute aber
haben ja auch erst eigentlich seit 1866 einigen unmittelbaren Einfluß auf die
Träger gesammtdeutscher Macht. Vorher waren sie zwar nicht viel weniger
als souverän in ein paar einzelnen, wenn auch bedeutenden Städten, aber
den übrigen Regierungen standen sie als Fremde gegenüber, denen keine be¬
sondere Rücksicht zu zollen nothwendig schien. Wie konnten sich da Interessen
vernehmlich machen, deren Mandatare sie größtentheils nur waren, nicht ein¬
mal die Nächstbetheiligten?

Die Stiftung des norddeutschen Bundes mit ihren beiden großen Folgen,
Entwickelung effectiver nationaler Macht und Autorität im Auslande und
Aushebung der Schranken des freien Verkehrs im Innern, beide nicht allein
von einer mächtigen Regierung, sondern zugleich von parlamentarischen Ver¬
tretungskörpern ausgehend, hat diesen Bann gelöst. Jetzt ist freilich der
ganze deutsche Seemannsstand den von Berlin ausgehenden Vorschriften unter¬
worfen, aber dafür kann er selbst auch, theils durch loyale und theils durch
freiwillig-populäre, theils durch directe und theils durch indirecte Organe,
seine Wünsche in Berlin erfolgreich geltendmachen. Nächst den Deutschen im
Auslande ist der Seemannsstand am entschiedensten und ungeteiltesten für
das Werk des Grafen Bismarck eingenommen. Als einheitlicher und unab¬
hängiger Stand fühlt er sich gewissermaßen erst seitdem geboren.

Aber freilich: kaum zum Bewußtsein seiner selbst gelangt, fühlt er auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/91>, abgerufen am 06.06.2024.