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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Uebermacht auswärtiger Feinde den Dynastien völlige souveränes in
Aussicht stellt. Aber um die Bevölkerungen zu gewinnen, regiert der Bund
zu wenig; denn über Ausführung seiner Gesetze walten die Einzelstaaten,
das Heerwesen der größeren ist selbstständig geblieben, Bundesposten und
Telegraphen genügen nicht, die Macht des Bundes in die Seelen zu drücken.
Und deshalb vermögen wir trotz der erfreulichen Fortschritte, welche die Gesetz¬
gebung des Bundes im letzten Jahre gemacht hat, die Besorgniß nicht fern¬
zuhalten, daß die Festigkeit des Bundes nicht verhältnißmäßig zugenommen
hat, im Gegentheil geringer wurde; und daß für Preußen und die Zukunft
des Bundes eine Krisis herannaht, wenn nicht zunächst die verfassungsmäßige
Herrschaft der Bundesgewalt strict und consequent durchgeführt und dem¬
nächst die Organe geschaffen werden, durch welche eine geordnete Bundes¬
regierung möglich wird.

So ist die Zeit gekommen, wo die Mitglieder der nationalen Partei alle
Ursache haben, unter einander engeren Anschluß und gemeinsames Handeln
zu suchen. Eine Agitation durch die Presse, wie sie zeitweise wohl versucht wurde,
ist gar nicht, was'in erster Linie nöthig wird. Die Presse thut im Ganzen
völlig ihre Pflicht. Dagegen dauert der große Uebelstand, daß die parla¬
mentarischen Vertreter viel zu wenig, zu unvollständig und zufällig von dem
unterrichtet werden, was in den einzelnen Regierungen Und Landschaften vor¬
geht. So lange der Bund keine Executive besitzt, müssen die nationalen
vor dem Reichstage, den Commissarien und der Bundesgewalt die un¬
ermüdlichen und thätigen Sachwalter der Verfassung und die Ankläger
jedes Uebcrgriffs der einzelnen Regierungen werden. Sie müssen dazu mit
regelmäßigen Berichten über die Stimmungen und das Parteitreiben in den
einzelnen Landschaften, so wie mit zuverlässigen und prompter Berichten über
alle Vorfälle, welche Veranlassung zu Correcturen geben, versehen sein. Dafür
ist nöthig, daß einer der Führer in Berlin mit den Mitteln und der Muße
ausgestattet werde, auch äußerlich die Partei zu repräsentiren. Ihm zur
Seite ein gut bezahltes Bureau mit geordneter Thätigkeit und wieder in
allen größeren Städten und überall in den Landkreisen Vereine der Partei¬
genossen, deren Geschäftsführer rechtsverständige Mitglieder sind, welche
die Correspondenz besorgen, die Berichte einsenden, im Nothfall die nöthigen
Ermittelungen anstellen. Man versuche diese Einrichtung und man wird den
Vortheil nach wenig Wochen erkennen.

Eine solche Vereinigung wird den Machthabern zuweilen lästig erscheinen,
sie wird dem Land in Wahrheit eine wesentliche Hilfe sein, die Mitglieder
des Reichstages aber zu wohlunterrichteten Vertretern der nationalen Wünsche
machend Daß sie bald und völlig ins Leben trete, ist unser Neujahrswunsch.


G. F.


Uebermacht auswärtiger Feinde den Dynastien völlige souveränes in
Aussicht stellt. Aber um die Bevölkerungen zu gewinnen, regiert der Bund
zu wenig; denn über Ausführung seiner Gesetze walten die Einzelstaaten,
das Heerwesen der größeren ist selbstständig geblieben, Bundesposten und
Telegraphen genügen nicht, die Macht des Bundes in die Seelen zu drücken.
Und deshalb vermögen wir trotz der erfreulichen Fortschritte, welche die Gesetz¬
gebung des Bundes im letzten Jahre gemacht hat, die Besorgniß nicht fern¬
zuhalten, daß die Festigkeit des Bundes nicht verhältnißmäßig zugenommen
hat, im Gegentheil geringer wurde; und daß für Preußen und die Zukunft
des Bundes eine Krisis herannaht, wenn nicht zunächst die verfassungsmäßige
Herrschaft der Bundesgewalt strict und consequent durchgeführt und dem¬
nächst die Organe geschaffen werden, durch welche eine geordnete Bundes¬
regierung möglich wird.

So ist die Zeit gekommen, wo die Mitglieder der nationalen Partei alle
Ursache haben, unter einander engeren Anschluß und gemeinsames Handeln
zu suchen. Eine Agitation durch die Presse, wie sie zeitweise wohl versucht wurde,
ist gar nicht, was'in erster Linie nöthig wird. Die Presse thut im Ganzen
völlig ihre Pflicht. Dagegen dauert der große Uebelstand, daß die parla¬
mentarischen Vertreter viel zu wenig, zu unvollständig und zufällig von dem
unterrichtet werden, was in den einzelnen Regierungen Und Landschaften vor¬
geht. So lange der Bund keine Executive besitzt, müssen die nationalen
vor dem Reichstage, den Commissarien und der Bundesgewalt die un¬
ermüdlichen und thätigen Sachwalter der Verfassung und die Ankläger
jedes Uebcrgriffs der einzelnen Regierungen werden. Sie müssen dazu mit
regelmäßigen Berichten über die Stimmungen und das Parteitreiben in den
einzelnen Landschaften, so wie mit zuverlässigen und prompter Berichten über
alle Vorfälle, welche Veranlassung zu Correcturen geben, versehen sein. Dafür
ist nöthig, daß einer der Führer in Berlin mit den Mitteln und der Muße
ausgestattet werde, auch äußerlich die Partei zu repräsentiren. Ihm zur
Seite ein gut bezahltes Bureau mit geordneter Thätigkeit und wieder in
allen größeren Städten und überall in den Landkreisen Vereine der Partei¬
genossen, deren Geschäftsführer rechtsverständige Mitglieder sind, welche
die Correspondenz besorgen, die Berichte einsenden, im Nothfall die nöthigen
Ermittelungen anstellen. Man versuche diese Einrichtung und man wird den
Vortheil nach wenig Wochen erkennen.

Eine solche Vereinigung wird den Machthabern zuweilen lästig erscheinen,
sie wird dem Land in Wahrheit eine wesentliche Hilfe sein, die Mitglieder
des Reichstages aber zu wohlunterrichteten Vertretern der nationalen Wünsche
machend Daß sie bald und völlig ins Leben trete, ist unser Neujahrswunsch.


G. F.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/10>, abgerufen am 16.06.2024.