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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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diese Wandgemälde die Existenz der Beziehungen zwischen Etrmien und
Griechenland auch durch ein ganz bestimmtes Merkmal äußerer Art voraus¬
setzen lassen. Vor den Figuren der Tänzer nämlich befindet sich eine Art von
Schenktisch, worauf ein großer goldfarbiger Krater und zwei Amphoren mit
schwarzen Figuren auf gelbem Grunde stehen. Auf der einen Amphora ist
ein Jüngling zwischen zwei Pferden, auf der andern ein Tanz von Satyrn
dargestellt. Wenn sich aber bemalte Vasen in einem etruskischen Grabe
finden, so ist dies, wie bereits oben bemerkt wurde, ein deutliches Zeichen,
daß das Grab aus einer Epoche stammt, in welcher enge Beziehungen
zwischen Griechenland und Italien herrschten. Somit bilden die Gemälde
dieses Grabes ein Uebergangsglied zu der Entwickelung, welche wir als dritte
Periode bezeichnen können. Der Einfluß der griechischen Kunst wirkt mäch¬
tiger und drängt allmälig das nationale Element mehr und mehr in den
Hintergrund. Das Formensystem der griechischen Kunst wird das herrschende
und nur in vereinzelten Fällen nehmen wir eine bewußte oder unbewußte
Reaction des etruskischen Geistes wahr. In den ersten Stadien dieser Ent¬
wickelung bleiben wenigstens noch die Gegenstände der Darstellung national.
Wir begegnen den Darstellungen von Bankettscenen, von Tänzen, von
Leichenspielen, wie in der vorhergehenden Periode. Im weiteren Verlaufe der
Entwickelung, jedoch erstreckt sich der griechische Einfluß auch auf die Stoffe;
die griechische Götter- und Heroenmythologie findet Eingang in die etrus-
kische Kunst. Offenbar beschränkte sich dieser Entwickelungprozeß nicht bloß
auf Etrurien, sondern fand früher oder später mit größeren oder geringeren
Abwandlungen in ganz Italien Statt. Vor allem bietet die römische Litera¬
tur mannigfache Analogien von der in der tarquinischen Wandmalerei er¬
sichtlichen Entwickelung dar. Die Beziehungen, welche damals zwischen
Etrurien und Griechenland vorlagen, machten sich in der entschiedensten und
nachhaltigsten Weise geltend. Wir sehen, wie in dieser Periode die tarquinische
Wandmalerei in der stilistischen Entwickelung Schritt sür Schritt die Stadien
der griechischen Kunst durchmachte. Im Anfange dieser Periode verrathen die
Wandgemälde, wenn sie auch nicht mehr die herbe Strenge des tuskanischen
Stiles aufweisen, immerhin noch eine gewisse Gebundenheit der Darstellung;
die künstlerischen Mittel sind sehr einfach und stimmen in auffälliger Weise
mit denen, welche Plinius als von Polygnot ausgebildet anführt; noch fehlt
die Schattirung, die Farbenscale ist im Vergleich mit der vorhergehenden
Periode um nur wenige Töne vermehrt, macht jedoch schon einen glänzen¬
deren und heiterern Eindruck. Allmälig kommt mehr Freiheit und Mannig¬
faltigkeit in die Motive; eine anfänglich sehr mäßige Schattirung tritt auf;
nach einer Reihe von Uebergangsstudien befindet sich die Maleret schließlich
im Vollbesitze der Mittel, ist im Stande, das Relief und die Rundung der


diese Wandgemälde die Existenz der Beziehungen zwischen Etrmien und
Griechenland auch durch ein ganz bestimmtes Merkmal äußerer Art voraus¬
setzen lassen. Vor den Figuren der Tänzer nämlich befindet sich eine Art von
Schenktisch, worauf ein großer goldfarbiger Krater und zwei Amphoren mit
schwarzen Figuren auf gelbem Grunde stehen. Auf der einen Amphora ist
ein Jüngling zwischen zwei Pferden, auf der andern ein Tanz von Satyrn
dargestellt. Wenn sich aber bemalte Vasen in einem etruskischen Grabe
finden, so ist dies, wie bereits oben bemerkt wurde, ein deutliches Zeichen,
daß das Grab aus einer Epoche stammt, in welcher enge Beziehungen
zwischen Griechenland und Italien herrschten. Somit bilden die Gemälde
dieses Grabes ein Uebergangsglied zu der Entwickelung, welche wir als dritte
Periode bezeichnen können. Der Einfluß der griechischen Kunst wirkt mäch¬
tiger und drängt allmälig das nationale Element mehr und mehr in den
Hintergrund. Das Formensystem der griechischen Kunst wird das herrschende
und nur in vereinzelten Fällen nehmen wir eine bewußte oder unbewußte
Reaction des etruskischen Geistes wahr. In den ersten Stadien dieser Ent¬
wickelung bleiben wenigstens noch die Gegenstände der Darstellung national.
Wir begegnen den Darstellungen von Bankettscenen, von Tänzen, von
Leichenspielen, wie in der vorhergehenden Periode. Im weiteren Verlaufe der
Entwickelung, jedoch erstreckt sich der griechische Einfluß auch auf die Stoffe;
die griechische Götter- und Heroenmythologie findet Eingang in die etrus-
kische Kunst. Offenbar beschränkte sich dieser Entwickelungprozeß nicht bloß
auf Etrurien, sondern fand früher oder später mit größeren oder geringeren
Abwandlungen in ganz Italien Statt. Vor allem bietet die römische Litera¬
tur mannigfache Analogien von der in der tarquinischen Wandmalerei er¬
sichtlichen Entwickelung dar. Die Beziehungen, welche damals zwischen
Etrurien und Griechenland vorlagen, machten sich in der entschiedensten und
nachhaltigsten Weise geltend. Wir sehen, wie in dieser Periode die tarquinische
Wandmalerei in der stilistischen Entwickelung Schritt sür Schritt die Stadien
der griechischen Kunst durchmachte. Im Anfange dieser Periode verrathen die
Wandgemälde, wenn sie auch nicht mehr die herbe Strenge des tuskanischen
Stiles aufweisen, immerhin noch eine gewisse Gebundenheit der Darstellung;
die künstlerischen Mittel sind sehr einfach und stimmen in auffälliger Weise
mit denen, welche Plinius als von Polygnot ausgebildet anführt; noch fehlt
die Schattirung, die Farbenscale ist im Vergleich mit der vorhergehenden
Periode um nur wenige Töne vermehrt, macht jedoch schon einen glänzen¬
deren und heiterern Eindruck. Allmälig kommt mehr Freiheit und Mannig¬
faltigkeit in die Motive; eine anfänglich sehr mäßige Schattirung tritt auf;
nach einer Reihe von Uebergangsstudien befindet sich die Maleret schließlich
im Vollbesitze der Mittel, ist im Stande, das Relief und die Rundung der


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[0016] diese Wandgemälde die Existenz der Beziehungen zwischen Etrmien und Griechenland auch durch ein ganz bestimmtes Merkmal äußerer Art voraus¬ setzen lassen. Vor den Figuren der Tänzer nämlich befindet sich eine Art von Schenktisch, worauf ein großer goldfarbiger Krater und zwei Amphoren mit schwarzen Figuren auf gelbem Grunde stehen. Auf der einen Amphora ist ein Jüngling zwischen zwei Pferden, auf der andern ein Tanz von Satyrn dargestellt. Wenn sich aber bemalte Vasen in einem etruskischen Grabe finden, so ist dies, wie bereits oben bemerkt wurde, ein deutliches Zeichen, daß das Grab aus einer Epoche stammt, in welcher enge Beziehungen zwischen Griechenland und Italien herrschten. Somit bilden die Gemälde dieses Grabes ein Uebergangsglied zu der Entwickelung, welche wir als dritte Periode bezeichnen können. Der Einfluß der griechischen Kunst wirkt mäch¬ tiger und drängt allmälig das nationale Element mehr und mehr in den Hintergrund. Das Formensystem der griechischen Kunst wird das herrschende und nur in vereinzelten Fällen nehmen wir eine bewußte oder unbewußte Reaction des etruskischen Geistes wahr. In den ersten Stadien dieser Ent¬ wickelung bleiben wenigstens noch die Gegenstände der Darstellung national. Wir begegnen den Darstellungen von Bankettscenen, von Tänzen, von Leichenspielen, wie in der vorhergehenden Periode. Im weiteren Verlaufe der Entwickelung, jedoch erstreckt sich der griechische Einfluß auch auf die Stoffe; die griechische Götter- und Heroenmythologie findet Eingang in die etrus- kische Kunst. Offenbar beschränkte sich dieser Entwickelungprozeß nicht bloß auf Etrurien, sondern fand früher oder später mit größeren oder geringeren Abwandlungen in ganz Italien Statt. Vor allem bietet die römische Litera¬ tur mannigfache Analogien von der in der tarquinischen Wandmalerei er¬ sichtlichen Entwickelung dar. Die Beziehungen, welche damals zwischen Etrurien und Griechenland vorlagen, machten sich in der entschiedensten und nachhaltigsten Weise geltend. Wir sehen, wie in dieser Periode die tarquinische Wandmalerei in der stilistischen Entwickelung Schritt sür Schritt die Stadien der griechischen Kunst durchmachte. Im Anfange dieser Periode verrathen die Wandgemälde, wenn sie auch nicht mehr die herbe Strenge des tuskanischen Stiles aufweisen, immerhin noch eine gewisse Gebundenheit der Darstellung; die künstlerischen Mittel sind sehr einfach und stimmen in auffälliger Weise mit denen, welche Plinius als von Polygnot ausgebildet anführt; noch fehlt die Schattirung, die Farbenscale ist im Vergleich mit der vorhergehenden Periode um nur wenige Töne vermehrt, macht jedoch schon einen glänzen¬ deren und heiterern Eindruck. Allmälig kommt mehr Freiheit und Mannig¬ faltigkeit in die Motive; eine anfänglich sehr mäßige Schattirung tritt auf; nach einer Reihe von Uebergangsstudien befindet sich die Maleret schließlich im Vollbesitze der Mittel, ist im Stande, das Relief und die Rundung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/16>, abgerufen am 16.06.2024.