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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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storff, von Kaunitz an Cobenzl, von Montmorin an Se'gur, vom englischen
Minister Lord Carmarthen an den englischen Diplomaten Frazer, vom Prin¬
zen Nassau-Siegen an Se'gur u. s. w.

Daß die "Perlustration" das Lesen fremder Briefe bedeutet, ist aus fol¬
genden Notizen in Chragomitzki's Tagebuchs zu ersehen. Die Kaiserin schreibt
an Zimmermannn absichtlich mit der Post, damit ihr Brief, in welchem sie
sich über Rußlands feste Haltung und bedeutende Mittel gegenüber Preußen
ausläßt, in Berlin gelesen werde (26. Januar 1791); ebendieselbe Art der
Beförderung in derselben Absicht geschah in einem Briefe über die Türkei
(6. Februar 1791) und mit einem dritten Brief, wo die Kaiserin über die Hal¬
tung Englands und die Furchtlosigkeit Rußlands ausführliche Bemerkungen
macht (6. Juni 1791). Durch einen ferneren Brief an Zimmermann wollte
die Kaiserin, offenbar in der Hoffnung daß derselbe in Preußen gelesen wer¬
den würde, auf den König Friedrich Wilhelm II. wirken, damit er sich zu
einem energischen Vorgehen gegen Frankreich aufraffe (16. Septbr. 1791).

Solche Schreiben können mit Leitartikeln der officiellen oder officiösen
Presse verglichen werden. In der That versprach sich die Kaiserin bedeutende
Wirkung von denselben. In einer Zeit, wo die Beziehungen Rußlands zu
England und Preußen einigermaßen gespannt waren, wo sowohl in Bezug
auf die orientalische Frage, als auch in Bezug auf das revolutionäre Frank¬
reich mächtige Entschlüsse gefaßt werden sollten, mochte jedes unmittelbar von
der Kaiserin herrührende Wort schwer in die Wagschale fallen. Sie hat sich
wohl gerühmt, durch ihren Briefwechsel mit Voltaire zum Sturze Choiseul's
beigetragen zu haben. Als Herzberg von den Geschäften zurücktrat, bemerkte
Chragomitzki, daß die Briefe der Kaiserin an Zimmermann von Einfluß auf
dieses Ereigniß gewesen seien. Katharina theilte diese Ansicht*). Daß eine
solche Wirkung ihrer Privatbriefe wesentlich von der "Perlustration" derselben
im Auslande erwartet wurde, geht aus folgendem Umstände hervor.

Katharina war sehr unzufrieden mit dem Erfolge der militärischen
Operationen der Nlliirten gegen Frankreich. Ihr galt es, die Cabinette von
Wien und Berlin mit dem Kampfe gegen Frankreich zu beschäftigen, um
desto ungestörter die orientalischen und polnischen Angelegenheiten zu einem
für Rußland günstigen Abschluß zu bringen**). Die Kläglichkeit des Feld¬
zugs in die Champagne, die Kanonade bei Valmy brachten sie auf. In einem
Briefe an den Fürsten v. Ligne, worin sie demselben ihre Theilnahme an seinem




Tagebuch Chragomitzki's 6, Febr. 179 t. 5. August 1731.
"*
) ins easss Is, tvtg, wie ich wohl die Höfe von Wien und Berlin in die französi¬
schen Dinge hineinziehen könnte . . . II ? g, ävs raisons "zu'on us xeut MS aire; je veux
Iss ongager clarrs les kMirss xour avoir I"s eouciss irtmenss; ich habe hier noch man¬
cherlei zu beenden und sie dürfen mich dabei nicht stören." Diese Worte der Kaiserin bei
Chragomitzki 14, December 1791.
Grenzboten IV. 1869. 3

storff, von Kaunitz an Cobenzl, von Montmorin an Se'gur, vom englischen
Minister Lord Carmarthen an den englischen Diplomaten Frazer, vom Prin¬
zen Nassau-Siegen an Se'gur u. s. w.

Daß die „Perlustration" das Lesen fremder Briefe bedeutet, ist aus fol¬
genden Notizen in Chragomitzki's Tagebuchs zu ersehen. Die Kaiserin schreibt
an Zimmermannn absichtlich mit der Post, damit ihr Brief, in welchem sie
sich über Rußlands feste Haltung und bedeutende Mittel gegenüber Preußen
ausläßt, in Berlin gelesen werde (26. Januar 1791); ebendieselbe Art der
Beförderung in derselben Absicht geschah in einem Briefe über die Türkei
(6. Februar 1791) und mit einem dritten Brief, wo die Kaiserin über die Hal¬
tung Englands und die Furchtlosigkeit Rußlands ausführliche Bemerkungen
macht (6. Juni 1791). Durch einen ferneren Brief an Zimmermann wollte
die Kaiserin, offenbar in der Hoffnung daß derselbe in Preußen gelesen wer¬
den würde, auf den König Friedrich Wilhelm II. wirken, damit er sich zu
einem energischen Vorgehen gegen Frankreich aufraffe (16. Septbr. 1791).

Solche Schreiben können mit Leitartikeln der officiellen oder officiösen
Presse verglichen werden. In der That versprach sich die Kaiserin bedeutende
Wirkung von denselben. In einer Zeit, wo die Beziehungen Rußlands zu
England und Preußen einigermaßen gespannt waren, wo sowohl in Bezug
auf die orientalische Frage, als auch in Bezug auf das revolutionäre Frank¬
reich mächtige Entschlüsse gefaßt werden sollten, mochte jedes unmittelbar von
der Kaiserin herrührende Wort schwer in die Wagschale fallen. Sie hat sich
wohl gerühmt, durch ihren Briefwechsel mit Voltaire zum Sturze Choiseul's
beigetragen zu haben. Als Herzberg von den Geschäften zurücktrat, bemerkte
Chragomitzki, daß die Briefe der Kaiserin an Zimmermann von Einfluß auf
dieses Ereigniß gewesen seien. Katharina theilte diese Ansicht*). Daß eine
solche Wirkung ihrer Privatbriefe wesentlich von der „Perlustration" derselben
im Auslande erwartet wurde, geht aus folgendem Umstände hervor.

Katharina war sehr unzufrieden mit dem Erfolge der militärischen
Operationen der Nlliirten gegen Frankreich. Ihr galt es, die Cabinette von
Wien und Berlin mit dem Kampfe gegen Frankreich zu beschäftigen, um
desto ungestörter die orientalischen und polnischen Angelegenheiten zu einem
für Rußland günstigen Abschluß zu bringen**). Die Kläglichkeit des Feld¬
zugs in die Champagne, die Kanonade bei Valmy brachten sie auf. In einem
Briefe an den Fürsten v. Ligne, worin sie demselben ihre Theilnahme an seinem




Tagebuch Chragomitzki's 6, Febr. 179 t. 5. August 1731.
"*
) ins easss Is, tvtg, wie ich wohl die Höfe von Wien und Berlin in die französi¬
schen Dinge hineinziehen könnte . . . II ? g, ävs raisons «zu'on us xeut MS aire; je veux
Iss ongager clarrs les kMirss xour avoir I«s eouciss irtmenss; ich habe hier noch man¬
cherlei zu beenden und sie dürfen mich dabei nicht stören." Diese Worte der Kaiserin bei
Chragomitzki 14, December 1791.
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[0023] storff, von Kaunitz an Cobenzl, von Montmorin an Se'gur, vom englischen Minister Lord Carmarthen an den englischen Diplomaten Frazer, vom Prin¬ zen Nassau-Siegen an Se'gur u. s. w. Daß die „Perlustration" das Lesen fremder Briefe bedeutet, ist aus fol¬ genden Notizen in Chragomitzki's Tagebuchs zu ersehen. Die Kaiserin schreibt an Zimmermannn absichtlich mit der Post, damit ihr Brief, in welchem sie sich über Rußlands feste Haltung und bedeutende Mittel gegenüber Preußen ausläßt, in Berlin gelesen werde (26. Januar 1791); ebendieselbe Art der Beförderung in derselben Absicht geschah in einem Briefe über die Türkei (6. Februar 1791) und mit einem dritten Brief, wo die Kaiserin über die Hal¬ tung Englands und die Furchtlosigkeit Rußlands ausführliche Bemerkungen macht (6. Juni 1791). Durch einen ferneren Brief an Zimmermann wollte die Kaiserin, offenbar in der Hoffnung daß derselbe in Preußen gelesen wer¬ den würde, auf den König Friedrich Wilhelm II. wirken, damit er sich zu einem energischen Vorgehen gegen Frankreich aufraffe (16. Septbr. 1791). Solche Schreiben können mit Leitartikeln der officiellen oder officiösen Presse verglichen werden. In der That versprach sich die Kaiserin bedeutende Wirkung von denselben. In einer Zeit, wo die Beziehungen Rußlands zu England und Preußen einigermaßen gespannt waren, wo sowohl in Bezug auf die orientalische Frage, als auch in Bezug auf das revolutionäre Frank¬ reich mächtige Entschlüsse gefaßt werden sollten, mochte jedes unmittelbar von der Kaiserin herrührende Wort schwer in die Wagschale fallen. Sie hat sich wohl gerühmt, durch ihren Briefwechsel mit Voltaire zum Sturze Choiseul's beigetragen zu haben. Als Herzberg von den Geschäften zurücktrat, bemerkte Chragomitzki, daß die Briefe der Kaiserin an Zimmermann von Einfluß auf dieses Ereigniß gewesen seien. Katharina theilte diese Ansicht*). Daß eine solche Wirkung ihrer Privatbriefe wesentlich von der „Perlustration" derselben im Auslande erwartet wurde, geht aus folgendem Umstände hervor. Katharina war sehr unzufrieden mit dem Erfolge der militärischen Operationen der Nlliirten gegen Frankreich. Ihr galt es, die Cabinette von Wien und Berlin mit dem Kampfe gegen Frankreich zu beschäftigen, um desto ungestörter die orientalischen und polnischen Angelegenheiten zu einem für Rußland günstigen Abschluß zu bringen**). Die Kläglichkeit des Feld¬ zugs in die Champagne, die Kanonade bei Valmy brachten sie auf. In einem Briefe an den Fürsten v. Ligne, worin sie demselben ihre Theilnahme an seinem Tagebuch Chragomitzki's 6, Febr. 179 t. 5. August 1731. "* ) ins easss Is, tvtg, wie ich wohl die Höfe von Wien und Berlin in die französi¬ schen Dinge hineinziehen könnte . . . II ? g, ävs raisons «zu'on us xeut MS aire; je veux Iss ongager clarrs les kMirss xour avoir I«s eouciss irtmenss; ich habe hier noch man¬ cherlei zu beenden und sie dürfen mich dabei nicht stören." Diese Worte der Kaiserin bei Chragomitzki 14, December 1791. Grenzboten IV. 1869. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/23>, abgerufen am 16.06.2024.