Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schmerz um den Verlust seines im Kampfe gebliebenen Sohnes ausdrückt,
klagte sie über die Mißerfolge der östreichischen und preußischen Waffen und
bemerkte, wie nahe ihr das Schicksal der französischen Prinzen ginge. Wie
ganz anders gelänge doch Alles den Franzosen, die trotz schlechten Herbst¬
wetters an allen Punkten vorwärts drängten. Ausdrücklich bemerkt Chrago-
mitzki, die Kaiserin wolle, daß der Kaiser dieses Schreiben lese und daher
werde sie, auf Subow's Rath, dasselbe mit der Post über Berlin absenden,
damit es daselbst "perlustrirt" werden könne*).

Die Kaiserin wünschte also eine Verletzung des Briefgeheimnisses durch
die preußischen Behörden. Sie sah darin ein Mittel, für sich publicistisch thätig
zu sein. Eine Frage war es auch, ob die Staatsmänner des Auslandes wünschen
konnten, daß ihre nach Petersburg gerichteten Briefe der Kaiserin zur Kennt¬
nißnahme vorgelegt wurden. Es war immerhin ein Anderes, ob Katharina's
geistreiche, aber im Grunde harmlose Plaudereien in ihren Briefen an
Zimmermann oder Ligne bekannt wurden, oder ob die Depeschen der russi¬
schen Minister an Nesselrode in Berlin oder an Bugakow in Warschau oder
an Galizyn in Wien einer "Perlustration" im Auslande unterlagen. Schwer¬
lich hätte sie gern die Ausländer in ihre eigentlichen Geschäfte blicken lassen,
während sie doch gerade den Correspondenzen der Diplomaten und Minister
die größte Aufmerksamkeit widmete.

Es entsteht die Frage, ob nicht diese letzteren von dem Umstände unter¬
richtet waren, daß ihre Depeschen am russischen Hofe gelesen wurden. Ein¬
zelne Fälle der Erwähnung von perlustrirten Briefen dürften vielleicht als
Bestätigung einer solchen Annahme gedeutet werden können. Während
man z. B. von russischen Diplomaten aus Deutschland genau wußte, daß
der Angriff Gustaf's III. auf Rußland (1788) in Berlin gutgeheißen wurde,
daß namentlich das Verbleiben der in dem Archipelagus zum Kampfe gegen die
Türkei bestimmten russischen Flotte England und Preußen sehr angenehm berührt
habe, las die Kaiserin in der Perlustration die Erklärung des Königs von
Preußen, er behaupte eine vollständige "imxartiaiitH" den streitenden Mächten
gegenüber. Während man in Rußland mit Recht dem Grafen Hertzberg
eine entschieden russenfeindliche Stimmung und die gegnerische Haltung
Preußens wesentlich seinem Einfluß zuschrieb, las man in einem "perlustrir¬
ten" Briefe dieses Staatsmannes, er sei keineswegs Rußlands und der Kai¬
serin Gegner und wisse sehr wohl, daß Preußen und Rußland im Grunde
natürliche Verbündete seien**).

Diese und noch ein paar ähnliche Fälle dürften etwa der Vermuthung




") 1, Nov. 1792. Chrogomitzki.
-) CliragomiM 27. Juli 1788. 26. März 1789. In einem pttlustrirten Briefe Seaur'6 lobt
derselbe die Kaiserin in stark aufgetragenen Ausdrücken. Cbragomitzki 30. März 1789.

Schmerz um den Verlust seines im Kampfe gebliebenen Sohnes ausdrückt,
klagte sie über die Mißerfolge der östreichischen und preußischen Waffen und
bemerkte, wie nahe ihr das Schicksal der französischen Prinzen ginge. Wie
ganz anders gelänge doch Alles den Franzosen, die trotz schlechten Herbst¬
wetters an allen Punkten vorwärts drängten. Ausdrücklich bemerkt Chrago-
mitzki, die Kaiserin wolle, daß der Kaiser dieses Schreiben lese und daher
werde sie, auf Subow's Rath, dasselbe mit der Post über Berlin absenden,
damit es daselbst „perlustrirt" werden könne*).

Die Kaiserin wünschte also eine Verletzung des Briefgeheimnisses durch
die preußischen Behörden. Sie sah darin ein Mittel, für sich publicistisch thätig
zu sein. Eine Frage war es auch, ob die Staatsmänner des Auslandes wünschen
konnten, daß ihre nach Petersburg gerichteten Briefe der Kaiserin zur Kennt¬
nißnahme vorgelegt wurden. Es war immerhin ein Anderes, ob Katharina's
geistreiche, aber im Grunde harmlose Plaudereien in ihren Briefen an
Zimmermann oder Ligne bekannt wurden, oder ob die Depeschen der russi¬
schen Minister an Nesselrode in Berlin oder an Bugakow in Warschau oder
an Galizyn in Wien einer „Perlustration" im Auslande unterlagen. Schwer¬
lich hätte sie gern die Ausländer in ihre eigentlichen Geschäfte blicken lassen,
während sie doch gerade den Correspondenzen der Diplomaten und Minister
die größte Aufmerksamkeit widmete.

Es entsteht die Frage, ob nicht diese letzteren von dem Umstände unter¬
richtet waren, daß ihre Depeschen am russischen Hofe gelesen wurden. Ein¬
zelne Fälle der Erwähnung von perlustrirten Briefen dürften vielleicht als
Bestätigung einer solchen Annahme gedeutet werden können. Während
man z. B. von russischen Diplomaten aus Deutschland genau wußte, daß
der Angriff Gustaf's III. auf Rußland (1788) in Berlin gutgeheißen wurde,
daß namentlich das Verbleiben der in dem Archipelagus zum Kampfe gegen die
Türkei bestimmten russischen Flotte England und Preußen sehr angenehm berührt
habe, las die Kaiserin in der Perlustration die Erklärung des Königs von
Preußen, er behaupte eine vollständige „imxartiaiitH" den streitenden Mächten
gegenüber. Während man in Rußland mit Recht dem Grafen Hertzberg
eine entschieden russenfeindliche Stimmung und die gegnerische Haltung
Preußens wesentlich seinem Einfluß zuschrieb, las man in einem „perlustrir¬
ten" Briefe dieses Staatsmannes, er sei keineswegs Rußlands und der Kai¬
serin Gegner und wisse sehr wohl, daß Preußen und Rußland im Grunde
natürliche Verbündete seien**).

Diese und noch ein paar ähnliche Fälle dürften etwa der Vermuthung




") 1, Nov. 1792. Chrogomitzki.
-) CliragomiM 27. Juli 1788. 26. März 1789. In einem pttlustrirten Briefe Seaur'6 lobt
derselbe die Kaiserin in stark aufgetragenen Ausdrücken. Cbragomitzki 30. März 1789.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0024" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123112"/>
          <p xml:id="ID_41" prev="#ID_40"> Schmerz um den Verlust seines im Kampfe gebliebenen Sohnes ausdrückt,<lb/>
klagte sie über die Mißerfolge der östreichischen und preußischen Waffen und<lb/>
bemerkte, wie nahe ihr das Schicksal der französischen Prinzen ginge. Wie<lb/>
ganz anders gelänge doch Alles den Franzosen, die trotz schlechten Herbst¬<lb/>
wetters an allen Punkten vorwärts drängten. Ausdrücklich bemerkt Chrago-<lb/>
mitzki, die Kaiserin wolle, daß der Kaiser dieses Schreiben lese und daher<lb/>
werde sie, auf Subow's Rath, dasselbe mit der Post über Berlin absenden,<lb/>
damit es daselbst &#x201E;perlustrirt" werden könne*).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_42"> Die Kaiserin wünschte also eine Verletzung des Briefgeheimnisses durch<lb/>
die preußischen Behörden. Sie sah darin ein Mittel, für sich publicistisch thätig<lb/>
zu sein. Eine Frage war es auch, ob die Staatsmänner des Auslandes wünschen<lb/>
konnten, daß ihre nach Petersburg gerichteten Briefe der Kaiserin zur Kennt¬<lb/>
nißnahme vorgelegt wurden. Es war immerhin ein Anderes, ob Katharina's<lb/>
geistreiche, aber im Grunde harmlose Plaudereien in ihren Briefen an<lb/>
Zimmermann oder Ligne bekannt wurden, oder ob die Depeschen der russi¬<lb/>
schen Minister an Nesselrode in Berlin oder an Bugakow in Warschau oder<lb/>
an Galizyn in Wien einer &#x201E;Perlustration" im Auslande unterlagen. Schwer¬<lb/>
lich hätte sie gern die Ausländer in ihre eigentlichen Geschäfte blicken lassen,<lb/>
während sie doch gerade den Correspondenzen der Diplomaten und Minister<lb/>
die größte Aufmerksamkeit widmete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_43"> Es entsteht die Frage, ob nicht diese letzteren von dem Umstände unter¬<lb/>
richtet waren, daß ihre Depeschen am russischen Hofe gelesen wurden. Ein¬<lb/>
zelne Fälle der Erwähnung von perlustrirten Briefen dürften vielleicht als<lb/>
Bestätigung einer solchen Annahme gedeutet werden können. Während<lb/>
man z. B. von russischen Diplomaten aus Deutschland genau wußte, daß<lb/>
der Angriff Gustaf's III. auf Rußland (1788) in Berlin gutgeheißen wurde,<lb/>
daß namentlich das Verbleiben der in dem Archipelagus zum Kampfe gegen die<lb/>
Türkei bestimmten russischen Flotte England und Preußen sehr angenehm berührt<lb/>
habe, las die Kaiserin in der Perlustration die Erklärung des Königs von<lb/>
Preußen, er behaupte eine vollständige &#x201E;imxartiaiitH" den streitenden Mächten<lb/>
gegenüber. Während man in Rußland mit Recht dem Grafen Hertzberg<lb/>
eine entschieden russenfeindliche Stimmung und die gegnerische Haltung<lb/>
Preußens wesentlich seinem Einfluß zuschrieb, las man in einem &#x201E;perlustrir¬<lb/>
ten" Briefe dieses Staatsmannes, er sei keineswegs Rußlands und der Kai¬<lb/>
serin Gegner und wisse sehr wohl, daß Preußen und Rußland im Grunde<lb/>
natürliche Verbündete seien**).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_44" next="#ID_45"> Diese und noch ein paar ähnliche Fälle dürften etwa der Vermuthung</p><lb/>
          <note xml:id="FID_4" place="foot"> ") 1, Nov. 1792. Chrogomitzki.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_5" place="foot"> -) CliragomiM 27. Juli 1788. 26. März 1789. In einem pttlustrirten Briefe Seaur'6 lobt<lb/>
derselbe die Kaiserin in stark aufgetragenen Ausdrücken. Cbragomitzki 30. März 1789.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0024] Schmerz um den Verlust seines im Kampfe gebliebenen Sohnes ausdrückt, klagte sie über die Mißerfolge der östreichischen und preußischen Waffen und bemerkte, wie nahe ihr das Schicksal der französischen Prinzen ginge. Wie ganz anders gelänge doch Alles den Franzosen, die trotz schlechten Herbst¬ wetters an allen Punkten vorwärts drängten. Ausdrücklich bemerkt Chrago- mitzki, die Kaiserin wolle, daß der Kaiser dieses Schreiben lese und daher werde sie, auf Subow's Rath, dasselbe mit der Post über Berlin absenden, damit es daselbst „perlustrirt" werden könne*). Die Kaiserin wünschte also eine Verletzung des Briefgeheimnisses durch die preußischen Behörden. Sie sah darin ein Mittel, für sich publicistisch thätig zu sein. Eine Frage war es auch, ob die Staatsmänner des Auslandes wünschen konnten, daß ihre nach Petersburg gerichteten Briefe der Kaiserin zur Kennt¬ nißnahme vorgelegt wurden. Es war immerhin ein Anderes, ob Katharina's geistreiche, aber im Grunde harmlose Plaudereien in ihren Briefen an Zimmermann oder Ligne bekannt wurden, oder ob die Depeschen der russi¬ schen Minister an Nesselrode in Berlin oder an Bugakow in Warschau oder an Galizyn in Wien einer „Perlustration" im Auslande unterlagen. Schwer¬ lich hätte sie gern die Ausländer in ihre eigentlichen Geschäfte blicken lassen, während sie doch gerade den Correspondenzen der Diplomaten und Minister die größte Aufmerksamkeit widmete. Es entsteht die Frage, ob nicht diese letzteren von dem Umstände unter¬ richtet waren, daß ihre Depeschen am russischen Hofe gelesen wurden. Ein¬ zelne Fälle der Erwähnung von perlustrirten Briefen dürften vielleicht als Bestätigung einer solchen Annahme gedeutet werden können. Während man z. B. von russischen Diplomaten aus Deutschland genau wußte, daß der Angriff Gustaf's III. auf Rußland (1788) in Berlin gutgeheißen wurde, daß namentlich das Verbleiben der in dem Archipelagus zum Kampfe gegen die Türkei bestimmten russischen Flotte England und Preußen sehr angenehm berührt habe, las die Kaiserin in der Perlustration die Erklärung des Königs von Preußen, er behaupte eine vollständige „imxartiaiitH" den streitenden Mächten gegenüber. Während man in Rußland mit Recht dem Grafen Hertzberg eine entschieden russenfeindliche Stimmung und die gegnerische Haltung Preußens wesentlich seinem Einfluß zuschrieb, las man in einem „perlustrir¬ ten" Briefe dieses Staatsmannes, er sei keineswegs Rußlands und der Kai¬ serin Gegner und wisse sehr wohl, daß Preußen und Rußland im Grunde natürliche Verbündete seien**). Diese und noch ein paar ähnliche Fälle dürften etwa der Vermuthung ") 1, Nov. 1792. Chrogomitzki. -) CliragomiM 27. Juli 1788. 26. März 1789. In einem pttlustrirten Briefe Seaur'6 lobt derselbe die Kaiserin in stark aufgetragenen Ausdrücken. Cbragomitzki 30. März 1789.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/24
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/24>, abgerufen am 16.06.2024.