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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Raum geben, daß die ausländischen Staatsmänner auf eine Verletzung des
Briefgeheimnisses gesaßt waren. Die meisten Angaben, welche durch die
Perlustration fremder Briefe der Kaiserin bekannt wurden, sind der Art, daß
es den Personen, welche sie niedergeschrieben hatten, im Grunde gleichgiltig
sein konnte, ob die Kaiserin davon erfuhr oder nicht. Dagegen gibt es einige
Fälle, welche vermuthen lassen, daß perlustrnte Briefe nicht wohl für die
Kenntnißnahme durch die Kaiserin bestimmt sein konnten, daß im Gegentheil
sowohl die Verfasser als die Empfänger solcher Briefe keineswegs Grund ge¬
habt haben können, eine Verletzung des Briefgeheimnisfes zu wünschen.

Aus der Reise in die Krim (1787) schrieb Fitz-Herbert, der englische Ge¬
sandte, an Lord Ellis nach England, der Fürst Potemkin werde vielleicht
seine zahlreichen in Polen liegenden Güter in ein "tsrtiuni <MA" d. h. in
einen von Nußland und Polen unabhängigen Staat verwandeln*). Die
Mittheilung einer solchen Nachricht seitens eines der Kaiserin persönlich be¬
freundeten Diplomaten erschien als arge Unvorsichtigkeit, wenn er die
Kenntnißnahme seiner brieflichen Mittheilungen durch die Kaiserin für wahr¬
scheinlich gehalten hätte.

Dasselbe gilt von einem Briefe des in der Schlacht bei Hogland in
russische Gefangenschaft gerathenen schwedischen Grafen Wachtmeister, der aus
Moskau nach Schweden schrieb und die russischen Verhältnisse ungünstig be¬
urtheilte**). Katharina äußerte sich ziemlich spitz über den Grafen, nachdem
sie seine Briefe gelesen hatte.

Der dänische Gesandte, Se. Saphorin, erwähnte in einem Briefe an den
Minister Bernstorff eines von einem hohen Beamten am russischen Hofe ge¬
machten Versehens, eines Falles, der, wie aus den Bemerkungen Chrago-
mitzki's bei Gelegenheit der Perlustration dieses Briefes hervorgeht, am russi¬
schen Hofe für ein Geheimniß galt***).

Rückhaltlose Klagen des Kaisers Joseph's in Briefen an seinen Bruder
Leopold über die Unglücksfälle im türkischen Kriege, über die furchtbare Ver¬
wüstung des Banats durch die Türken; -- scharfe Ausdrücke des Fürsten von
Ligne über die Fehler und Mängel der russischen Kriegführung wurden der
Kaiserin gleichfalls durch die "Perlustration" bekannt 1-). Wir wissen aus den
Briefen des Kaisers und des Fürsten von Ligne an die Kaiserin, daß sie sonst
dieselben Gegenstände in einem ganz anderen Tone zu behandeln pflegten. Jene
Briefe mochten schwerlich für die Lectüre der Kaiserin bestimmt gewesen sein.

Wir wissen serner, daß.Graf Sigur, der sich der besonderen Freundschaft der






-) ChrcigomiM 16. März 1787.
"*) 17. September 1788.
8. October 1738.
f) ö. November 1788.
3*

Raum geben, daß die ausländischen Staatsmänner auf eine Verletzung des
Briefgeheimnisses gesaßt waren. Die meisten Angaben, welche durch die
Perlustration fremder Briefe der Kaiserin bekannt wurden, sind der Art, daß
es den Personen, welche sie niedergeschrieben hatten, im Grunde gleichgiltig
sein konnte, ob die Kaiserin davon erfuhr oder nicht. Dagegen gibt es einige
Fälle, welche vermuthen lassen, daß perlustrnte Briefe nicht wohl für die
Kenntnißnahme durch die Kaiserin bestimmt sein konnten, daß im Gegentheil
sowohl die Verfasser als die Empfänger solcher Briefe keineswegs Grund ge¬
habt haben können, eine Verletzung des Briefgeheimnisfes zu wünschen.

Aus der Reise in die Krim (1787) schrieb Fitz-Herbert, der englische Ge¬
sandte, an Lord Ellis nach England, der Fürst Potemkin werde vielleicht
seine zahlreichen in Polen liegenden Güter in ein „tsrtiuni <MA" d. h. in
einen von Nußland und Polen unabhängigen Staat verwandeln*). Die
Mittheilung einer solchen Nachricht seitens eines der Kaiserin persönlich be¬
freundeten Diplomaten erschien als arge Unvorsichtigkeit, wenn er die
Kenntnißnahme seiner brieflichen Mittheilungen durch die Kaiserin für wahr¬
scheinlich gehalten hätte.

Dasselbe gilt von einem Briefe des in der Schlacht bei Hogland in
russische Gefangenschaft gerathenen schwedischen Grafen Wachtmeister, der aus
Moskau nach Schweden schrieb und die russischen Verhältnisse ungünstig be¬
urtheilte**). Katharina äußerte sich ziemlich spitz über den Grafen, nachdem
sie seine Briefe gelesen hatte.

Der dänische Gesandte, Se. Saphorin, erwähnte in einem Briefe an den
Minister Bernstorff eines von einem hohen Beamten am russischen Hofe ge¬
machten Versehens, eines Falles, der, wie aus den Bemerkungen Chrago-
mitzki's bei Gelegenheit der Perlustration dieses Briefes hervorgeht, am russi¬
schen Hofe für ein Geheimniß galt***).

Rückhaltlose Klagen des Kaisers Joseph's in Briefen an seinen Bruder
Leopold über die Unglücksfälle im türkischen Kriege, über die furchtbare Ver¬
wüstung des Banats durch die Türken; — scharfe Ausdrücke des Fürsten von
Ligne über die Fehler und Mängel der russischen Kriegführung wurden der
Kaiserin gleichfalls durch die „Perlustration" bekannt 1-). Wir wissen aus den
Briefen des Kaisers und des Fürsten von Ligne an die Kaiserin, daß sie sonst
dieselben Gegenstände in einem ganz anderen Tone zu behandeln pflegten. Jene
Briefe mochten schwerlich für die Lectüre der Kaiserin bestimmt gewesen sein.

Wir wissen serner, daß.Graf Sigur, der sich der besonderen Freundschaft der






-) ChrcigomiM 16. März 1787.
"*) 17. September 1788.
8. October 1738.
f) ö. November 1788.
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[0025] Raum geben, daß die ausländischen Staatsmänner auf eine Verletzung des Briefgeheimnisses gesaßt waren. Die meisten Angaben, welche durch die Perlustration fremder Briefe der Kaiserin bekannt wurden, sind der Art, daß es den Personen, welche sie niedergeschrieben hatten, im Grunde gleichgiltig sein konnte, ob die Kaiserin davon erfuhr oder nicht. Dagegen gibt es einige Fälle, welche vermuthen lassen, daß perlustrnte Briefe nicht wohl für die Kenntnißnahme durch die Kaiserin bestimmt sein konnten, daß im Gegentheil sowohl die Verfasser als die Empfänger solcher Briefe keineswegs Grund ge¬ habt haben können, eine Verletzung des Briefgeheimnisfes zu wünschen. Aus der Reise in die Krim (1787) schrieb Fitz-Herbert, der englische Ge¬ sandte, an Lord Ellis nach England, der Fürst Potemkin werde vielleicht seine zahlreichen in Polen liegenden Güter in ein „tsrtiuni <MA" d. h. in einen von Nußland und Polen unabhängigen Staat verwandeln*). Die Mittheilung einer solchen Nachricht seitens eines der Kaiserin persönlich be¬ freundeten Diplomaten erschien als arge Unvorsichtigkeit, wenn er die Kenntnißnahme seiner brieflichen Mittheilungen durch die Kaiserin für wahr¬ scheinlich gehalten hätte. Dasselbe gilt von einem Briefe des in der Schlacht bei Hogland in russische Gefangenschaft gerathenen schwedischen Grafen Wachtmeister, der aus Moskau nach Schweden schrieb und die russischen Verhältnisse ungünstig be¬ urtheilte**). Katharina äußerte sich ziemlich spitz über den Grafen, nachdem sie seine Briefe gelesen hatte. Der dänische Gesandte, Se. Saphorin, erwähnte in einem Briefe an den Minister Bernstorff eines von einem hohen Beamten am russischen Hofe ge¬ machten Versehens, eines Falles, der, wie aus den Bemerkungen Chrago- mitzki's bei Gelegenheit der Perlustration dieses Briefes hervorgeht, am russi¬ schen Hofe für ein Geheimniß galt***). Rückhaltlose Klagen des Kaisers Joseph's in Briefen an seinen Bruder Leopold über die Unglücksfälle im türkischen Kriege, über die furchtbare Ver¬ wüstung des Banats durch die Türken; — scharfe Ausdrücke des Fürsten von Ligne über die Fehler und Mängel der russischen Kriegführung wurden der Kaiserin gleichfalls durch die „Perlustration" bekannt 1-). Wir wissen aus den Briefen des Kaisers und des Fürsten von Ligne an die Kaiserin, daß sie sonst dieselben Gegenstände in einem ganz anderen Tone zu behandeln pflegten. Jene Briefe mochten schwerlich für die Lectüre der Kaiserin bestimmt gewesen sein. Wir wissen serner, daß.Graf Sigur, der sich der besonderen Freundschaft der -) ChrcigomiM 16. März 1787. "*) 17. September 1788. 8. October 1738. f) ö. November 1788. 3*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/25>, abgerufen am 16.06.2024.